POLITIK
Medizinstudium in Pandemiezeiten: Es geht weiter – trotzdem


Ungeachtet der gähnenden Leere in den Hörsälen herrscht bei vielen Medizinstudierenden und Lehrenden Optimismus: Die Ausbildung der Nachwuchsärzte an den Fakultäten läuft, wenn auch zumeist nur virtuell beziehungsweise interaktiv. In vielen Ländern konnten auch die Examina stattfinden.
Eine neue Normalität soll trotz der COVID-19-Pandemie einkehren – auch an den Hochschulen. Am 20. April startete bundesweit das Sommersemester 2020. Die Kultusminister der Länder hatten sich zuvor auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt, wollen den einzelnen Hochschulen aber Freiräume lassen. Das Credo der Minister: Das Sommersemester 2020 wird zwar kein gewöhnliches, aber auch kein verlorenes Semester.
Leere Hörsäle – digitale Lehre
Insbesondere für die Universitätsmedizin ist dies eine Herausforderung. Denn auch hier läuft trotz der zusätzlichen Anstrengungen in Krankenversorgung und Forschung der Lehr- und Prüfungsbetrieb wieder an. Allerdings überwiegend mit digitalen Vorlesungen und interaktiven Lehrformaten und ohne Präsenzveranstaltungen, wie Prof. Dr. med. Matthias Frosch, Präsident des Medizinischen Fakultätentages (MFT), dem Deutschen Ärzteblatt berichtete. Die genehmigten Abweichungen zur ärztlichen Approbationsordnung ermöglichten den Fakultäten die nötigen rechtlichen Freiräume.
„Über eine gemeinsame Plattform, die der MFT gemeinsam mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin kurzfristig geschaffen hat, können die Fakultäten auch untereinander digitale Lehrmaterialien austauschen“, erläutert der MFT-Präsident. Grundlage hierfür sei eine Katalogisierung der Lehrinhalte auf der Basis des bereits implementierten Nationalen kompetenzorienten Lernzielkatalogs Medizin (NKLM). Noch bestehende Lücken im inhaltlichen Angebot sollen kurzfristig geschlossen werden. Koordiniert werde dies von der Medizinischen Fakultät in Göttingen.
Optimismus herrscht auch bei den Medizinstudierenden. Sie sind erfreut über die verschiedenen Initiativen und sehen in der derzeitigen erzwungenen Ausnahmesituation gleichzeitig eine Chance, die langfristig genutzt werden sollte. „Wir begrüßen, dass die Universitäten viele Ressourcen in die nun stattfindende digitale Lehre investieren“, sagt Tobias Löffler, Bundeskoordinator für Medizinische Ausbildung der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), dem Deutschen Ärzteblatt. Viele Studiendekanate seien sehr engagiert. „Wir freuen uns, dass einige von uns vorgeschlagene Lehrmethoden nun umgesetzt werden.“ Auch Medizinstudierende seien an den verschiedenen Standorten in die Entwicklung dieser neuen, digitalen Lehrkonzepte eingebunden.
Jetzt kommt es der bvmd zufolge auf eine bundesweite Umsetzung an. „Wir appellieren an die Verantwortlichen der Fakultäten, die Ressourcen national zu bündeln, um für alle Studierenden schnellstmöglich ein umfassendes digitales Studium zu ermöglichen“, betont Löffler. Die Standortwahl der Studierenden dürfe keinen Einfluss auf ihren Studienverlauf haben. „Außerdem müssen die nun geschaffenen digitalen Konzepte umfangreich evaluiert werden, um sie auch nach der COVI-19-Pandemie nachhaltig weiterzuentwickeln.“
Auch wenn Online-Angebote sicher auch nach der Pandemie Bestandteile des Medizinstudiums sein werden, hofft der MFT, dass – abhängig von den lokalen Vorgaben des Infektionsschutzes – sukzessive auch wieder Präsenzveranstaltungen und praktische Übungen aufgenommen werden können. „Im Augenblick lässt sich allerdings noch nicht abschätzen, wann wir wieder in vollem Umfang ,echten´ Unterricht am Patienten anbieten können“, so Frosch. „Das wird aber hoffentlich noch im Laufe des Sommersemesters möglich sein.“
Logistische Herausforderungen
Trotz der Pandemie möglich war es für viele Studierende bereits kurz vor Semesterbeginn – vom 15. bis 17. April –, das „große“ schriftliche Staatsexamen abzulegen, also den Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung (M2). Logistisch seien das Herausforderungen gewesen, doch die Prüfungen seien unter den veränderten Bedingungen und der Beachtung der zusätzlichen hygienischen Vorgaben ordnungsgemäß gelaufen, berichtet Prof. Dr. med. Jana Jünger, Direktorin des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), dem Deutschen Ärzteblatt.
In fünf Bundesländern fand das Examen nicht wie vorgesehen statt: Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt ließen ihren Medizinstudierenden die Wahl am M2-Examen entweder jetzt teilzunehmen oder erst im nächsten Jahr. Der relativ kleine Teil, der sich für Letzteres entschied, konnte bereits am 20. April ins Praktische Jahr (PJ) starten.
Kein Examen im Süden
Baden-Württemberg und Bayern hatten generell festgelegt, das M2-Examen für alle Kandidaten auf das nächste Frühjahr zu verschieben. Dies hatten viele Studierende heftig kritisiert: Die kurzfristige Verschiebung führe nicht nur zur Ungleichbehandlung der Studierenden in den südlichen Bundesländern, sondern schränke auch die in der Approbationsordnung festgeschriebene PJ-Mobilität ein.
Möglich geworden waren die länderspezifischen Regelungen des sonst bundeseinheitlichen Examens durch eine vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) kurzfristig erlassene „Verordnung zur Abweichung von der Approbationsordnung für Ärzte bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, die am 1. April in Kraft trat. Darin legte das BMG grundsätzlich fest, dass das Examen nach dem vorzeitigen Praktischen Jahr im Frühjahr 2021 stattfindet. Gleichzeitig eröffnete es den Bundesländern die Möglichkeit, je nach epidemiologischer Lage das M2 auch stattfinden zu lassen.
„Wir alle haben uns gewünscht, dass die Examina wie bisher hätten ablaufen können, dies war aber aufgrund der pandemischen Situation nicht möglich“, erklärt Jünger. „Wir zollen den intensiven und schwierigen Entscheidungen in den Ministerien der Länder und dem Bund höchsten Respekt und erkennen an, dass Abwägungen je nach Risikolage und der Situation in den Ländern zu unterschiedlichen Entscheidungen geführt haben.“
Die Prüfungen fanden in den Bundesländern an verschiedenen Orten statt: teilweise wie geplant in großen Hallen, jedoch mit ausreichendem Sicherheitsabstand, teilweise auch in Hotels, wobei jedem Studierenden ein eigenes Zimmer zugeteilt wurde. Die logistischen Herausforderungen hätten die Examenskandidaten jedoch nicht stark beeinflusst, heißt es bei der bvmd.
Die Studierenden, die ihr Examen jetzt nicht schreiben konnten oder wollten und ins vorzeitige PJ gegangen sind, sollen am M2 im Frühjahr 2021 teilnehmen. Unterschiedliche Prüfungsfragen soll es nach aktueller Gesetzeslage aber nicht für sie geben, erläutert Jünger. „Um Studierenden unterschiedliche Examina anbieten zu können, müsste erneut von der Approbationsordnung abgewichen werden“, erklärt sie. Dafür gebe es jedoch keine Anzeichen.
Nach der Abweichungsverordnung des BMG sollen jedoch auch die berufspraktischen Anforderungen an die Ärzte während einer Pandemie sowie die Krankheitsbilder, die im Zusammenhang mit der Bekämpfung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite stehen, Prüfungsgegenstand sein. „Die Inhalte werden in angemessener Weise im Examen vertreten sein“, sagt Jünger. Das IMPP habe bereits eine Expertengruppe eingerichtet, die sich mit der geforderten Anpassung der Prüfungsinhalte befassen wird. „In Zusammenarbeit mit den IMPP-Sachverständigen, dem MFT, den Fachgesellschaften und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst erstellen wir ein Lernskript hinsichtlich dieser Prüfungsinhalte“, erläutert die IMPP-Direktorin.
Um den betroffenen Studierenden sechs bis zehn Wochen Vorbereitungszeit zu garantieren, hat das BMG die Dauer des vorzeitigen Praktischen Jahres von 48 auf 45 Wochen verkürzt. Dennoch haben viele Studierende die Sorge, dass sie durch die zeitlich engere Verknüpfung von M2- und M3-Examen und damit verbundener hoher emotionaler Belastung Nachteile erleiden könnten.
Keine Nachteile durch frühes PJ
Davon sei nicht zu auszugehen, meint jedoch Jünger. „Die Unabhängigkeit der Examensergebnisse von der zeitlichen Terminierung des M2-Examens wurde bereits 2010 durch ein Forschungsteam der Ludwig-Maximillian-Universität um Prof. Dr. med. Martin Fischer gezeigt.“ Und es bestätigten auch die Auswertungen des IMPP. „Es ist somit zu erwarten, dass die Studierenden, die das M2-Examen erst im Frühjahr 2021 absolvieren, mindestens so gut abschneiden wie die Studierenden, die jetzt das M2-Examen geschrieben haben“, nimmt die IMPP-Direktorin an.
Auch in Bezug auf die Einführung des neuen Gegenstandskatalogs für den Zweiten Abschnitt der Medizin (GK-2), der ursprünglich ab dem Frühjahrsexamen 2021 gültig sein sollte, werde es keine Nachteile für die Teilnehmer geben, die ihr PJ vor dem M2-Examen ablegen. Jünger: „Wir werden die Einführung des neuen GK-2 um ein Jahr verschieben, also auf das im Frühjahr 2022 geplante M2-Examen.“
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann