

Tödlich verläuft eine COVID-19-Erkrankung vor allem für betagte, multimorbide Patienten. Deshalb tun die Träger von Pflegeheimen ebenso wie Pflegekräfte und Heimärzte derzeit alles dafür, dass sich das Virus nicht in den Einrichtungen ausbreitet. Eine Bestandsaufnahme.
Während in der Coronakrise zunächst die Krankenhäuser im Fokus standen, liegt die Aufmerksamkeit jetzt auch auf den stationären Pflegeeinrichtungen. Denn hier leben die Menschen, die SARS-CoV-2 insbesondere zum Opfer fallen: betagte Multimorbide. Nachdem Ende März in zwei Pflegeheimen in Würzburg und Wolfsburg innerhalb kurzer Zeit viele Bewohner an COVID-19 verstarben, ist die Sorge groß, dass sich eine Ausbreitung des Virus auch in anderen der gut 11 000 stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland wiederholen könnte.
„Die Sorge ist vollkommen berechtigt“, sagt Dr. med. Irmgard Landgraf dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). Die Fachärztin für Innere Medizin betreibt eine internistische Hausarztpraxis am Agaplesion Bethanien Sophienhaus in Berlin. In dem Heim betreut sie unter anderem 103 überwiegend alte oder hochbetagte multimorbide Patienten mit einem durchschnittlichen Pflegegrad 4. „Sollte in unser Haus SARS-CoV-2 eingeschleppt werden, müssen wir mit vielen Todesfällen rechnen“, sagt sie.
Keine soziale Isolation
Um die Bewohner vor dem Coronavirus zu schützen, sei zunächst ein eingeschränktes, seit dem 16. März ein komplettes Besuchsverbot umgesetzt worden, erklärt Landgraf. Aktuell können nur in begründeten Fällen einzelne Besucher ins Haus kommen. Insofern findet die Hausärztin die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), Bewohner von Pflegeheimen nur in dringenden Fällen zu besuchen, „genau richtig“.
Durch Videotelefonie werde den Bewohnern des Sophienhauses die Möglichkeit gegeben, regelmäßigen Kontakt zu ihren Angehörigen zu haben. „Das wird erstaunlich gut angenommen“, sagt Landgraf. „Außerdem können die Angehörigen über die im Haus genutzte Myo-App digital am Pflegeheimalltag ein Stück weit teilnehmen.“ Auf Wunsch können die Bewohner zudem über den Balkon der Station Kontakt mit ihren Angehörigen aufnehmen. So komme es nicht zu der befürchteten sozialen Isolation.
Landgraf hat ihre Besuche im Heim auf das Notwendige reduziert. Dabei kommt ihr die digitale Vernetzung mit der Einrichtung zugute, die sie bereits 2001 mit eingerichtet hat und für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde. Die bei den multimorbiden, alten Heimbewohnern bislang alle drei bis vier Wochen stattfindende Regelvisite wird nun auch zur Entlastung des Pflegepersonals ausgesetzt. Weiterhin erfolgt jedoch einmal in der Woche für jeden Patienten eine Onlinevisite auf der Basis einer elektronischen Pflegeakte. Bei bedarfsorientierten Besuchen im Heim „beanspruchen wir, gut vorbereitet mit Informationen über die digitale Pflegeakte, das Pflegepersonal wenn überhaupt nur kurz“, so Landgraf. Dabei tragen die Ärzte Mund-Nase-Schutzmasken, bei besonders kranken Patienten FFP3-Masken.
Stimmung ist relativ gut
Die Stimmung bei den Heimbewohnern ist relativ gut. Bei keinem ihrer Besuche habe sie Klagen über den fehlenden Besuch von Angehörigen gehört, sagt Landgraf. „Einige unserer Bewohner sind sogar sehr froh darüber, dass sie so vor dem Einschleppen des Coronavirus geschützt werden.“ Das Besuchsverbot hat darüber hinaus einen positiven Nebeneffekt. „Wir hatten, so lange ich mich erinnern kann, noch nie so wenige von Infekten betroffene Patienten im Heim wie aktuell“, betont Landgraf.
Das größte Problem sei die fehlende Schutzausrüstung. „Damit die Mund-Nase-Schutzmasken nicht tagelang eingesetzt werden müssen, werden für die Pflegekräfte im Heim und für uns in der Praxis Mundschutzmasken genäht“, berichtet Landgraf. „Falls wir mehr Schutzkittel benötigen, werden wir notfalls zudem auf waschbare Schutzkleidung zurückgreifen.“
Überall in Deutschland haben sich die Verantwortlichen in den stationären Pflegeeinrichtungen auf die Pandemie eingestellt. Einer von ihnen ist Jochen Schellenberg, Geschäftsführer der Katharinenhof Seniorenwohn- und Pflegeanlage Betriebs-GmbH, die in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen und Sachsen Pflegeheime mit insgesamt etwa 2 500 Plätzen betreibt. „Im Unternehmen gibt es ein Coronalenkungsteam, das regelmäßige Reports aus unseren Einrichtungen zusammenfasst, bewertet und Maßnahmen ableitet“, erklärt er gegenüber dem DÄ. „Wir haben einen eigenen Pandemieplan und achten auf strengstes Einhalten der Hygieneregeln.“ So tragen die Pflegekräfte in den Einrichtungen bei jedem Kontakt mit Bewohnern Mund-Nase-Schutzmasken.
Die Maßnahmen sind erfolgreich: Nur zwei Bewohner und zwei Mitarbeiter wurden bislang positiv auf COVID-19 getestet. „Wir achten sehr aufmerksam auf Verdachtssymptome und ordnen in solchen Fällen sofort eine Quarantäne an“, sagt Schellenberg. Sollte sich das Virus dennoch in einem der Heime ausbreiten, wird ein Notfallplan in Kraft treten, der einen besonderen Mitarbeitereinsatz in Schutzausrüstung sowie separierte Bereiche in den Einrichtungen vorsieht.
Mit den Maßnahmen der Politik ist Schellenberg insgesamt zufrieden. Er würde sich jedoch ein abgestimmteres Vorgehen wünschen. „Man wird überschüttet mit Informationen, Anleitungen und Anordnungen auf Stadtbezirksebene, Landkreisebene, Landesebene, Bundesebene sowie von Fachverbänden und Fachgremien“, sagt er. „Fatal ist die Unterschiedlichkeit von Regelungen in den Bundesländern. Wir merken das besonders, weil wir mit unseren Einrichtungen in fünf Ländern vertreten sind.“ Fatal sei auch das unabgestimmte Vorpreschen Einzelner mit Prämienzahlungen für Pflegekräfte. „Grundsätzlich begrüßen wir eine solche Anerkennung sehr“, betont Schellenberg. Einzelne Vorstöße, von Verdi oder aus Bayern, bescherten den Trägern jedoch nur zusätzlichen Kommunikationsaufwand. Auch hier sei ein abgestimmtes Vorgehen wünschenswert.
Unter den Pflegekräften ist die Stimmung während der Coronakrise durchwachsen. So ärgert Thorsten Tripp, der als examinierter Altenpfleger in einem Pflegeheim im Kasseler Land arbeitet, dass das Robert Koch-Institut Ende März die Quarantänezeit für medizinisches Personal nach engem, ungeschütztem Kontakt zu COVID-19-Patienten auf sieben Tage herabgesetzt hat. „Das klingt für mich so, als könne die Pflege während der Coronapandemie ruhig verschlissen werden“, sagt der 35-Jährige, der sich auch im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) engagiert. „Für mich fehlt da der Respekt für unsere Arbeit.“
Tripp ärgert zudem, dass die Altenpflege in seiner Wahrnehmung als Letztes mit medizinischer Schutzausrüstung versorgt wird. „Wir warten jetzt seit zwei Wochen auf die Schutzausrüstung“, sagt Tripp. „Ich habe schon das Gefühl, dass wir hier als das letzte Glied in der Kette angesehen werden.“
Angst vor dem Virus
Der Vorrat an Schutzmasken im Haus ist schon seit Langem aufgebraucht. „Angehörige unserer Bewohner haben Mundschutze aus Baumwolle für uns genäht“, sagt Tripp. „Die tragen wir jetzt, waschen sie bei 90 °C und benutzen sie dann erneut. Das ist besser als nichts und beruhigt ein wenig.“ Handschuhe gebe es noch sehr viele, Schutzkittel und Desinfektionsmittel würden hingegen knapp.
Die Stimmung unter den Bewohner sei durchaus gut, erklärt der Altenpfleger. „Bei uns gibt es schon seit vielen Wochen ein Besuchsverbot. Im Haus hat sich für die Bewohner aber kaum etwas an den Abläufen verändert.“ Die Bewohner dürfen sich also im Haus frei bewegen, sie dürfen sich im Tagesraum aufhalten und das Haus auch für einen Spaziergang im Garten oder auf der Straße verlassen.
„Privat halte ich die Hygienemaßnahmen natürlich ein“, sagt Tripp. „Wir achten alle sehr darauf, dass wir uns nicht anstecken und das Virus mit ins Heim tragen. Davor haben wir Angst.“ Falk Osterloh