

Bereits zum Ende der Osterferien soll eine datenschutzkonforme App zur schnellen Nachverfolgung von möglichen COVID-19-Infizierten verfügbar sein. Das Robert Koch-Institut hat zudem eine Datenspende-App vorgestellt, um die Verbreitung des Virus besser nachzuverfolgen.
Digitale Anwendungen können die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 sinnvoll ergänzen. Weltweit gibt es daher derzeit eine Fülle von Ansätzen, die diskutiert und entwickelt werden. Auch die Exit-Strategie der Bundesregierung sieht laut Kanzleramtschef Helge Braun eine datenschutzkonforme Tracing-App zur Kontaktverfolgung von Infizierten vor, um Kontaktsprerren und andere Beschränkungen schrittweise wieder lockern zu können.
An den Grundlagen für eine solche Lösung arbeitet bereits seit mehreren Wochen ein länderübergreifendes Expertenteam in der PEPP-PT-Initiative (Pan European Privacy Protecting Proximity Tracing). Involviert sind circa 130 Mitarbeiter aus acht europäischen Ländern und 17 Institutionen, darunter das Robert Koch-Institut (RKI), Fraunhofer-Institute, Universitäten und Firmen. Anders als etwa bei Projekten in China, Israel oder Südkorea setzt das Konzept auf Freiwilligkeit und Wahrung der Privatsphäre der Nutzer. Mit der einheitlichen Referenzarchitektur PEPP-PT soll ein Technologiebaukasten entwickelt werden, der europaweit interoperabel ist und auf dessen Basis dann nationale Kontaktverfolgungs-Apps entwickelt werden können.
Eine entsprechende Corona-Warn-App soll schon bis zum 19. April verfügbar sein. Das hat Chris Boos, Mitglied bei PEPP-PT und im Digitalrat der Bundesregierung, angekündigt. Erste Tests wurden mit Soldaten der Bundeswehr in einer Kaserne in Berlin durchgeführt. Der Digitalkonzern Vodafone hat zudem sein Testzentrum in Düsseldorf zur Verfügung gestellt, um die Bluetooth-Sensorik für das Projekt weiterzuentwickeln und zu testen.
Anonyme Benachrichtigung
Die App soll Menschen rasch und anonym informieren, wenn sie Kontakt zu anderen Personen hatten, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Derzeit müssen die Gesundheitsämter aufwendig versuchen, alle Kontaktpersonen des Infizierten zu erreichen.
Technisch beruht das Projekt auf der Bluetooth-Technologie: Das Smartphone, auf dem die App installiert ist, sendet regelmäßig per Bluetooth eine ID. Gleichzeitig erfasst die App die ID-Signale der anderen Nutzer aus dem Nahbereich. Sobald sich zwei Anwender in der Reichweite des anderen befinden und eine bestimmte Zeitspanne überschritten wird, tauschen sie ihre IDs aus und speichern sie verschlüsselt lokal auf dem Handy ab. Gemessen wird der Abstand zwischen den Mobilgeräten und die Kontaktdauer. Standortdaten oder identifizierbare Merkmale der Endgeräte werden nicht erfasst.
Die Verwendung des Funkstandards „Bluetooth Low Energy“ stellt Boos zufolge sicher, dass man nicht auf Ortsdaten zurückgreifen muss und auf den unmittelbaren Umkreis beschränkt bleibt. Über die Signalstärke lässt sich sogar nachvollziehen, ob zwei Menschen durch eine Wand voneinander getrennt sind. Drei Wochen sollen die Kontaktdaten gespeichert werden. Wird in diesem Zeitraum eine Person positiv getestet, kann diese ihre verschlüsselte ID-Kontaktdatei zur Datennutzung freigeben. Die App-Nutzer aus der Liste des Infizierten werden per Pushnachricht über ihr Infektionsrisiko informiert und aufgefordert, sich testen zu lassen.
Derzeit gibt es laut Boos noch keine fertige Tracking-App, sondern ein offenes technisches Konzept, das drei Ziele verfolgt: eine zuverlässige Messung, die Sicherung der Privatsphäre und die Interoperabilität zwischen den Ländern, sodass grenzübergreifend Infektionsketten nachverfolgt werden können. Die Initiative will den Programmcode als Open Source freigeben, entscheidend ist aber die Umsetzung in einer fertigen App.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung eine solche App nutzen muss, damit Kontakte effektiv rekonstruiert werden können. Umfragen zufolge scheinen die Deutschen gegenüber solchen Lösungen aufgeschlossen zu sein: Nach einer repräsentativen Studie des Marktforschungsinstituts Innofact vom März 2020 würden 71,9 Prozent der Deutschen zur Bekämpfung der Coronapandemie freiwillig persönliche Gesundheitsdaten, Bewegungsprofile oder soziale Kontaktpunkte mit öffentlichen Institutionen wie dem RKI teilen. Noch ist indes unklar, wer Betreiber der App sein wird. IT-Experte Boos plädiert für das RKI. Die Behörde war von Anfang an bei der Initiative dabei und arbeitet auch an weiteren digitalen Werkzeugen (Kasten).
Datenschutzstandards wahren
Die Konformität zur Datenschutz-Grundverordnung spielt in Europa eine große Rolle. „Diese Instrumente zu nutzen muss für die Menschen immer freiwillig sein“, kommentierte die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Vera Jourova. Sie müssten eine Einverständniserklärung abgeben und die App dürfe nur während der Krise eingesetzt werden. Dies seien Mindeststandards, die alle EU-Staaten einhalten müssten. Für die EU-Kommission ist zudem entscheidend, dass die einzelnen Corona-Apps der EU-Staaten interoperabel sind.
Einigen Beobachtern ist die Lösung nicht privat und datensparsam genug. Nur „minimale Änderungen“ würden ausreichen, um die Anonymität oder Dezentralität solcher Apps zu zerstören, warnte etwa der Chaos Computer Club (CCC). Er hat zehn Prüfsteine veröffentlicht, anhand derer die technische Umsetzung einer Contact-Tracing-App für Corona überprüft werden kann (www.ccc.de/de/updates/ 2020/contact-tracing-requirements). Der Bürgerrechtsverein Digitalcourage hat darauf hingewiesen, dass Bluetooth, wenn es permanent eingeschaltet wird, ein IT-Sicherheitsrisiko darstellt, weil die Technik „chronisch unsicher“ sei.
Apple und Goolge mischen mit
Es sei möglich, datenschutzsensible Tracking-Apps zu entwickeln, die durch hohe Akzeptanz und große Verbreitung stark dazu beitragen können, COVID-19-Infizierte noch in der Inkubationszeit zu erreichen, dadurch früher als bisher zu testen und Infektionsketten zeitig zu unterbrechen, meinte Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke. Dieser Nutzen entstehe aber erst bei einem massiven Ausbau der Testkapazitäten.
In die Diskussion um infektiologische Tracing-Apps zur Bekämpfung der Coronakrise haben sich zuletzt auch Apple und Google eingeschaltet und eine Zusammenarbeit angekündigt, um technische Grundlagen für eine datenschutzfreundliche Umsetzung solcher Apps auf Basis von Bluetooth-Technologie schaffen, so die Unternehmen am 10. April in einer gemeinsamen Erklärung. Das Konzept ähnelt dabei dem Ansatz der paneuropäischen PEPP-Initiative.
Zunächst wollen die Unternehmen im Mai entsprechende Schnittstellen veröffentlichen, die eine Interoperabilität zwischen Android- und iOS-Geräten unter Verwendung von Apps der Gesundheitsbehörden ermöglichen. Außerdem wollen sie in den nächsten Monaten an einer Bluetooth-basierten Plattform für Kontaktmessungen zur Nachverfolgung arbeiten, die direkt in die zugrunde liegenden Betriebssysteme integriert werden soll. Heike E. Krüger-Brand
Datenspende per App
Anfang April hat das RKI die App „Corona-Datenspende“ vorgestellt, die es zusammen mit dem E-Health-Unternehmen Thryve entwickelt hat. Die App für iOS- und Android-Geräte soll ergänzende Informationen dazu liefern, wo und wie schnell sich das Coronavirus ausbreitet. Sie funktioniert in Kombination mit Fitnessarmbändern und Smartwatches verschiedener Hersteller, darunter neben der Apple Watch Geräte von Fitbit, Garmin, Polar und Withings. Sie ist in den jeweiligen App-Stores kostenfrei zum Download verfügbar.
Die von den Nutzern der App zur Verfügung gestellten Daten sollen den RKI-Wissenschaftlern dabei helfen, Infektionsschwerpunkte besser zu erkennen. „Um das Krankheitsgeschehen zu bewerten, reichen die offiziellen Meldezahlen alleine nicht aus“, erklärte RKI-Präsident Prof. Dr. med. vet. Lothar H. Wieler. Bei einer akuten Atemwegserkrankung änderten sich die normalen Vitalzeichen meist deutlich, erläuterte er. Mit der App lasse sich daher die Verbreitung bestimmter typischer COVID-19-Symptome, wie weniger Aktivität und ein veränderter Schlaf, erkennen. Zu den Daten, die per App übermittelt werden, zählen Geschlecht, Alter, Größe und Gewicht sowie Vitaldaten, etwa zu Aktivität, Schlaf und Puls, teils auch Körpertemperatur, falls das Gerät dies erfassen kann. Die App kann auch auf die Plattformen AppleHealth und Google Fit zugreifen und zusätzliche Daten wie Blutdruck daraus abrufen. Der Nutzer muss zudem seine Postleitzahl angeben. Die Daten werden aufbereitet und fließen in eine interaktive Karte ein, die Infektions-Hotspots bis auf Postleitzahlebene abbilden soll.
Das RKI hofft darauf, dass zehn Prozent der zehn Millionen Nutzer solcher Geräte in Deutschland die App verwenden. „Je mehr Menschen ihre Daten für eine Auswertung zur Verfügung stellen, desto genauer werden unsere Erkenntnisse zur Verbreitung des Coronavirus“, betonte Wieler. Die Nutzung sei freiwillig und pseudonymisiert. Mobilfunk- oder Ortungsdaten werden nicht erfasst. Die öffentliche Resonanz war überaus positiv: Für eine aussagekräftige Stichprobe seien etwa Daten von 100 000 App-Nutzern nötig, so der RKI-Experte Prof. Dr. Dirk Brockmann. Inzwischen haben sich laut RKI bereits 300 000 Menschen registriert.
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