ArchivDeutsches Ärzteblatt18/2020COVID-19-Krise: Falsch-Positiv-Rate als Problem

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COVID-19-Krise: Falsch-Positiv-Rate als Problem

Hess, Clemens F.

Reaktionen zur COVID-19-Berichterstattung in den DÄ-Ausgaben 14 bis 16/2020:
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Auch das Deutsche Ärzteblatt berichtet über die vielfältigen Stellungnahmen von „Experten“ der verschiedensten Fachrichtungen, die sich einzeln oder in „Expertenräten“ ... geäußert haben. Beschrieben werden die unterschiedlichsten Sichtweisen fast aller möglichen Aspekte. … Obwohl von allen übereinstimmend gefordert, ist aber vollkommen unklar, welche Daten nach welcher Konzeption, mit welchem Ziel und von wem erhoben und ausgewertet werden und wer diese Maßnahmen koordiniert. Das kann man angesichts der bisherigen Größenordnung von wohl über einer Million Virustests kaum verstehen. Manifest – und für die Bevölkerung auch gefährlich – wird dies bei der Diskussion, wie die zunehmend auch kommerziell erhältlichen Antikörpertests angewendet werden sollen. In der Zusammenfassung des John Hopkins Center for Health Security wird … nur ein Antikörpertest aufgeführt, bei dem die wesentlichen Kenngrößen dieser Tests – die Richtig- und Falsch-Positiv-Raten (RP und FP) – an durch PCR-Virustests gesicherten Personen zuverlässig bestimmt wurden. Bei 128 Virus-positiven und 250 negativen Patienten in China ergaben sich ein RP = 93,8% und ein FP = 4,4%.

Wie mittlerweile auch in nature.com thematisiert, ist … die Falsch-Positiv-Rate problematisch. Was bedeutet das aber in welcher Konstellation konkret? Wie man durch die Berechnung des „positive predictive value (PPV)“ mithilfe der „Bayes-Formel“ leicht zeigen kann, wird ein Antikörpertest mit einem FP von 5 % mehr als 98 % aller positiv getesteten Personen fälschlicherweise als immun ausweisen, wenn die Durchseuchung nur eine von 1 000 Personen betrifft. Nur FP Raten unter 1 % werden – und das nur bei höherer Durchseuchung (über 1:10) – hinreichend zuverlässige Aussagen (über 95 %) erlauben. Das bedeutet aber, dass zunächst massenweise longitudinale Testungen des Virus- und Antikörperstatus in vielfältigen Kollektiven unverzichtbar sind – was bei der derzeit verfügbaren Testkapazität doch möglich sein sollte. Diese können auch nicht ersetzt werden durch komplexe mathematische Modelle (z. B. den „Reproduktionsfaktor“ R0) – die im Übrigen in der klinischen Medizin kaum je ihren Praxistest bestanden haben. Datenerhebung und -auswertung könnten dann von den Universitätskliniken sicher geleistet werden, die Koordination durch die DFG. Diese verfügt über einen Milliardenetat, die Universitäten über das qualifizierte Personal – mit (bisher in den „Expertenräten“ vermisster) Kompetenz für klinische Studien und Medizinische Statistik.

Prof. em. Dr. rer. nat. Dr. med. Dipl. math. Clemens F. Hess, 37085 Göttingen

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