ArchivDeutsches Ärzteblatt18/2020Interview mit Prof. Dr. Dr. med. Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Ko-Leiterin der Abteilung für Klimaresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: „Ärzte könnten zu wichtigen Akteuren des Wandels werden“

MEDIZINREPORT: Interview

Interview mit Prof. Dr. Dr. med. Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Ko-Leiterin der Abteilung für Klimaresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: „Ärzte könnten zu wichtigen Akteuren des Wandels werden“

Eckert, Nadine; Maibach-Nagel, Egbert

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Als erste Universitätsprofessorin für Klimawandel und Gesundheit in Deutschland sieht Sabine Gabrysch auch die Ärzteschaft in der Pflicht, im Kampf gegen den Klimawandel mitzuwirken. Sie plädiert für Win-win-Lösungen, die sowohl die Gesundheit der Menschen fördern als auch das Klima schützen.

Was erwarten Sie von einem Arzt in Zeiten des Klimawandels?

Die Ärztin und Epidemiologin Sabine Gabrysch forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Charité zum Thema „Planetary Health“ – für gesunde Menschen auf einem gesunden Planeten. Foto: Greb/PIK
Die Ärztin und Epidemiologin Sabine Gabrysch forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Charité zum Thema „Planetary Health“ – für gesunde Menschen auf einem gesunden Planeten. Foto: Greb/PIK

Es ist unsere Verantwortung als Ärzte, die Gesundheit der Menschen zu schützen – und die Destabilisierung des Klimas ist eine fundamentale Bedrohung für die Gesundheit der Menschheit, ganz direkt über Wetterextreme und indirekt etwa über die Auswirkungen auf Ernten. Entscheidend sind dabei die Wechselwirkungen der verschiedenen planetaren Krisen.

Die dramatische COVID-19-Pandemie etwa hat als Zoonose ihre Ursachen auch darin, wie tief die Menschen heute in die Natur eingreifen. Und ihre Folgen gehen weit über die Gesundheitsrisiken hinaus, die resultierende Wirtschaftskrise kann etwa in armen Ländern die Ernährungslage verschlechtern. Die Klimakrise fungiert dabei als Risiko-Multiplikator, selbst bei uns: Wären unsere Kliniken voll mit Coronapatienten und träfe dann eine heftige Hitzewelle die Alten und die Kranken, hätte das dramatische Folgen. Auf diese Gefahren müssen wir hinweisen und diesen entgegentreten.

Wie könnte das konkret aussehen?

Eine wichtige Aufgabe der Ärzte ist die Aufklärung. Hier ist die Vermittlung von Win-win-Lösungen wichtig. Was gegen häufige Gesundheitsprobleme wie Übergewicht, Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen hilft, hilft gleichzeitig dem Klima: Etwa Kohlekraftwerke abschalten für saubere Luft, mehr Fahrrad statt Auto fahren, weniger Fleisch und dafür mehr Gemüse essen. Klimaschutz ist Gesundheitsschutz, langfristig sowieso durch den Erhalt unserer Lebensgrundlagen, aber auch schon ganz konkret hier und heute.

Sich darüber zu informieren und dann über die großen Risiken, aber auch die enormen Chancen für die Gesundheit aufzuklären, das ist eine sehr wichtige Rolle für Ärzte. Wir sollten als Anwälte für die Gesundheit unseren Sachverstand in die gesellschaftlichen Debatten einbringen, sei es durch Gespräche, in den sozialen Medien oder durch Vorträge. Wir haben als Ärzte in der Gesellschaft eine hohe Glaubwürdigkeit und könnten zu wichtigen Akteuren des Wandels werden.

Taugt Klimaschutz denn als Argument für gesünderes Verhalten?

Im Bergischen Land gibt es tatsächlich einen Hausarzt, der eine „Klima-Sprechstunde“ macht, also Patienten in der normalen Sprechstunde mit sowohl Gesundheits- als auch Klimaargumenten zu Änderungen des Lebensstils motiviert.

Aber es reicht nicht, das Verhalten zu ändern, sondern wir müssen auch die Verhältnisse ändern. Bei Übergewicht und Diabetes beispielsweise versuchen wir oft, das Problem auf individueller Ebene zu lösen. Es sind aber die Strukturen, die sich in einer Art und Weise gewandelt haben, dass sich immer mehr Menschen ungesund ernähren und weniger bewegen. Deshalb müssen wir auch diese Strukturen wieder verändern – zum direkten Schutz der Gesundheit und zur Verminderung der Klimarisiken.

Sie plädieren also für mehr politisches Engagement der Ärzteschaft?

Ja, wobei das nicht heißt, dass wir uns in Parteipolitik einmischen sollten. Aber wir müssen unsere Stimme erheben in den Debatten über die großen gesellschaftlichen Stellschrauben, die die Gesundheit beeinflussen, wie früher Virchow.

Heute in Zeiten des Klimawandels brauchen wir eine planetare Perspektive. Da geht es gleichsam um Prävention 2.0. Viele Ärzte werden bereits aktiv, zum Beispiel bei Health for Future. Dabei sollten wir uns auch für ein nachhaltiges Gesundheitssystem einsetzen, das klimaneutral ist und wieder den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Das bisherige Modell – immer schneller, höher, weiter – stößt bereits vielfach an seine Grenzen. Wir müssen die Strukturen ändern, die Mensch und Natur verheizen.

Ganz konkret könnten wir uns beispielsweise auch für Divestment einsetzen, also dass die ärztlichen Versorgungswerke ihre Investments aus der Fossilwirtschaft abziehen, wie in vielen Ländern schon geschehen.

Welche Lerninhalte wollen Sie im Rahmen Ihrer Professur an der Charité vermitteln?

Momentan plane ich eine Lehrveranstaltung zu Planetary Health für die Medizinerlehre. Dabei geht es um Wissen, aber auch um einen transformativen Handlungsansatz. Wir müssen die Ärzte befähigen, in der Klimakrise informiert zu handeln, zu Akteuren des Wandels hin zu einer gesünderen, gerechteren und nachhaltigen Welt zu werden. Bei Planetary Health geht es um gesunde Menschen auf einem gesunden Planeten. Das Thema gehört klar in die Ausbildung und auch die Weiterbildung, und das nicht nur für Mediziner, sondern für alle Gesundheitsberufe.

Sie forschen am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), wo liegen Ihre Schwerpunkte?

Ein Schwerpunkt meiner Forschung ist die Ernährung als wichtiges Bindeglied zwischen Umwelt und Gesundheit. Hauptsächlich habe ich bisher in ärmeren Ländern geforscht. In einem Projekt in Bangladesch evaluieren wir eine komplexe Intervention mit Gartenbau, Ernährung und Hygiene, die die Menschen vor Ort in die Lage versetzen soll, Unterernährung auf nachhaltige Weise zu reduzieren und gleichzeitig ihre Resilienz gegenüber Klimaveränderungen zu erhöhen.

Im Rahmen dieses Projekts haben wir auch Blutproben genommen, die nun auf Mikronährstoffe und in einer Kollaboration mit der Charité auch auf epigenetische Veränderungen untersucht werden. Besonders interessiert mich der Einfluss von Unterernährung in der Schwangerschaft auf die spätere Gesundheit des Kindes.

Zusammen mit Kollegen am PIK will ich außerdem untersuchen, wie sich Veränderungen in der Landwirtschaft auf Ernährung und Gesundheit in verschiedenen Bevölkerungsschichten auswirken.

Die Kluft zwischen Reich und Arm spielt bei Ihrer Arbeit eine große Rolle ...

Das stimmt, denn die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit sind zum größten Teil sozial vermittelt. In den ärmeren Ländern schlagen die klimatischen Veränderungen viel stärker auf die Gesundheit durch als in reicheren Ländern. Alles was hilft, Menschen aus der Armut herauszubringen und sie resilienter zu machen, wappnet sie auch gegen den Klimawandel.

Haben Sie auch schon Pläne für Forschungsprojekte in Deutschland?

Hier wird die Entwicklung, Umsetzung und Evaluierung von Win-win-Lösungen im Mittelpunkt stehen. Das könnten zum Beispiel Tranformationsprojekte mit einer größeren Zahl von Städten sein, um herauszufinden, welche Ansätze am besten funktionieren und die meisten Vorteile für die Gesundheit und den Klimaschutz bringen.

Sie betreten mit Ihrer Professur zumindest hier bei uns Neuland.

Im Bereich Public Health und Global Health ist Deutschland nicht wirklich ein Vorreiter, aber es gibt hierzulande zum Glück durchaus auch andere, die dazu forschen. Planetary Health ist ganz neu hier. In anderen Ländern gibt es die Verbindung zwischen Klimawandel und Gesundheit und entsprechende Professuren schon etwas länger.

Die Akteure im Gesundheitswesen hatten bei uns den Klimawandel lange Zeit nicht auf dem Schirm. Und die Klima- und Erdwissenschaftler bezogen die Gesundheit nicht in ihre Überlegungen ein. Aber jetzt kommen diese beiden Bereiche langsam zusammen und entdecken zahlreiche Synergien.

Die Klimabewegung war in vollem Gange, dann kam die Coronakrise und kaum jemand denkt noch über Klimaschutz nach.

Zunächst einmal ist es völlig richtig, wenn jetzt die Coronakrise im Mittelpunkt steht. Dass es zugleich dauerhaft eine Stabilisierung unseres Klimas braucht, ist aber den meisten Entscheidern durchaus klar. Die Pandemie zeigt uns auf schmerzhafte Weise auch ein paar Parallelen zum Klimaproblem auf.

Wir wissen, dass wir uns vorbereiten müssen auf den Anstieg von Coronapatienten, etwa indem wir die Zahl der Intensivbetten und Beatmungsplätze erhöhen. Aber wir müssen vor allem verhindern, dass die Epidemie komplett außer Kontrolle gerät, denn bei einer extrem hohen Zahl an Intensivpatienten in kurzer Zeit würde das Gesundheitssystem überwältigt. Und ähnlich ist es mit dem Klimawandel: Wenn er außer Kontrolle geraten und eine bestimmte Dimension erreichen würde, dann könnten wir uns an die Folgen nicht mehr anpassen.

Das heißt, wir sollten aus der Coronakrise für die Klimakrise lernen?

Wir müssen die Folgen, die wir nicht mehr vermeiden können, weil der Klimawandel schon im Gange ist, bewältigen. Aber vor allem müssen wir das Unbewältigbare verhindern. Ebenso wie die Coronakrise können wir die Klimakrise nur durch globale Zusammenarbeit lösen. Und wir in den reichen Ländern haben dabei eine enorme Verantwortung.

Bei Corona ist allen klar, dass jeder Tag zählt. Ganz ähnlich ist es – auf anderen Zeitskalen – beim Klimawandel. Jeder Monat, jedes Jahr zählt. Man muss heute handeln, um die schlimmsten Folgen in der Zukunft zu vermeiden. Die Zeit, in der wir das noch schaffen können, läuft uns davon. Vielleicht ist die Coronakrise auch eine Gelegenheit für eine Wende, um die andere und auf Dauer leider noch größere Krise des Planeten zu bewältigen.

Das Interview führten Nadine Eckert und Egbert Maibach-Nagel.

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