ArchivDeutsches Ärzteblatt21/2020Hospitalisierungen von Kindern und Jugendlichen mit COVID-19
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Seit Beginn der SARS-CoV-2 Pandemie wurden in Deutschland 163 175 Erkrankungen und 6 692 Todesfälle (4,1 %) registriert.

SARS-CoV-2-Infektionen verlaufen im Kindesalter meistens mild und gehen mit einer niedrigen Rate an Hospitalisierungen und Intensivtherapien einher (1, 2). Daten zu hospitalisierten Kindern und Jugendlichen in Deutschland liegen bisher nicht vor. Sie sind aus epidemiologischen Gründen aber relevant, um Kenntnisse zur altersabhängigen Krankheitslast zu gewinnen.

Methoden

Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) erhebt seit dem 18. 3. 2020 mit Unterstützung weiterer pädiatrischer Fachgesellschaften deutschlandweit die Daten aller hospitalisierter Kinder mit COVID-19. Sie werden nach Aufklärung und Zustimmung eines Sorgeberechtigten bei nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion in das Register aufgenommen und umfassen Informationen bezüglich Alter, klinischer Symptomatik, Koinfektionen, Komorbiditäten, Therapiemaßnahmen und Outcome. Ein Ethikvotum der Technischen Universität Dresden liegt vor.

Ergebnisse

Vom 18. 3. 2020 bis zum 4. 5. 2020 wurden die Daten von 128 Kindern aus 66 Kliniken erfasst, von denen 96 (78 %) bereits entlassen worden waren. 16 Patienten (13 %) wurden intensivmedizinisch betreut. 85 Kinderkliniken meldeten aktiv, bisher keine Patienten mit COVID-19 behandelt zu haben.In 38 % der Fälle konnte ein Indexpatient identifiziert werden, in 85 % handelte es sich hierbei um die Eltern (Tabellen 1 und 2).

Vorerkrankungen, Therapiemaßnahmen und Outcome der hospitalisierten Patienten mit COVID-19 im Kinder- und Jugendalter in Deutschland*
Tabelle 1
Vorerkrankungen, Therapiemaßnahmen und Outcome der hospitalisierten Patienten mit COVID-19 im Kinder- und Jugendalter in Deutschland*
Fallzahlen nach Bundesländern und Städten (= 4 gemeldete Fälle)
Tabelle 2
Fallzahlen nach Bundesländern und Städten (= 4 gemeldete Fälle)

In 10 % der Fälle lag eine Koinfektion vor, davon 3 virale („respiratory syncytial virus“ [RSV]; Epstein-Barr-Virus [EBV]) und 9 bakterielle. 64 Patienten (50 %) waren weiblich. 47 Patienten (37 %) waren Säuglinge, davon 13 Neugeborene (10 %). 37 (29 %) waren Kleinkinder, 18 (14 %) Schulkinder bis 10 Jahre, 14 (11 %) Kinder/Jugendliche im Alter zwischen 11 und 15 Jahren und 12 (9 %) älter als 15 Jahre. Unter den Säuglingen befanden sich 3 Frühgeborene (26.–32. SSW), die keine oder nur milde Symptome hatten und keiner Intensivtherapie bedurften. Grunderkrankungen lagen bei 26 % aller Kinder vor, jedoch bei 50 % der Kinder mit intensivmedizinischer Behandlung.

Die häufigsten klinischen Symptome waren Fieber/Allgemeinsymptome (67 %), obere Atemwegsinfektion (41 %), Bronchitis/Bronchiolitis (16 %) und/oder gastrointestinale Symptome (17 %). Eine Pneumonie trat lediglich bei 15 % der Kinder auf, Sepsis oder ein sepsisähnliches Krankheitsbild bei 6 %, eine Enzephalitis oder ein akutes Atemnotsyndrom (ARDS) bei 2 %. In 17 % der Fälle wurden keine Symptome dokumentiert. Bei einem Patienten mit Enzephalitis wurde SARS-CoV-2 im Liquor (ohne Pleozytose) nachgewiesen.

Eine invasive Beatmung war in 5 %, eine ECMO-Therapie (ECMO, extrakorporale Membranoxygenierung) bisher nicht notwendig. Einmalig wurde eine gegen SARS-CoV-2 gerichtete antivirale Therapie mit Hydroxychloroquin durchgeführt. Die Dauer des stationären Aufenthalts lag im Median bei 3 Tagen (1–26 Tage).

Diskussion

In Deutschland wurden bis zum 4. 5. 2020 insgesamt 9 657 Patienten im Alter bis 19 Jahre mit COVID-19 gemeldet. Die Anzahl der im DGPI-Survey erfassten hospitalisierten Kinder erscheint im Vergleich zu den Daten der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) (2), die von einer Hospitalisierungsrate von 5,7–20 % bei pädiatrischen Patienten ausgehen, niedrig, zumal ein relevanter Anteil wahrscheinlich aus anderen Gründen hospitalisiert wurde. Vergleichbar hingegen ist der hohe Anteil der Säuglinge, der häufig milde Verlauf der Erkrankung, das Überwiegen von Symptomen einer oberen Atemwegsinfektion und der Anteil an Patienten mit Vorerkrankungen. Auch der Anteil der Verstorbenen (1/102 [Deutschland] versus 3/148 [USA]) ist vergleichbar.

Infektionsketten scheinen bei SARS-CoV-2 anders als bei anderen epidemischen respiratorischen Virusinfektionen primär nicht von Kindern auszugehen. So steckten sich die meisten Kinder in dieser Studie bei ihren Eltern an; auch laut der Daten der CDC (2) infizierten sich 90 % der Kinder bei Haushaltskontakten. Eine Studie aus Island zeigt, dass Kindertagesstätten und Schulen nicht der Ausgangspunkt von Infektionsketten waren (3). In einer französischen Studie steckten Jugendliche während eines COVID-19-Ausbruchs nur 10,9 % ihrer Haushaltsmitglieder an (4). Hierzu passt auch die Mitteilung, dass Kinder keine höhere Viruslast aufweisen als Erwachsene (5). In Deutschland mag unsere Beobachtung auch mit den primären Infektionsketten zu tun haben, die in der ersten Infektionswelle überwiegend von Rückkehrern aus Risikogebieten ausgingen, sowie mit den frühzeitigen Schul- und Kitaschließungen. Gravierende gesundheits- und sozialpolitische Entscheidungen werden derzeit basierend auf Annahmen getroffen, die von der Epidemiologie zum Beispiel der Influenza ausgehen, bei der Kinder ein bedeutsames Reservoir für Infektionen bei Erwachsenen darstellen. Bisher fehlen valide Daten, die dies für die Übertragung von SARS-CoV-2 bestätigen oder nahelegen.

Bemerkenswert ist weiterhin, dass in den ersten Wochen der Ausbreitung von SARS-CoV-2 in Deutschland der Anteil der Kinder und Jugendlichen kontinuierlich bei circa 3 % lag, während sie einen Bevölkerungsanteil von 13 % ausmachen. Ob dies eine Folge von weniger Testungen bei Kindern oder doch von einer geringeren Infektionsrate ist, werden möglicherweise erst serologische Studien zeigen.

Die erste Auswertung des DGPI-Surveys weist Limitationen auf. Auch wenn die Beteiligung von fast 50 % der Kinderkliniken beeindruckend ist, lässt sich ein Reporting Bias (auch im Hinblick auf die präferenzielle Dokumentation besonders schwerer Fälle) nicht ausschließen. Des Weiteren sind die Testindikationen an verschiedenen Standorten unterschiedlich. Die bisherige Fallzahl ist noch zu gering, um allgemeingültige Aussagen zu machen. Allerdings nimmt die Zahl der dokumentierten Fälle wöchentlich erheblich zu, so dass man damit rechnen kann, in absehbarer Zeit belastbare Daten zur Epidemiologie bei hospitalisierten Kindern und Jugendlichen in Deutschland vorlegen zu können.

Jakob Peter Armann, Natalie Diffloth, Arne Simon, Maren Doenhardt, Markus Hufnagel, Andreas Trotter, Dominik Schneider, Johannes Hübner, Reinhard Berner

Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden (Armann, Doenhardt, Berner)
reinhard.berner@uniklinikum-dresden.de

Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz, Klinikum Singen, Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit (Trotter)

Klinik für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar (Simon)

Pädiatrische Infektiologie und Rheumatologie, Zentrum für Kinder und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg (Hufnagel)

Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Klinikum Dortmund gGmbH (Schneider)

Abteilung Pädiatrische Infektiologie, Dr. von Haunersches Kinderspital, Klinikum der Ludwig-Maximilian-Universität München (Hübner)

Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie e.V., Berlin (Diffloth)

Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 22. 4. 2020, revidierte Fassung angenommen: 5. 5. 2020

Zitierweise
Armann JP, Diffloth N, Simon A, Doenhardt M, Hufnagel M, Trotter A, Schneider D, Hübner J, Berner R: Hospital admission in children and adolescents with COVID-19—early results from a national survey conducted by the German Society for Pediatric Infectious Diseases (DGPI). Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 373–4.
DOI: 10.3238/arztebl.2020.0373

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de

1.
Streng A, Hartmann K, Armann J, Berner R, Liese JG: COVID-19 bei hospitalisierten Kindern und Jugendlichen: Ein systematischer Review zu publizierten Fallserien (Stand 31.03.2020) und erste Daten aus Deutschland. Monatsschr Kinderheilkd 2020: 1–12 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.
CDC COVID-19 Response Team: Coronavirus Disease 2019 in Children—United States, February 12-April 2, 2020. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2020; 69: 422–6 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.
Gudbjartsson DF, Helgason A, Jonsson H, et al.: Spread of SARS-CoV-2 in the Icelandic population. N Engl J Med 2020. doi: 10.1056/NEJMoa2006100 (Epub ahead of print) CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.
Fontanet A, Tondeur L, Madec Y, et al.: Cluster of COVID-19 in northern France: a retrospective closed cohort study. www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.04.18.20071134v1 (last accessed on 7 May 2020).
5.
Jones T, Mühlemann B, Veith T, et al.: An analysis of SARS-CoV-2 viral load by patient age. https://virologie-ccm.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc05/virologie-ccm/dateien_upload/Weitere_Dateien/analysis-of-SARS-CoV-2-viral-load-by-patient-age-v2.pdf (last accessed on 7 May 2020).
Vorerkrankungen, Therapiemaßnahmen und Outcome der hospitalisierten Patienten mit COVID-19 im Kinder- und Jugendalter in Deutschland*
Tabelle 1
Vorerkrankungen, Therapiemaßnahmen und Outcome der hospitalisierten Patienten mit COVID-19 im Kinder- und Jugendalter in Deutschland*
Fallzahlen nach Bundesländern und Städten (= 4 gemeldete Fälle)
Tabelle 2
Fallzahlen nach Bundesländern und Städten (= 4 gemeldete Fälle)
1.Streng A, Hartmann K, Armann J, Berner R, Liese JG: COVID-19 bei hospitalisierten Kindern und Jugendlichen: Ein systematischer Review zu publizierten Fallserien (Stand 31.03.2020) und erste Daten aus Deutschland. Monatsschr Kinderheilkd 2020: 1–12 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.CDC COVID-19 Response Team: Coronavirus Disease 2019 in Children—United States, February 12-April 2, 2020. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2020; 69: 422–6 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.Gudbjartsson DF, Helgason A, Jonsson H, et al.: Spread of SARS-CoV-2 in the Icelandic population. N Engl J Med 2020. doi: 10.1056/NEJMoa2006100 (Epub ahead of print) CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.Fontanet A, Tondeur L, Madec Y, et al.: Cluster of COVID-19 in northern France: a retrospective closed cohort study. www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.04.18.20071134v1 (last accessed on 7 May 2020).
5.Jones T, Mühlemann B, Veith T, et al.: An analysis of SARS-CoV-2 viral load by patient age. https://virologie-ccm.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc05/virologie-ccm/dateien_upload/Weitere_Dateien/analysis-of-SARS-CoV-2-viral-load-by-patient-age-v2.pdf (last accessed on 7 May 2020).

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