ArchivDeutsches Ärzteblatt PP4/2020Coronakrise: Warten auf den Exit

EDITORIAL

Coronakrise: Warten auf den Exit

Bühring, Petra

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Die COVID-19-Pandemie verändert gerade das Leben aller weltweit: Kontaktbeschränkungen, eingeschränktes Ausgangsverbot, Kita- und Schulschließungen, Geschäfts- und Restaurantschließungen und mehr belasten Mensch und Wirtschaft und alles ist miteinander verknüpft. Der Gesundheitsschutz steht zurzeit über allem, denn die Infektionsrisiken sind enorm. Zögerlich werden erste kritische Stimmen laut, die die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen infrage stellen. Bei Redaktionsschluss weiß noch niemand, wie lange der angeordnete Stillstand anhalten wird – ein zusätzlicher Stressfaktor, der der psychischen Gesundheit nicht zuträglich ist.

Eine Reihe von Beiträgen in diesem Heft befasst sich mit der Coronakrise, wobei der Schwerpunkt nicht auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu dem neuartigen Virus oder zur medizinischen Versorgung liegt. Eine Vielzahl an Beiträgen zu diesen Themen kann aber auf der Homepage des Deutschen Ärzteblattes abgerufen werden, täglich kommen neue hinzu (www.aerzteblatt.de/sars-cov-2). So hat die Bundesregierung in Rekordzeit gesetzliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und des Gesundheitssystems erlassen: „Acht Gesetze in acht Tagen“ (Seite 151), darunter das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz, das auch für den ambulanten Bereich Ausgleichszahlungen für Vertragsärzte und -psychotherapeuten vorsieht, wenn sich deren Gesamthonorar infolge der Pandemie um mehr als zehn Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal reduziert. Die meisten Praxen werden aber wahrscheinlich eher einen größeren Ansturm auf ihre Leistungen verzeichnen, denen sie versuchen, mittels rigoroser Hygienevorschriften in den Praxen oder per Videobehandlung zu begegnen. Auch die Forderung nach einer Abrechnungsmöglichkeit für die Behandlung per Telefon hat schließlich doch noch Gehör gefunden.

In einem weiteren Beitrag beschreiben Psychiater und Psychotherapeuten der Berliner Charité, wie Ärzte und Psychotherapeuten mit ganz praktischen Tipps dazu beitragen können, die psychischen Belastungen für die Menschen zu reduzieren (Seite 156). Dazu gehören die Akzeptanz heftiger Emotionen, die Aufrechterhaltung eines gesunden Lebensstils inklusive körperlicher Aktivität auch in der Isolation oder die Orientierung nur an zuverlässigen wissenschaftlichen Fakten. Der Artikel enthält auch Hinweise für den Umgang mit Kindern, die sämtlicher sozialen Kontakte außer Haus beraubt für Eltern im Homeoffice zu einer nervlichen Belastungsprobe werden können. Über eine Zunahme von Medienabhängigkeit nach der Krisenzeit darf spekuliert werden.

Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. med. Jörg M. Fegert und Kollegen warnen davor, dass nicht alle Familien dieser Belastungsprobe standhalten werden können (Seite 160). Körperliche, emotionale und sexualisierte Gewalt gegen Kinder nimmt zu in Zeiten massiven Stresses, wenn alle Unterstützungssysteme wie Schule, Tagesbetreuung, Sportvereine oder Großeltern wegbrechen. Die Anfragen an die Medizinische Kinderschutzhotline auch von Ärzten und Therapeuten, die sich um Familien sorgen, die schon in normalen Zeiten komplexen Hilfebedarf haben, häufen sich. Auf die COVID-19-Pandemie darf keine soziale Pandemie folgen, darin sind sich die Experten einig. Doch mit einem Ausbau von Online-Beratungsangeboten allein ist es nicht getan. Notwendig ist eine interdisziplinär abgestimmte verbindliche und zügige Exit-Strategie aus den Notmaßnahmen.

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