ArchivDeutsches Ärzteblatt19/2020COVID-19: Anwendung antiviraler Arzneimittel
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Zur Arzneimitteltherapie von COVID-19-Patientinnen und -Patienten liegen derzeit keine hinreichenden Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit aus klinischen Prüfungen vor. Daher ist es wichtig, sich regelmäßig über die aktuellen Anwendungsempfehlungen zu informieren.

Foto: magraphics/stock.adobe.com
Foto: magraphics/stock.adobe.com

Weltweit sind bislang über 700 Studien zu unterschiedlichen medikamentösen Therapieansätzen bei COVID-19 registriert (1). Informationen zu den vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Deutschland genehmigten klinischen Prüfungen finden sich im Europäischen „Clinical Trials Register“ (2). Seit Januar dieses Jahres nimmt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fortlaufend eine Priorisierung der vielversprechendsten Kandidaten für klinische Studien, mit dem Fokus auf Wirkstoffen mit antiviraler Aktivität, vor.

Auf dieser Grundlage und basierend auf ersten positiven In-vitro- und In-vivo-Daten hat das Bundesministerium für Gesundheit einige Arzneimittel – Lopinavir/Ritonavir, Hydroxychloroquin, Chloroquin, Favipiravir und Camostat – zentral beschafft, bei denen klinische Prüfungen bereits laufen oder begonnen werden. Grundsätzlich können diese Arzneimittel zur Behandlung von COVID-19-Patientinnen und -Patienten innerhalb von klinischen Prüfungen oder im Rahmen eines individuellen Heilversuchs beziehungsweise im Off-Label-Use eingesetzt werden (3).

Fachübergreifend abgestimmte Therapiehinweise

Auf der Webseite des Robert Koch-Instituts (RKI) findet sich eine Handreichung für Ärztinnen und Ärzte mit dem Titel „Hinweise zu Erkennung, Diagnostik und Therapie von Patienten mit COVID-19“ (4). Diese wurden durch den Ständigen Arbeitskreis der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger (STAKOB) beim RKI unter Mitwirkung der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, dem BfArM und dem PEI erstellt.

Neben Therapiehinweisen zu supportiven Maßnahmen wird ergänzend auch auf die oben genannten, bevorrateten Arzneimittel eingegangen. Für keines dieser Arzneimittel gibt es bisher Informationen zum optimalen Zeitpunkt der Anwendung oder hinreichende Belege für deren Wirksamkeit und Sicherheit bei COVID-19-Patienten. Demzufolge besteht derzeit auch für keines dieser Arzneimittel in Deutschland oder der EU eine Zulassung für die Prophylaxe oder Behandlung von COVID-19.

Aufgrund der bisher fehlenden Evidenz vertritt der STAKOB gemeinsam mit den beteiligten Fachgesellschaften die einstimmige Meinung, dass die Anwendung dieser Arzneimittel bei Patientinnen und Patienten mit COVID-19 nur im Rahmen klinischer Studien erfolgen sollte. Sofern dies nicht möglich ist, kann im Einzelfall bei schweren Verläufen in stationärer Behandlung ein individueller Heilversuch beziehungsweise ein Off-Label-Use durch die behandelnden Ärzte erwogen werden. Vor Einsatz dieser Arzneimittel muss eine sehr sorgfältige individuelle Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses unter Berücksichtigung der Begleiterkrankungen erfolgen.

Individueller Heilversuch und Off-Label-Use

Ein individueller Heilversuch liegt bei Anwendung eines zulassungspflichtigen, aber noch nicht (oder nur außerhalb Deutschlands) zugelassenen Arzneimittels im Einzelfall und mit Zustimmung der betreffenden Patientin beziehungsweise Patienten vor, wenn alle übrigen Therapieoptionen ausgeschöpft sind und die/der Behandelnde basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen einen Nutzen für den Patienten vermutet. Off-Label-Use beschreibt die Anwendung eines in Deutschland zugelassenen und damit arzneimittelrechtlich verkehrsfähigen Arzneimittels in einer anderen als der zugelassenen Indikation, Population und/oder Dosierung.

In beiden Situationen obliegt den Behandelnden die Verantwortung zur

  • regelmäßigen Prüfung gleichwertiger Alternativen,
  • sorgfältigen Aufklärung der Patienten oder deren legaler Vertreter,
  • Einholung des Einverständnisses der Patienten oder deren legaler Vertreter (informed consent),
  • regelmäßigen und aktiven systematischen Suche nach Informationen über Risiken und unerwünschte Wirkungen des angewendeten Arzneimittels,
  • kontinuierlichen Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses für die Patienten und
  • ausführlichen Dokumentation sämtlicher Informationen in der Patientenakte.

Unter bestimmten Voraussetzungen können noch nicht zugelassene Arzneimittel im Rahmen sogenannter Arzneimittelhärtefallprogramme an schwer erkrankte Patienten abgegeben werden. Härtefallprogramme werden von den Bundesoberbehörden veröffentlicht, beispielsweise vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (5).

Obwohl für einen Teil dieser in Untersuchung befindlichen Arzneimittel langjährige Erfahrungen zum Sicherheitsprofil aus den Indikationen, für die sie zugelassen sind, existieren, können bei der Behandlung von COVID-19 bislang unbekannte unerwünschte Wirkungen neu auftreten, die an das BfArM oder das PEI zu melden sind (6).

Aufgrund der bisher sehr begrenzten Datenlage ist bei Einsatz aller dieser Arzneimittel eine Dokumentation des klinischen Verlaufs der Patienten unbedingt empfohlen. Es stehen verschiedene Datenbanken und Studien zur Verfügung (7, 8, 9, 10).

Im Bedarfsfall sollte bei infektiologischen Fragestellungen je nach Komplexitätsgrad mit dem nächstgelegenen Universitätsklinikum, infektiologischen Zentrum (11) oder STAKOB-Behandlungszentrum (12) zur individuellen Falldiskussion und Beratung Kontakt aufgenommen werden. Der STAKOB wird bis zum Ende des Jahres für die infektiologische Beratung im Zusammenhang mit COVID-19 zusätzliche Kapazitäten vorhalten, gegebenenfalls auch unter Nutzung moderner telemedizinischer Plattformkonzepte.

Therapieempfehlungen richten sich nach aktueller Datenlage

Zusammenfassend lässt sich sagen: Zum jetzigen Zeitpunkt wird bei unkomplizierter COVID-19-Erkrankung eine rein symptomatische Therapie unter klinischer Verlaufskontrolle empfohlen. Bei schwerwiegenderen Krankheitsverläufen steht die intensivmedizinische Unterstützung einschließlich spezieller Organersatzverfahren im Vordergrund (siehe Empfehlungen der jeweiligen Fachgesellschaften). Für antivirale Arzneimittel fehlt gegenwärtig der Beleg von Wirksamkeit und Sicherheit bei COVID-19. Daher wird diesbezüglich keine allgemeine Therapieempfehlung gegeben. Die Anwendung antiviraler Arzneimittel sollte im Rahmen von Studien und, nur wenn dies nicht möglich ist, im Einzelfall nach sehr sorgfältiger Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses unter stationären Bedingungen erfolgen. Aufgrund der immensen Forschungsaktivität ist damit zu rechnen, dass bei Änderung der Datenlage die Therapieempfehlungen kurzfristig angepasst werden, sodass jeweils eine aktuelle Prüfung der oben genannten Informationsquellen erforderlich ist.

Michaela Niebank, Regine Lehnert,

Dr. med. Bettina Klug, PD Dr. med. Timo Wolf

für den STAKOB und die beteiligten Fachgesellschaften

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1920
oder über QR-Code.

Informationsquellen für Behandelnde

Um Ärztinnen und Ärzte bei der Abwägung von Arzneimittelanwendungen im Einzelfall zu unterstützen, haben verschiedene Verbände auf ihren Webseiten Informationen zusammengestellt und stellen diese den Behandelnden zur Verfügung:

  • Die Zusammenfassung der Studienlage zu den Arzneimitteln sowie Angaben zu den Dosierungen finden sich auf der Webseite des Robert Koch-Instituts. Zusammengestellt sind zudem Informationen zu Ansteckung, klinischer Symptomatik, Diagnostik und Therapie bei COVID-19. In einer tabellarischen Übersicht finden sich zudem potenziell wirksame antivirale und immunmodulatorische Arzneimittel.

www.rki.de/covid-19-therapie-stakob

  • Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte stellt auf seiner Webseite Handreichungen zu den bevorrateten Arzneimitteln mit sicherheitsrelevanten Hinweisen bereit. Diese ersetzen nicht die vollständigen Informationen in den jeweiligen Fachinformationen; für die nicht in Deutschland erhältlichen Arzneimittel sind deutsche Übersetzungen dieser den Handreichungen beigefügt.

www.bfarm.de/corona

  • Mögliche Arzneimittelinteraktionen der verschiedenen antiviralen Arzneimittel sind auf einer eigens dafür eingerichteten Plattform der University of Liverpool einsehbar. Die Unterlagen sind in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Basel und dem Universitätsklinikum Radboud in Nijmegen entstanden. Im Mai soll die Webseite noch durch einen Interaktionscheck ergänzt werden.

www.covid19-druginteractions.org

1.
http://apps.who.int/trialsearch
2.
www.clinicaltrialsregister.eu
3.
www.rki.de/covid-19-arzneimittelbevorratung
4.
www.rki.de/covid-19-therapie-stakob
5.
www.bfarm.de/haertefallprogramme
6.
https://humanweb.pei.de
7.
www.leoss.net
8.
www.capnetz.de
9.
https://studycenter.charite.de/corona/
10.
https://isaric.tghn.org
11.
www.dgi-net.de
12.
www.rki.de/stakob
1.http://apps.who.int/trialsearch
2.www.clinicaltrialsregister.eu
3.www.rki.de/covid-19-arzneimittelbevorratung
4.www.rki.de/covid-19-therapie-stakob
5.www.bfarm.de/haertefallprogramme
6.https://humanweb.pei.de
7.www.leoss.net
8.www.capnetz.de
9.https://studycenter.charite.de/corona/
10.https://isaric.tghn.org
11.www.dgi-net.de
12.www.rki.de/stakob

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote