MEDIZINREPORT
Genbasierte Impfstoffe: Hoffnungsträger auch zum Schutz vor SARS-CoV-2
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Sichere und effektive Impfstoffe gelten als der Schlüssel für die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. Neben konventionellen Ansätzen erlangen genbasierte Verfahren einen neuen Stellenwert. Theoretisch bieten sie Vorteile, ihre Bewährungsprobe steht aus.
Die Impfstoffentwicklung zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 läuft auf Hochtouren. Obwohl der Erreger vor Jahresbeginn praktisch unbekannt war, hatten Pharmaunternehmen und Institutionen Ende März bereits 35 Impfstoffprojekte angemeldet (1). Bis Redaktionsschluss ist ihre Zahl weltweit auf 168 gewachsen (2, 3); 7 davon werden maßgeblich in Deutschland vorangetrieben, 5 werden hierzulande unterstützt (4) (Kasten). Weltweit werden 12 Impfstoffkandidaten bereits in klinischen Studienprogrammen mit Freiwilligen erprobt (Grafik): Eins davon ist Ende April in Deutschland gestartet; im Juni sollen erste Daten von rund 200 gesunden Menschen zwischen 18 und 55 Jahren vorliegen. Weitere klinische Studien sind angekündigt.
Die Unternehmen und Forschungsinstitute arbeiten auf unterschiedliche Impfstofftypen hin (Kasten). Im klassischen Ansatz enthält eine Vakzine als Antigen inaktivierte Viren (Totimpfstoff) oder abgeschwächte Viren (attenuierte Impfstoffe), virale Proteine oder auch Impfviren mit „aufgepflanzten“ SARS-CoV-2-Hüllproteinen. Sie lösen die Immunreaktion mit Bildung von Antikörpern und T-Zellen aus. „Ihr Herstellungsprozess ist aufwendig“, so Prof. Dr. rer. nat. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Langen, der Zulassungsbehörde für Impfstoffe in Deutschland. „Bei den inaktivierten Impfstoffen zum Beispiel müssen die Erreger unter hohen Sicherheitsbedingungen genau spezifiziert werden. Dann wird das Saatgut hergestellt, in großen Mengen angezüchtet und danach erst inaktiviert“ (5).
Genbasierte Impfstoffe mit unterschiedlichen Konzepten
Als schnellere Lösung gelten genbasierte Impfstoffe, bei denen die geschilderten Prozesse entfallen. Seit vielen Jahren verfolgen die Forscher daher das Konzept, den Körper die Impfantigene selbst herstellen zu lassen. Diese mRNA-, DNA- und Vektorimpfstoffe unterscheiden sich in der Art der genetischen Information und wie diese in die Zellen gelangt: Bei Vektorimpfstoffen wird das Genmaterial in harmlose Trägerviren (wie das Modified-Vaccinia-Ankara-Virus) eingebaut, die als Impfstoff injiziert werden (Kasten). Dieser Vakzinetyp wurde zum Schutz vor Dengue-Fieber und Ebola zugelassen.
Demgegenüber enthalten mRNA- und DNA-Impfstoffe „lediglich“ ausgewählte Virusgene in Form von Nukleinsäuren, die den humanen Zellen als Bauanleitung dienen. Sie induzieren die Expression von beliebigen Antigenen und können somit potente humorale als auch zelluläre Immunantworten induzieren. Die Fähigkeit, beide Arme des Immunsystems zu aktivieren, macht nukleinsäurebasierte Impfstoffe sehr attraktiv. Diese Vakzinen haben zudem intrinsische Adjuvanzeigenschaften (6).
„Impfstoffe mit unterschiedlich starker Immunantwort, die sich für Menschen mit geschwächtem Immunsystem, Schwangere oder Kinder eignen, sind wünschenswert. Auch hängt von der verwendeten Methode möglicherweise die Dauer der Immunität ab, zu der eine Vakzine verhilft“, erklärte Cichutek. Da der Körper das Antigen wie eine Kopiermaschine selbst produziert, kann man zudem „nach dem Gentechnikgesetz oder der Biostoffverordnung unter reduzierten Sicherheitsbedingungen arbeiten“, so Cichutek (5). Der Ansatz der genbasierten Impfstoffe gilt auch als vielversprechend, da diese relativ schnell in großen Mengen produziert und – sollte der Erreger mutieren – abgewandelt werden können.
Als weiteres „Plus“ gilt, dass die übertragenen Gene mit dem natürlichen Abbau der Zellen wieder aus dem Körper verschwinden, während die Impfwirkung bleibt.
Bei anderen Immunisierungskonzepten baut man auf gentechnisch oder synthetisch hergestellte, ungefährliche Bestandteile des SARS-CoV-2-Virus (Subunit-Impfstoffe, Peptid-Impfstoffe) (Grafik). Derzeit geht man davon aus, dass sich „eine Handvoll“ Impfstoff-Kandidaten unterschiedlicher Art bei diesem Wettlauf durchsetzen wird.
Nutzen und mögliche Risiken von DNA-Impfstoffen
Für DNA-Impfstoffe wird die DNA-Sequenz des gewünschten Antigens in ein bakterielles Plasmid eingefügt. Das Plasmid wird nach Injektion des Impfstoffs in der Zielzelle aufgenommen und abgelesen; dort soll das fremde Antigen hergestellt werden. Einige DNA-Impfstoffe gelangen durch Elektroporation in die Zielzelle. Dabei sorgen kurze elektrische Impulse im Moment der intramuskulären Impfung dafür, dass die Zellmembranen für die fremde DNA durchlässig werden. DNA-Impfstoffe benötigen in der Regel starke Adjuvanzien, damit sie eine wirksame Immunantwort auslösen können (7). Bisher sind DNA-Impfstoffe nur in der Tiermedizin zugelassen (8).
Als denkbare Nachteile gelten eine zufällige Integration von plasmidischer DNA in das Genom des Wirts: Die Integration könnte eine verstärkte Tumorbildung infolge einer Aktivierung von Onkogenen oder Deaktivierung von Tumorsuppressorgenen induzieren, oder Autoimmunkrankheiten (z. B. Lupus erythematodes) hervorrufen. Cichutek erachtet diese These als entkräftet an: „Wir haben bei den DNA-Impfstoffen lange Jahrzehnte damit verbracht, einem theoretischen Risiko nachzugehen, das sich dann am Tier und in klinischen Prüfungen eigentlich nie bewahrheitet hat“ (5).
Derzeit arbeitet die Pharmamindustrie an DNA-Impfstoffen gegen etwa zwanzig Krankheiten, darunter Influenza, Aids, Hepatitis B und C, Tollwut, humane T-Zell-Leukämie sowie das Zervixkarzinom.
mRNA-Impfungen versprechen ein besseres Sicherheitsprofil
Ein Weg, zufällige DNA-Insertionen zu verhindern, sind Boten-RNA-(mRNA-)basierte Vakzinen. Hierfür werden RNA-Sequenzen ausgewählt und synthetisiert, die Proteine oder Proteinabschnitte (Peptide) des Erregers codieren. Die Verwendung von mRNA als Impfstoff wurde zunächst nur zögernd entwickelt. Das lag vor allem daran, dass RNA-Moleküle sehr schnell enzymatisch abgebaut werden. Als Vorteile erachtet man ein deutlich besseres Sicherheitsprofil und geringere Nebenwirkungen. Aufgrund der definierten Halbwertszeit von mRNA-Molekülen in vivo ist darüber hinaus die Dosierung wesentlich leichter zu steuern als bei DNA (9).
Für die Impfstoffentwicklung zum Schutz vor COVID-19 kommt dem Spikeprotein der Proteinhülle von SARS-CoV-2 eine zentrale Rolle zu. Wie auch bei anderen Coronaviren erfordert der Zelleintritt die konzertierte Aktion von Rezeptorbindung und proteolytischen Prozessierung des trimeren Oberflächen-Spike-Glykoproteins (S).
Für die Impfstoffentwicklung ist es wichtig, die Struktur des S-Proteins von SARS-CoV-2 zu verstehen. Interessant sind dabei bestimmte Epitope, also Molekülabschnitte, gegen die im Zuge einer Immunantwort Antikörper oder T-Zellen gebildet werden. Wissenschaftlerinnen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) berichten in einer aktuellen Publikation, dass es bestimmte Epitope gibt, die zwischen SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 hoch konserviert sind (10). Das könnte bedeuten, dass Impfungen, die auf solche Epitope abzielen, kreuz-protektiv wirken, also Schutz gegenüber verschiedenen Coronaviren und neu auftretenden Virusmutationen vermitteln könnten.
„Die Mutationen und Polymorphismen sind gerade im Spikeproteinbereich nicht so frequent. Wir gehen davon aus, dass sich das Virus pro Zeiteinheit ohne Selektionsdruck eines Impfstoffs nicht dramatisch verändern wird“, erklärt Prof. Dr. med. Ugur Sahin, Geschäftsführer der translationalen Onkologie an der Universitätsmedizin Mainz sowie Gründer und Vorstandschef von BioNTech. Dadurch, dass eine größere Fläche des Spikeproteins als Kandidaten für die Impfentwicklung genutzt würde, könne man davon ausgehen, dass zumindest im Zeitraum von 6, 12, 18 Monaten keine dramatischen Veränderungen beobachtet würden: „Das Virus muss die Fitness behalten, an seinen Rezeptor binden zu können. Dementsprechend kann es sich nicht allzu sehr leisten, aus der Struktur herauszumutieren“, fasst Sahin zusammen (5).
Nachdem ein scheinbar sehr gutes Target für Impfstoffe identifiziert ist, muss der Impfstoff aber auch an sein Ziel im Körper gelangen. Da mRNA in vivo relativ instabil ist, wird sie zur Impfstoffherstellung mit bestimmten Lipidstoffen so umhüllt, dass letztlich sogenannte Lipidnanopartikel (LNP) mit mRNA entstehen. Diese LNP sind nach Injektion stabil und können zusammen mit der mRNA in Zellen eindringen. Das von den Zellen mithilfe der mRNA gebildete Antigen wird Immunzellen präsentiert und löst die Produktion von neutralisierenden Antikörpern sowie von spezifischen T-Zellen aus.
Zwar lässt sich durch LNP die Invivo-Lebensdauer der mRNA verlängern, allerdings können erhebliche Modifikationen auch mit einer verringerten Effizienz der Impfstoffe einhergehen. Hierbei gilt es, eine gute Balance zu finden: Denn die Immunantwort darf weder zu stark noch zu schwach ausfallen.
„Das war ein Schwerpunkt unserer Forschung in den letzten 10 Jahren“, erklärt Sahin. „Die RNA muss so beschaffen sein, dass sie auch dann, wenn sie in geringen Mengen in den Körper gelangt, in ausreichender Menge in ein Protein übersetzt wird. Wir benötigen mittlerweile nur noch millionstel Gramm mRNA, um die gewünschte Wirkung zu erreichen. Und das ist jetzt besonders wichtig, da wir sehr schnell für viele Menschen einen Impfstoff benötigen“, erklärt Sahin weiter. „Das heißt, wenige Kilogramm mRNA-Wirkstoff könnten ausreichen, um viele Millionen Menschen zu
Dosisfindung kann sich um Zehnerpotenzen unterscheiden
Allerdings gibt es bei der genauen Dosierung noch Unsicherheit. Sie könne zwischen einem ein- und dreistelligen Mikrogrammbereich liegen. „Und dadurch, dass wir zwei Zehnerpotenzen Unterschied haben können, bedeutet das auch für die Grundmenge an Material, was man herstellen muss, ganz unterschiedliche Voraussetzungen.“ Diese Frage könne aus seiner Sicht wahrscheinlich sicherer „im Juni, Juli, August“ beantwortet werden.
Vom Biotechunternehmen CureVac aus Tübingen, kommt in diesem Zusammenhang jedoch bereits jetzt eine gute Nachricht. Das Unternehmen hat bekannt gegeben, dass sein mRNA-Impfstopffkandidat bei präklinischen Versuchen bereits bei einer Dosierung von 2 µg positive Ergebnisse erzielen konnte. „Es ist bemerkenswert, dass wir mit dem Impfstoffkandidaten in der Lage waren, derart gute Resultate mit einer solch niedrigen Dosis zu erzielen. Die Ergebnisse verdeutlichen erneut das Potenzial unserer mRNA-Technologie“, so Dr. Mariola Fotin-Mleczek, Chief Technology Officer von CureVac. Das Unternehmen habe bereits große Wirkstoffmengen für diesen Impfstoffkandidaten hergestellt. (11).
Dass mRNA als Impfstoff grundsätzlich funktioniert, weiß man im Prinzip schon seit mehr als 30 Jahren. Für die pharmazeutische Nutzung und Optimierung dieses Prinzips waren jedoch sehr viele wissenschaftliche und technologische Fortschritte notwendig. Es gibt bisher allerdings noch keinen zugelassenen Impfstoff auf mRNA-Basis. Zum einen sind Pharmaunternehmen erst seit einigen Jahren auf die innovative Technologie aufmerksam geworden. Zum anderen sind Zulassungsstudien extrem teuer und konnten bisher durch die in der Regel vergleichsweise kleinen Biotechnologie-Unternehmen nicht allein gestemmt werden. Die Finanzierungsfrage hat sich durch die jetzige Pandemie entschärft.
Neben der Suche nach einem COVID-Impfstoff laufen derzeit gut zwei Dutzend klinische Studien der Phase I und II mit den Indikationen Krebs, monogenetische Erbleiden und Infektionskrankheiten (Tollwut, Zika, Chikungunya, Cytomegalie, Influenza).
Plattformtechnologien sind der Schlüssel für Pandemien
Ein großer Vorteil der mRNA-Technologie besteht darin, dass man das Molekül ohne tierische Zusätze herstellt und nur geringe Mengen davon benötigt. Dadurch würden viele Entwicklungsschritte und gegebenenfalls auch klinische Prüfungen eingespart und ein schnelles Reagieren auf neue Erreger(varianten) möglich. „Es ist einfach, im Labor die RNA-Sequenz und damit den Virenbauplan zu verändern. Dadurch wird es möglich, in kurzer Zeit verschiedene Impfstoffe zu produzieren. Solch eine Plattformtechnologie ist von unschlagbarem Vorteil, sollte das Virus mutieren“, sagt Prof. Jörg Vogel, Direktor des Instituts für Molekulare Infektionsbiologie (IMIB) der Universität Würzburg und des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI). Zudem ließen sich RNA-Impfstoffe vergleichsweise günstig und schnell in großer Menge produzieren. „Sie müssen nicht gekühlt werden, sind stabil und somit einfach zu transportieren.“
Während der laufenden Untersuchungen müssen noch zentrale Fragen geklärt werden. Beispielsweise ist die Bestimmung von immunologischen Biomarkern notwendig, um Parameter für die Schutzwirkung beim Menschen definieren zu können. So waren Antikörper gegen SARS zwar noch mehrere Jahre lang im Körper von infizierten Personen nachweisbar, bei MERS-CoV dagegen ebbte diese Immunität schon im Verlauf weniger Monate ab. Ähnlich kurzlebig scheint die Immunantwort auf die eng mit SARS-CoV-2 verwandten Coronaviren zu sein, die schon länger in der Bevölkerung kursieren, aber nur milde Erkältungen auslösen.
Für öffentliche Wahrnehmung nicht schnell genug
Trotz der vielen Ungewissheiten sei es „sensationell, wie schnell momentan die Entwicklung von Impfstoffen vorangeht“, sagt Prof. Dr. med. Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Marburg. „In der öffentlichen Wahrnehmung ist das alles nicht schnell genug. Aber das geht nicht anders, Impfstoffe brauchen einfach ihre Zeit.“ Becker und sein Team sind an der Entwicklung eines Subunit-Impfstoffes beteiligt, der im September in die erste Phase der klinischen Prüfung gehen wird; sie arbeiten dafür am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung mit anderen Wissenschaftlern zusammen.
Letztendlich, so sehen es viele, die derzeit an der Impfstoffentwicklung beteiligt sind, ist es nicht entscheidend, wer mit dem ersten Impfstoff die Zulassung erreicht, sondern dass möglichst viele Impfstoffe die Zulassung erreichen und unter Nutzung vieler Produktionsanlagen hergestellt werden können.
Einige Unternehmen und Forschungsinstitute haben bereits angekündigt, ihre Produktionskapazitäten für einen COVID-19-Impfstoff auszuweiten. Andere werden ihre Impfstoffe bereits großtechnisch produzieren, während die Erprobung mit Freiwilligen noch läuft – auch auf die Gefahr hin, die produzierte Ware entsorgen zu müssen, falls die Studienergebnisse negativ ausfallen sollten (4).
In der Summe dauern die klinischen Studien mehrere Monate bis mehrere Jahre. Diese Schritte abzukürzen, kann extrem risikoreich sein; etwa wenn eine gefährliche Nebenwirkung übersehen wird, weil sie erst Monate nach der klinischen Prüfung auftritt oder sehr selten ist – und daher erst bei tausendfacher Anwendung unter der Bevölkerung beobachtet wird.
Zulassung von Impfstoffen ist immer eine Gratwanderung
Die Zulassung eines Impfstoffs ist für die verantwortlichen Mediziner in den Gesundheitsinstitutionen daher immer eine Gratwanderung: Sie müssen das Verfahren so schnell wie möglich gestalten – ohne dabei ein hohes Risiko einzugehen, dass der Impfstoff Schaden anrichtet. Denn „in der Geschichte der Impfstoffe gibt es einige Beispiele für Vakzinen mit zu starken Nebenwirkungen und für solche, mit denen das Ziel eines sicheren Schutzes nicht erreicht werden konnte, sondern Schaden verursacht wurde“, erklären die Deutsche Gesellschaft für Virologie (GfV) und die Deutsche Gesellschaft für Immunologie (DGfI) in einer gemeinsamen Pressemitteilung (12).
Ein Beispiel sei der erste Masernvirus-Totimpfstoff, nach dessen Anwendung es im Falle von Maserninfektionen zu schweren Erkrankungen kam. Bei dem seit Langem eingesetzten Masernlebendimpfstoff kommt diese Komplikation hingegen nicht mehr vor.
„Impfstoffe sind eigentlich allumfassend reguliert. Das macht es vielleicht auch manchmal schwer, Vakzinekandidaten tatsächlich in die Zulassung zu bringen“, fasst PEI-Präsident Cichutek die Situation zusammen (5). Dennoch gibt er sich zuversichtlich, dass bis Ende des Jahres konkret über die Zulassung eines Impfstoffes gegen das SARS-CoV-2-Virus gesprochen werden könne. „Ich gehe davon aus, dass es in Deutschland außer der im April gestarteten klinischen Prüfung drei weitere von Impfstoffkandidaten geben wird“, prognostiziert Cichutek.
Allen Verantwortlichen ist trotzdem eine gewisse Zurückhaltung anzumerken: „Trotz der vielfachen nationalen und internationalen Aktivitäten bei der Suche nach Impfstoffen zum Schutz vor COVID-19 dürfen wir keine Wunder erwarten“, sagte Bundesforschungsminsterin Anja Karliczek am 11. Mai bei der Ankündigung eine Sonderprogramms ihres Hauses für die Impfstoffentwicklung in Höhe von 750 Millionen Euro. „Wir müssen uns auf eventuelle Rückschläge einstellen.“ Denn es sei durchaus möglich, dass die ersten SARS-CoV-2-Impfstoffe nicht alle Erwartungen hinsichtlich ausreichender und langanhaltender Immunreaktion erfüllen werden.
Allerdings ist man wohl zum Erfolg verdammt, denn „ohne einen SARS-CoV-2-Impfstoff werden wir nie wieder normal leben können“, resümiert der Mitentdecker des Ebola-Virus und genesener COVID-19-Patient Prof. Peter Piot, der die renommierte London School of Hygiene & Tropical Medicine leitet (13). Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Dustin Grunert
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2120
oder über QR-Code.
Impfstoff gegen COVID-19 muss für alle zugänglich sein
Am 4. Mai hat die Europäische Kommission im Rahmen einer Online-Spendenkonferenz 7,4 Milliarden Euro für die Entwicklung von Coronatests, Medikamenten und Impfstoffen eingesammelt. Dabei ging es, wie zahlreiche Politiker betonten, nicht nur darum, dass im Kampf gegen die Pandemie Medikamente und Impfstoffe möglichst rasch verfügbar gemacht werden. Wichtig sei auch, dass ein Impfstoff allen Menschen zugutekomme, wenn er einmal entwickelt worden sei, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Vorfeld.
Mit der Forderung nach globaler Solidarität hatten sich kurz zuvor bereits zahlreiche Hilfsorganisationen, darunter Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt, Misereor und Medico International, an die Kanzlerin gewendet. Die mit öffentlichen Geldern entwickelten Medikamente und Impfstoffe müssten gerecht verteilt werden und die Menschen erreichen, die am stärksten gefährdet seien, heißt es in einem offenen Brief. Das bedeute, dass es auf die Mittel gegen COVID-19 keine Patente und keine Vorrechte bei der Verteilung geben dürfe. Egoistische Interessen von Staaten oder Gewinnerwartungen von Firmen dürften nicht über das Leben von Menschen gestellt werden.
Auch die internationale Impfallianz Gavi hatte Ende April gefordert, dass die internationale Gemeinschaft dafür sorgen müsse, dass ein Coronaimpfstoff, sobald er zugelassen sei, in ausreichender Menge produziert und weltweit dort zur Verfügung gestellt werde, wo er am nötigsten gebraucht werde. Zusätzlich müssten Prioritäten gesetzt werden, welche Gruppen und Regionen einen Impfstoff zuerst erhalten sollten. Gavi plädierte dafür, zunächst das Gesundheitspersonal zu impfen.
Bereits am 21. April hatten die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (UN) einen „gleichberechtigten“ Zugang zu künftigen Impfstoffen gegen das neuartige Coronavirus verlangt. Eine entsprechende Resolution verabschiedete die UN-Vollversammlung in New York einstimmig. Deren Resolutionen sind allerdings im Gegensatz zu denen des UN-Sicherheitsrats völkerrechtlich nicht bindend. afp/HK
Forschung in Deutschland (4)
Folgende Unternehmen und Institute arbeiten an eigenen Impfstoffen:
- BioNTech + Pfizer (Mainz): Phase-I/IIa-Studie mit mRNA-Impfstoff läuft
- CureVac (Tübingen): startet Phase-I/IIa-Studien mit mRNA-Impfstoff im Juni 2020
- Prime Vector Technologies (Tübingen): arbeitet an Impfstoff auf DNA-Basis
- LeukoCare (Planegg): arbeitet mit ReiThera und Univercell an Impfstoff auf Basis von Adenoviren
- ARTES Biotechnology (Langenfeld): arbeitet an Impfstoff, der Virus-like Particles (VLP) mit zwei Proteinen des SARS-CoV-2 enthält.
- Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (Braunschweig) + Uni München + Uni Marburg + UKE Hamburg + IDT Biologika (Dessau): Projekt mit Vektorvirus MVA
- Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (Braunschweig): weiteres Projekt auf Basis des MVA
Andere Impfstoffprojekte werden unterstützt von:
- Universität Gießen: arbeitet im OpenCorona-Konsortium unter Leitung des Karolinska-Instituts, Schweden
- Merck (Darmstadt): unterstützt Produktion eines Impfstoffs der Universität Oxford: Phase-I-Studie läuft
- Bayer (Leverkusen): hält Kapazitäten vor, um die Produktion eines Impfstoffs unterstützen zu können
- Richter-Helm BioLogics (Hamburg): produziert Plasmide für den Impfstoff von Inovio (USA)
- Vibalogics (Cuxhaven): produziert klinisches Prüfmaterial für den Impfstoffkandidaten von Pfizer
Konzepte der verschiedenen Vakzinetypen
- Inaktiviertes Virus (Totimpfstoffe): aus Patienten isolierte SARS-CoV-2-Erreger werden in Zellkulturen vermehrt, die für die Herstellung von Impfstoffen zugelassen sind, und in Hochreinräumen chemisch und physikalisch inaktiviert.
- Abgeschwächtes Lebendvirus (Lebendimpfstoffe): Sehr geringe Erreger-mengen werden durch Zellpassagen, genetische Manipulation oder Mutagenese so stark abgeschwächt (attenuiert), dass sich die Impfviren im Körper zwar noch eine Zeit lang vermehren, die Krankheit bei immunkompetenten Impflingen aber nicht mehr auslösen können.
- Subunit-Impfstoffe: Hoch gereinigte oder gentechnisch hergestellte Impfstoffe, die nur die für die Immunantwort notwendigen Bestandteile enthalten. Sie sind nebenwirkungsärmer, teilweise aber nicht so wirksam, weshalb oft eine Kombination mit Adjuvanzien oder Wiederholungsimpfungen erforderlich sind.
- Peptidimpfstoffe: Identifikation und Herstellung immunogener Proteinfragmente des Virus, zum Beispiel ein Teil des SARS-CoV-2-Spike-Proteins, der Capsid-Struktur oder der Rezeptorbindedomäne, in der sich SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 unterscheiden.
- Vektorimpfstoffe: Für den Menschen harmlose Viren – wie das Modified-Vaccinia-Ankara-Virus (MVA), das Vesicular Stomatitis Virus (VSV) oder das Adenovirus (Ad) – sollen das Erbmaterial des SARS-CoV-2-Virus in menschliche Zellen einschleusen, die daraufhin Antigene produzieren und dem Abwehrsystem präsentieren. In der Gruppe der Vektorimpfstoffe gibt es zwei verschiedene Ansätze:
a) Nichtreplizierende virale Vektoren: Die Fähigkeit des Vektors, sich zu replizieren, wurde entfernt. Es muss die notwendige Menge an Viren gespritzt werden, um die Immunantwort auszulösen.
b) Replizierende virale Vektoren: Die Fähigkeit des Vektors, sich zu replizieren, bleibt erhalten und wird nur reduziert. Das Virus kann sich im Körper in einer verminderten Geschwindigkeit vermehren und eine Immunantwort auslösen, bis das Immunsystem „aufholt“ und die Viren zerstört.
Bei Vektorimpfstoffen handelt es sich regulatorisch um gentechnisch veränderte Arzneimittel, was mit erheblichem Zulassungsaufwand verbunden ist. Vor allem muss das Risikopotenzial des verwendeten Vektors ergründet werden.
- DNA-Impfstoffe: Die DNA-Sequenz des gewünschten Antigens wird in ein bakterielles Plasmid eingefügt. Das Plasmid wird nach Injektion des Impfstoffs in der Zielzelle aufgenommen, abgelesen und soll dort als fremdes Antigen hergestellt werden. DNA-Impfstoffe benötigen in der Regel starke Adjuvanzien, damit sie eine wirksame Immunantwort auslösen können. Bisher sind erste DNA-Impfstoffe nur in der Tiermedizin zugelassen.
- mRNA-Impfstoffe: Die mRNA codiert für ein Protein, das in einer Zelle per Translation hergestellt wird und als Antigen wirkt (ausführliche Darstellung s. Text).
- Virusartige Partikel: Bei virusartigen Partikeln handelt es sich quasi um leere Virushüllen. Sie werden in Zelllinien generiert und anschließend als Impfstoff benutzt. Die Viruspartikel können sich im menschlichen Gewebe nicht vermehren, da sie keine Nukleinsäure enthalten.
Andere Impfstoffe (z. B. Tuberkulose)
- Bacillus Calmette-Guerin (BCG): Ein abgeschwächter Lebendimpfstoff, der aus einem Isolat von Mykobacterium bovis gewonnen wird. Der Impfstoff aktiviert nicht nur eine Immunität gegen Tuberkulose, sondern schützt auch gegen andere Erreger (z. B. Influenza, HPV oder RSV). Die Eignung des alten Tuberkulose-Impfstoffs BCG, der in Deutschland schon lange nicht mehr eingesetzt wird, soll erprobt werden.
- Die Unternehmen Vakzine Projekt Management (Deutschland) und Serum Institute of India erproben den Tuberkulose-Impfstoff VPM1002, der am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie entwickelt worden ist, aber noch keine Zulassung hat. Die COVID-19-Studie soll an deutschen Kliniken mit älteren Menschen und Beschäftigten im Gesundheitswesen durchgeführt werden.
1. | Zylka-Menhorn V: SARS-CoV-2-Impfstoff: Forschung mit geeinten Kräften. Dtsch Arztebl 2020; 117 (13): A-660/B-562 VOLLTEXT |
2. | COVID-19 vaccine development pipeline. Vaccine Centre London School of Hygiene & Tropical Medicine: https://vac-lshtm.shinyapps.io/ncov_vaccine_landscape/ Last updated on 11 May 2020. |
3. | WHO: DRAFT landscape of COVID-19candidate vaccines. https://www.who.int/who-documents-detail/draft-landscape-of-covid-19-candidate-vaccines. Last updated on 15 May 2020. |
4. | Verband der forschenden Azneimittelhersteller (vfa): Pressemitteilung Nr. 9 vom 5. Mai 2020. https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/impfstoffe-zum-schutz-vor-coronavirus-2019-ncov. |
5. | Science Media Center press briefing 27. April 2020. RNA-Impfstoffe: der schnellste Weg zum Impfschutz gegen SARS-CoV-2? https://www.sciencemediacenter.de/fileadmin/user_upload/Press_Briefing_Zubehoer/virPB_Transkript_RNA-Impfstoffe.pdf. |
6. | Roier S, Petsch B; Design und Funktionsweise von mRNA-basierten Impfstoffen zum Schutz vor Infektionskrankheiten. Trillium Immunologie 3/2019. https://www.trillium.de/zeitschriften/trillium-immunologie/archiv/ausgaben-2019/heft-32019/aus-der-grundlagenforschung/design-und-funktionsweise-von-mrna-basierten-impfstoffen-zum-schutz-vor-infektionskrankheiten.html. |
7. | Hobernik D, Bros M; DNA Vaccines - How Far From Clinical Use? Int. J. Mol. Sci. 2018, 19, E3605. doi: 10.3390/ijms19113605 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
8. | Jadzary SD, et al.: Recent advances in delivery of veterinary DNA vaccines against avian pathogens. Vet Res. 2018; 50: 78. Published online 2019 Oct 10. doi: 10.1186/s13567–019–0698-z CrossRef MEDLINE PubMed Central |
9. | Probst J: Immuntherapie: Messenger RNA-basierte Impfstoffe zur Behandlung von Krebserkrankungen. Biospektrum 2007; 1: 49–51. https://www.biospektrum.de/blatt/d_bs_pdf&_id=932394. |
10. | Karamloo F, König R (2020): SARS-CoV-2 immunogenicity at the crossroads. Allergy 2020 May 13 [Epub ahead of print] CrossRef MEDLINE |
11. | Pressemitteilung von CureVac am 14. Mai 2020: https://www.curevac.com/de/news/curevac-s-optimized-mrna-platform-provides-positive-pre-clinical-results-at-low-dose-for-coronavirus-vaccine-candidate. |
12. | Gemeinsame Stellungnahme der Gesellschaft für Virologie (GfV) und der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) zur Entwicklung einer Impfung gegen COVID-19 vom 8. Mai 2020: https://www.g-f-v.org/node/1285 |
13. | Tageszeitung WELT vom 13. Mai 2020. |
Frohn, Christoph
Rothe, Hansjörg