ArchivDeutsches Ärzteblatt18/2020SARS-CoV-2: Triage für den Impfstoff

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SARS-CoV-2: Triage für den Impfstoff

Schmedt, Michael

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Michael Schmedt, Stellv. Chefredakteur
Michael Schmedt, Stellv. Chefredakteur

Die Schlagzeile „Wettlauf mit dem Virus“ liest man allenthalben in den Medien. Die große Frage lautet, wann ein Medikament zur Therapie gegen COVID-19 gefunden ist und wann vor allem ein Impfstoff zur Verfügung steht. Auf eine Herdenimmunität kann man bei 80 Millionen Bundesbürgern nicht warten. Daher setzt die Bundesregierung konsequent auf die Strategie der bestmöglichen Eindämmung der Virusverbreitung mit all den damit einhergehenden Einschränkungen für das gesellschaftliche Leben.

Weltweit gibt es dem Verband der forschenden Arzneimittelhersteller zufolge inzwischen 97 Projekte, die an Vakzinen gegen das SARS-CoV-2 arbeiten. Auf der Impfstoffliste der Weltgesundheitsorganisation finden sich bereits 83. Die deutsche Firma Biontech hat für ihren Impfstoffkandidaten vergangene Woche grünes Licht vom Paul-Ehrlich-Institut für eine klinische Studie bekommen. Damit ist das Mainzer Unternehmen eines von fünf Unternehmen weltweit, die diese Hürde genommen haben.

Unter den potenziellen Therapeutika steht momentan das experimentelle Ebola-Medikament Remdesivir im Fokus. Die Weltgesundheitsorganisation räumte der Forschung an diesem und weiteren therapeutischen Kandidaten bereits im Januar Priorität ein. Erste Medienberichte sprechen von großen Erfolgen, dann berichtete die Financial Times über schlechte Ergebnisse einer chinesischen Studie. Status quo kann man schlicht nicht sagen, ob das Mittel zuverlässig bei schweren Verläufen von COVID-19 hilft.

Fakt ist, dass weltweit Pharma-, Biotechfirmen und Forschungsinstitute in beeindruckender Zusammenarbeit an Impfstoffen und Medikamenten forschen. Die Medien greifen jede neue Entwicklung als Eilmeldung auf, die Schlagzeilen reichen von sensationslustigen „So will dieser deutsche Arzt Corona besiegen“ bis hin zu nüchternen „Erste Studie zu Coronaimpfstoff“.

Was allerdings viel zu selten zur Sprache kommt, ist die Frage, was geschieht, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, an dem es einen Impfstoff oder ein Medikament wirklich gibt. Zerbricht dann die internationale Zusammenarbeit in der Forschung, weil viele Fragen nicht beantwortet sind? Werden die Kenntnisse geteilt? Wo werden die Mittel mit welchen Kapazitäten gefertigt? Wer entscheidet darüber und über die Verteilung? Gibt es Patentschutz? Wer wird zuerst geimpft?

Diese Fragen machen deutlich, wie komplex und schwierig das Verfahren sein wird. Aus dem bisherigen Verlauf der Krise sollte man gelernt haben, dass solche erwartbaren Entwicklungen frühzeitig diskutiert und wohl auch verhandelt werden müssen. Ein Beispiel des drohenden Egoismus gab es bereits Mitte März, als die US-Regierung – angeblich – versuchte, sich die Exklusivrechte an der Impfstoffforschung des Tübinger Unternehmens Curevac zu sichern. Keine Gerüchte waren dann die zum Teil rabiaten Methoden, mit denen einige Länder auf dem Weltmarkt um Schutzausrüstungen kämpften. Es werden nationale und internationale Vereinbarungen vonnöten sein, mit denen die erfolgreichen Technologien öffentlich zugänglich gemacht werden können. Die Produktionskapazitäten müssen geschaffen und die Kosten der Massenfertigung verteilt werden, sodass nicht nur die reichen Länder profitieren. Wenn man so will, muss eine Triage für die Verteilung des Impfstoffes gegen das SARS-CoV-2 erarbeitet werden. Und das schnell.

Michael Schmedt
Stellv. Chefredakteur

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