MEDIZINREPORT
Radiologie und COVID-19: Ein Lungen-CT nicht ohne rechtfertigende Indikation


Die wichtigsten Aufgaben der CT im Rahmen der COVID-19-Pandemie sind die Diagnose von pneumonieassoziierten Komplikationen sowie die Bewertung des initialen Krankheitsausmaßes und die Verlaufsbeurteilung unterstützend zur klinischen Einschätzung in schweren Fällen.
Das konventionelle Röntgenbild des Thorax weist nach Angaben des Robert Koch-Institutes (RKI) bei 50–60 % der COVID-19-Erkrankten Veränderungen auf, die CT-Untersuchung der Lunge in circa 85 % der Fälle (1). Sichtbar werden milchglasartige Infiltrate, bilaterale oder seltener unilaterale Verdichtungen und/oder interstitielle Zeichnungsvermehrung (2) (Tabelle).
Damit sind die bildgebenden Merkmale der COVID-19-Pneumonie im CT unspezifisch. „Diese radiologischen Befunde sind vergleichbar mit denen von SARS und MERS, aber auch der H1N1-Influenza, der Cytomegalovirus-Pneumonie oder der atypischen Pneumonie“, sagte Prof. Dr. med. Jens Vogel-Claussen, Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Medizinische Hochschule Hannover, dem Deutschen Ärzteblatt.
Klinische Konsequenzen sind eine Vorbedingung
„Die CT sollte daher nicht zum Screening oder als Erstlinientest zur Diagnose von COVID-19 verwendet werden“, betont der Sprecher der AG Thoraxdiagnostik und weist auf eine entsprechende Stellungnahme der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) hin (3). Die DRG stimme damit auch mit den Empfehlungen der ACR überein (4). „Ein CT ist erst dann indiziert, wenn sich daraus klinische Konsequenzen ergeben“, so Vogel-Claussen. Zudem sollten CT-Untersuchungen bei Verdacht auf COVID-19 als native Dünnschicht-CT mit einem Niedrigdosisprotokoll (LDCT) erfolgen.
„Der primäre Test für die Diagnose von SARS-CoV-2 ist die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) aus dem Rachenraum oder gegebenenfalls der tiefen Atemwege nach Vorgabe des RKIs“, betont der Radiologe. Da für dieses Coronavirus eine Inkubationszeit von circa 14 Tagen und sogar mehr beschrieben sei, könne die PCR im frühen Stadium der COVID-19-Krankheit negativ sein. Vogel-Claussen verwies auf Berichte aus China, die radiologische Befunde in der Zeit dieser diagnostischen Lücke aufzeigen.
Hierbei handelt es sich um eine Fallserie mit 51 COVID-19-Patienten (5) aus Endemiegebieten und mit klinischen Symptomen. Bei 15 von ihnen war der PCR-Test initial negativ. In dieser Serie war die Computertomografie (CT) in 50 von 51 Fällen positiv, nur in einem Fall negativ – bei positiver PCR.
Nach einer weiteren Fallserie mit 1 014 zeigten 75 % der Patienten mit negativen PCR-Ergebnissen (308/413) im Thorax-CT Befunde einer Pneumonie. Nach Analyse von seriellen PCR-Tests betrug die mittlere Intervallzeit zwischen den anfänglichen negativen bis zu den positiven PCR-Ergebnissen 5,1 ± 1,5 Tage. Die Positivraten des PCR-Tests und der Thorax-CT-Bildgebung in dieser Kohorte betrugen 59 % (601/1014) beziehungsweise 88 % (888/1014) für die Diagnose von Patienten mit Verdacht auf COVID-19 (6).
„Bei Verdacht auf COVID-19 und negativer PCR sind typische Thorax-CT-Befunde daher zunächst suggestiv für die Diagnose und müssen durch eine positive PCR in den folgenden Tagen bestätigt werden“, so Vogel-Claussen. Nur bei Verdacht auf COVID-19-Infektion, negativer PCR und klinischer Konsequenz – also Patienten mit ausgeprägter Symptomatik, die eine Hospitalisierung erfordern – könne die Thorax-CT die Diagnose frühzeitig stützen.
CT weder als Screening-Test noch zur Triage geeignet
Die wichtigsten Aufgaben der CT im Rahmen der COVID-19-Pandemie seien die Diagnose von pneumonieassoziierten Komplikationen, die Bewertung des initialen Krankheitsausmaßes sowie die Verlaufsbeurteilung unterstützend zur klinischen Einschätzung in schweren Fällen. Das Lungen-CT sollte weder als Screening-Test noch zur Triage bei Patienten mit nicht schweren oder keinen Symptomen durchgeführt werden, so Vogel-Claussen.
In einer Veröffentlichung der internationalen Fleischner Society wird die Bildgebung empfohlen, um eine schnellere Triage von Patienten in einer ressourcenbeschränkten Umgebung bei hohen Fallzahlen zu unterstützen, wenn keine COVID-19-PCR-Tests mehr verfügbar sind (7). Jedoch erscheine dieses klinische Szenario in Deutschland aktuell bei sinkenden Infektionszahlen und ausreichenden PCR-Testkapazitäten relativ unwahrscheinlich, so Vogel-Claussen. Vielmehr seien CT-Zufallsbefunde (z. B. Verdacht auf Lungenembolie usw.) mit einem suggestiven Muster für COVID-19-Pneumonie zunehmend, die vom Radiologen erkannt werden und dann durch einen PCR-Test bestätigt werden müssen. „Der Einsatz der CT richtet sich nach der klinischen Bewertung von Patienten mit respiratorischen Symptomen wie Dyspnoe und Sauerstoffentsättigung, wobei sich die Indikation nicht allein nach dem Schweregrad der Erkrankung, sondern nach der klinischen Relevanz für das weitere Management des Einzelnen zu richten hat“, heißt es in der DRG-Stellungnahme. Folgende Konstellation sollte gegeben sein:
1. passende klinische Symptome,
2. negativer PCR-Test,
3. hohe individuelle Prätestwahrscheinlichkeit bei hoher lokaler Prävalenz von SARS-Cov-2 und
4. klinische Konsequenz.
Hilfe für eine strukturierte COVID-19-Befundung
Bei Patienten mit ausgeprägter Symptomatik, die eine Hospitalisierung erfordern, können CT-Veränderungen, die suggestiv für COVID-19 sind, diese die Diagnose zunächst aufzeigen, muss dann aber durch serielle PCR-Tests bestätigt werden. „Eine negative CT-Diagnostik schließt COVID-19 nicht aus“, so Vogel-Claussen.
Um die radiologische Bildgebung von Patienten mit Verdacht auf COVID-19-Pneumonie strukturiert befunden zu können, hat die Arbeitsgemeinschaft Thoraxdiagnostik der DRG eine Orientierungshilfe entwickelt (8).
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1720
oder über QR-Code.
1. | STAKOB (RKI): Hinweise zu Erkennung, Diagnostik und Therapie von Patienten mit COVID-19. https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/Stakob/Stellungnahmen/Stellungnahme-Covid-19_Therapie_Diagnose.pdf?__blob=publicationFile (last accessed on 16 April 2020). |
2. | Kooraki S, Hosseiny M, Myers L, et al.: Coronavirus (COVID-19) Outbreak: What the Department of Radiology Should Know. J Am Coll Radiol 2020; 17 (4): 447–51. https://www.jacr.org/article/S1546-1440(20)30150-2/pdf (last accessed on 16 April 2020) CrossRef MEDLINE PubMed Central |
3. | Deutsche Röntgengesellschaft: Information der AG Thoraxdiagnostik der Deutschen Röntgengesellschaft. https://www.drg.de/de-DE/5995/covid-19/ (last accessed on 16 April 2020). |
4. | American College of Radiology (ACR): ACR Recommendations for the use of Chest Radiography and Computed Tomography (CT) for Suspected COVID-19 Infection. https://www.acr.org/Advocacy-and-Economics/ACR-Position-Statements/Recommendations-for-Chest-Radiography-and-CT-for-Suspected-COVID19-Infection (last acc essed on 16 April 2020). |
5. | Fang Y, Zhang H, Xie J, et al.: Sensitivity of Chest CT for COVID-19: Comparison to RT-PCR [published online ahead of print, 2020 Feb 19]. Radiology. 2020; 200432. doi:10. 1148/radiol.2020200432 CrossRef MEDLINE |
6. | Ai T, Yang Z, Hou H, et al.: Correlation of Chest CT and RT-PCR Testing in Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) in China: A Report of 1014 Cases [published online ahead of print, 2020 Feb 26]. Radiology. 2020; 200642. doi:10.1148/radiol.2020200642 CrossRef MEDLINE |
7. | Rubin G D, Ryerson C J, Haramati L B, et al.: The Role of Chest Imaging in Patient Management during the COVID-19 Pandemic: A Multinational Consensus Statement from the Fleischner Society. Radiology Published Apr 7, 2020. https://doi.org/10.1148/radiol.2020201365 CrossRef MEDLINE |
8. | AG Thoraxdiagnostik in der Deutschen Röntgengesellschaft: Strukturierter Befund zur nativen CT bei Patienten mit Verdacht auf COVID-19. https://www.ag-thorax.drg.de/media/document/23157/covid-19_strukturierter-befund_natives-ct.pdf (last accessed on 16 April 2020). |
9. | Simpson S, Kay FU, Abbara S, et al.: Radiological Society of North America (RSNA): Radiological Society of North America Expert Consensus Statement on Reporting. Chest CT Findings Related to COVID-19. Endorsed by the Society of Thoracic Radiology, the American College of Radiology, and RSNA. Special Report. https://doi.org/10.1148/ryct.2020200152 (last accessed on 16 April 2020) CrossRef |
Riegel, Thomas