ArchivDeutsches Ärzteblatt PP5/2020Klimawandel und psychische Gesundheit: Ein relativ neuer Stressfaktor

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Klimawandel und psychische Gesundheit: Ein relativ neuer Stressfaktor

Sonnenmoser, Marion

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Der Klimawandel und die damit einhergehenden Gefährdungen lösen bei vielen Menschen Aktivismus sowie negative und destruktive Emotionen und Haltungen aus. Der Umgang damit kann als psychische Belastung eingestuft werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind noch rar.

Foto: picture alliance/Florencia Martin/dpa
Foto: picture alliance/Florencia Martin/dpa

Das globale Klima schwankte im Verlauf der Erdgeschichte immer wieder zwischen warmen und kalten Perioden. Ursächlich hierfür waren unter anderem Vulkanismus und Erosionen, die zu wechselnden Konzentrationen und Zusammensetzungen von Treibhausgasen in der Atmosphäre führten. Daneben gab es viele weitere natürliche Faktoren wie etwa Sonneneinstrahlung und die Verschiebung der Kontinente, die das Klima auf der Erde beeinflussten.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde erstmals festgestellt, dass das Klima nicht nur natürlichen, sondern auch künstlichen, durch Menschen erzeugten Einflüssen unterliegt. Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass der gegenwärtige Klimawandel in erster Linie vom Menschen verursacht wird. Seit der industriellen Revolution werden durch menschliche Aktivitäten so viele Treibhausgase (vor allem Kohlenstoffdioxid, CO2) ausgestoßen und in die Erdatmosphäre freigesetzt, dass der natürliche Treibhauseffekt verstärkt wird und sich das globale Klima erwärmt.

Klimaerwärmung weltweit

Noch vor einigen Jahren bemerkte man kaum etwas davon, doch heute sind weltweit zum Teil deutliche, klimawandelbedingte Veränderungen zu beobachten. Dazu zählen hauptsächlich die Erhöhung der Durchschnittstemperaturen sowie die Erwärmung der Weltmeere. Infolge solcher Veränderungen treten verschiedene Phänomene gehäuft auf wie zum Beispiel Wirbelstürme, Hitzewellen, Waldbrände, Wasserknappheit, Starkregen, Überflutungen, Trockenheit, Missernten und der Anstieg des Meeresspiegels. Eine anhaltende oder weiter ansteigende Klimaerwärmung könnte nach Meinung von Klimaexperten mit erheblichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen für den Menschen einhergehen.

Obwohl wissenschaftliche Erkenntnisse über psychische Klimawandelfolgen noch rar sind, ist unschwer zu beobachten, dass der Klimawandel und die damit einhergehenden Gefährdungen bei vielen Menschen Aktivismus und kaum positive Emotionen wie Hoffnung auslösen. Stattdessen überwiegen negative und destruktive Emotionen und Haltungen wie zum Beispiel:

  • Ohnmacht und Hilflosigkeit: Sie entwickeln sich, wenn eine Person meint, dass sie nicht über ausreichend Mittel verfügt, um das Klima wirksam zu schützen, und andere mit mehr Einflussmöglichkeiten nicht effizient und koordiniert genug vorgehen.
  • Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit: Sie entstehen aus der Mutmaßung, das es ohnehin keine Rettung für dass Klima und damit für die Menschheit geben wird.
  • Kontrollverlust: Er entwickelt sich aus dem Gedanken, keinerlei Einfluss auf den Klimawandel zu haben.
  • Ängste und Panik: Sie können ausgelöst werden durch die Vorstellung, dass die Menschheit und alles Leben auf der Erde durch den Klimawandel ausgelöscht werden oder das eigene Leben oder das der Kinder und Enkel bedroht und massiv eingeschränkt wird (dies wird manchmal als „Klima-Angst“ bezeichnet).
  • Verlust und Trauer: Sie treten auf, wenn zum Beispiel ein Stück Natur oder Heimat verloren geht (dafür wurden Begriffe wie „ökologische Trauer“ und „Sostalgie“ geprägt).
  • Wut, Verärgerung und Frustration: Sie können sich einstellen, wenn der Eindruck vorherrscht, dass nicht genug für den Klimaschutz getan wird, obwohl das Problem immer dringender wird.
  • Gefühle von Ungerechtigkeit und Benachteiligung: Sie entwickeln sich, wenn festgestellt wird, dass einige Personen, Unternehmen oder Nationen und eventuell man selbst etwas für den Klimaschutz tun und andere nicht, wobei letztere deshalb nicht belangt werden.
  • Überforderung: Sie stellt sich ein, wenn eine Person sich von den vielen Forderungen, Informationen und Verhaltensregeln hinsichtlich Klimaschutz überfrachtet fühlt.
  • Aggressionen: Sie gehen oft mit ideologisch und quasireligiös aufgeladenen Haltungen hinsichtlich Klimaschutz einher und treten zum Beispiel auf, wenn klimaschädliches Handeln von Personen, Unternehmen oder Staaten beobachtet wird (eine in diesem Zusammenhang oft zu lesende Bezeichnung ist „Klimasünder“).
  • Scham und Schuldgefühle: Sie werden ausgelöst durch die Diskrepanz zwischen Wissen um klimaschädliches Verhalten und tatsächliches Verhalten (hier fällt zum Beispiel häufig der Begriff „Flugscham“).
  • Reaktanz: Sie kann sich angesichts ständiger Ermahnungen und Aufforderungen, sich klimabewusst zu verhalten, entwickeln. Sie geht mit der Haltung einher, dass man sich weder zuständig noch verantwortlich fühlt, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen.
  • Überdruss: Er kann als Reaktion auf die nicht abreißende mediale Berichterstattung über die Klimaerwärmung und den damit einhergehenden immanenten Zwang, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, entstehen.
  • Ignoranz und Verleugnung: Sie zeichnen sich durch ein bewusstes Abschotten gegen Informationen über den Klimawandel, das Verdrängen der Problematik, die Weigerung, sich damit zu befassen, sowie die Behauptung, dass man vom Klimawandel nichts merke oder dass es diesen gar nicht gebe, aus.
  • Zukunftsverdrossenheit: Sie steht in Verbindung mit der Hoffnungslosigkeit und negiert eine positive Zukunft für die eigene Person und die Menschheit.

Abhängig von der Disposition

Foto: herraez/iStock
Foto: herraez/iStock

Angesichts dieser negativen und belastenden Emotionen, Gedanken und Haltungen kann der Klimawandel und der Umgang damit als psychische Belastung eingestuft werden – nicht für jeden, aber doch für viele Menschen. Ob und wie stark sich daraus negative Folgen für die Gesundheit ergeben, hängt nach Angaben der Psychologin Dr. phil. Maxie Bunz und dem Humanökologen Dr. Hans-Guido Mücke vom Umweltbundesamt in Berlin unter anderem „von der individuellen (Prä-)Disposition, Resilienz, dem Verhalten und Anpassungsleistungen ab“.

Als Stressfaktor hat der Klimawandel in seinen Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden einige Gemeinsamkeiten mit anderen Stressoren wie etwa der Verlust eines Angehörigen oder des Arbeitsplatzes, eine schwere Krankheit, eine Trennung oder Scheidung, Unfälle, Gewalterfahrungen oder berufliche Belastungen.

Keine Therapieansätze

Es gibt aber auch Unterschiede: Während herkömmliche Stressoren wie zum Beispiel eine Scheidung oder eine schwere Krankheit als individuelle Probleme oder Probleme bestimmter Gruppen angesehen werden, betrifft der Klimawandel die gesamte Menschheit. Phasen der Trauer oder starker beruflicher Belastungen gelten als überwindbar oder therapeutisch behandelbar, während der Klimawandel als kaum umkehrbar angesehen wird und es noch keine therapeutischen Ansätze für diejenigen gibt, die unter ihm leiden. Mit dem Klimawandel werden sich mehrere Generationen beschäftigen und sein Ende ist nicht absehbar, während herkömmliche Stressoren oft innerhalb von Monaten oder wenigen Jahren abklingen oder verschwinden. Eine Scheidungs- oder Gewalterfahrung kann zudem allein und aus eigener Kraft bewältigt werden, während die Verlangsamung oder Beendigung der Klimaerwärmung nur gemeinsam erreicht werden kann.

Der Stressor Klimawandel kann sowohl kontinuierlich als auch punktuell belasten. Die kontinuierliche Belastung ergibt sich vor allem aus der Dauerpräsenz des Themas in den Medien. Es vergeht kein Tag, an dem der Klimawandel nicht als Schlagzeile oder Meldung, in politischen Talkrunden oder Aktionen im Fernsehen, Radio, Internet und in den Printmedien thematisiert und verbreitet wird. Die Bedrohung durch den Klimawandel ist damit ständig latent vorhanden, ohne dass es ein Entrinnen gibt oder sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird.

Punktuelle Belastungen entstehen beispielsweise angesichts von Meldungen, wonach insbesondere einige einflussreiche Nationen den Schutz des Klimas ungehindert politischen und wirtschaftlichen Interessen unterordnen. So sind die Bemühungen vieler Länder mit sehr hohen CO2-Emissionen wie zum Beispiel Russland, die USA, Saudi-Arabien, Indien oder China bei Weitem nicht ausreichend, obwohl es ihnen weder an Einfluss noch an finanziellen Möglichkeiten mangelt. Außerdem scheint der Klimaschutz für manche Nationen zunehmend nachrangiger zu werden, was sich zum Beispiel im Jahr 2019 zeigte, als die USA unter US-Präsident Donald Trump aus dem Pariser Klimaabkommen austraten und der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro die massiven, immer stärker zunehmenden, illegalen Abholzungen und Brandrodungen im brasilianischen Regenwald als „Teil der Kultur“ verteidigte. Dies könnte Menschen, die zum Beispiel auf der anderen Seite der Erde leben, gleichgültig sein, hätten die USA und Brasilien nicht so einen großen Einfluss auf das globale Ökosystem und somit auf das Klima – daher lösen ihre nationalen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen klimabezogenen Stress bei Menschen auf der ganzen Welt aus.

Hitzewellen machen aggressiv

Foto: herraez/iStock
Foto: herraez/iStock

Dass Menschen, die dauerhaften oder starken akuten Belastungen ausgesetzt sind, psychisch erkranken oder traumatisiert werden können, ist bekannt. Für detaillierte Aussagen darüber, wie sich der Stressor Klimawandel auf Dauer auf die psychische Gesundheit auswirkt, ist es jedoch noch zu früh. Dennoch gibt es verschiedene Studien, die auf ähnliche Folgen wie durch herkömmliche Stressfaktoren hindeuten und eine Ahnung davon vermitteln, was bei zunehmender Klimaerwärmung noch auf die Menschheit zukommen könnte. So wurde zum Beispiel in Ländern wie den USA, Australien oder Afrika nachgewiesen, dass Hitzewellen Aggressionen fördern, streitsüchtig machen und die Kriminalitätsrate ansteigen lassen. Und nach Naturkatastrophen etwa durch Flutwellen, Wirbelstürme oder anhaltende Dürre leiden viele Opfer unter Depressionen, Posttraumatischen Belastungsstörungen, Suchterkrankungen, Ängsten und Suizidgedanken. Psychisch erkrankte Menschen sind davon eher und stärker betroffen als nicht erkrankte, denn nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sind sie „besonders vulnerabel für die Folgen des Klimawandels“.

Sollte sich die Klimaerwärmung fortsetzen, könnten Kämpfe um knappe Ressourcen, große Klimaflüchtlingswellen sowie Epidemien von Infektionskrankheiten und psychischen Erkrankungen in naher Zukunft Realität werden.

Solche Szenarien erfordern die umfassende Vorbereitung von Gesundheitssystemen auf der ganzen Welt. So sind zum Beispiel flexible Einsatzkräfte, Notversorgungsstationen sowie spezialisierte Behandlungsteams in den bereits oder zukünftig betroffenen Katastrophengebieten vonnöten – einige Länder wie die USA oder Australien sind in dieser Hinsicht bereits aktiv geworden und können anderen Ländern als Vorbilder dienen. Die Bevölkerung sollte außerdem darin geschult werden, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Darüber hinaus sollte die psychotherapeutische Versorgung für die Zunahme an psychischen Erkrankungen durch Klimawandelfolgen gewappnet werden. Durch solche und viele andere Maßnahmen könnten Ausmaß und Schwere der Naturkatastrophen besser eingeschätzt werden, es könnten rechtzeitige Evakuierungen erfolgen, die Opferzahlen könnten verhältnismäßig niedrig gehalten und die Opfer könnten schneller medizinisch und psychotherapeutisch behandelt werden.

Auch im Rahmen von Psychotherapien wird es zunehmend erforderlich werden, psychische Störungen wie Ängste, Depressionen oder PTBS (auch) in Verbindung mit dem Klimawandel zu sehen. Das Thema Klimawandel sollte nicht ausgeklammert werden, sondern es sollte den Patienten möglich sein, ihre sie belastendenden Gedanken und Gefühle dazu zu äußern. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. Michael Schonnebeck von der Tagesklinik am Hansaring in Köln rät zu einem psychoedukativen Austausch zwischen Therapeuten und Patienten. Er schreibt: „Ein solcher Austausch benötigt Zeit, Aufmerksamkeit, Gegenseitigkeit und besteht auch aus dem Mitteilen von Empfindungen, Regungen und Stimmungen.“

Als psychotherapeutische Verfahren zur Behandlung von psychischen Auffälligkeiten, die im direkten oder indirekten Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen, eignen sich beispielsweise das Entkatastrophisieren, die Vermittlung von Coping- und Stressmanagement, Methoden der Trauerbewältigung oder ein Resilienztraining. Sie helfen den Patienten dabei, destruktive Emotion in Bezug auf den Klimawandel zu regulieren, ihre Selbsteffizienz und ihren Optimismus zu stärken, eine gesunde innere Distanz zum Thema Klimawandel einzuhalten und einen konstruktiven persönlichen Umgang damit zu finden. Da der Klimawandel ein relativ neuer Stressor ist, der im Vergleich zu anderen Stressoren einige Besonderheiten aufweist (siehe oben), wird es zusätzlich erforderlich sein, bewährte Ansätze und Verfahren entsprechend zu adaptieren und neue zu entwickeln. Marion Sonnenmoser

1.
Bunz M, Mücke H-G: Klimawandel – physische und psychische Folgen. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2017; 60: 632–9.
2.
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN): Stellungnahme zu den Auswirkungen der Klimaveränderungen auf die psychische Gesundheit. Berlin: Pressestelle DGPPN e.V., 27. November 2019.
3.
Miles-Novelo S, Anderson CA: Climate change and psychology: Effects of rapid global warming on violence and aggression. Current Climate Change Reports 2019; 5: 36–46.
4.
Obradovich N, Migliorini R, Paulus MP, Rahwan I: Empirical evidence of mental health risks posed by climate change. PNAS 2018; 115 (43): 10953–8.
5.
Schonnebeck M: Der Klimawandel als prätraumatische Belastungssituation. Psychotherapeut 2020; 65 (1): 14–21.
1.Bunz M, Mücke H-G: Klimawandel – physische und psychische Folgen. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2017; 60: 632–9.
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4.Obradovich N, Migliorini R, Paulus MP, Rahwan I: Empirical evidence of mental health risks posed by climate change. PNAS 2018; 115 (43): 10953–8.
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