

Kinder gelten in der Coronakrise als potenzielles Infektionsrisiko, das Pflegepersonal wird als (noch?) unterbezahlte Helfer beklatscht. Dies ist stark vereinfacht das, was man derzeit aus der Diskussion um Schul- und Kitaöffnungen und der Situation in Krankenhäusern mitnimmt. Und es betrifft vornehmlich zwei Gruppen: Frauen und Kinder. Zu wenig wird aber darüber gesprochen, was beiden Gruppen gemein ist: Sie werden zu selten als Individuen mit ihren jeweiligen Bedürfnissen wahrgenommen. Sie sind Familienmitglieder, haben ebenso Angst vor Ansteckung wie die Gesamtbevölkerung und leiden zudem in erster Linie unter den Kita- und Schulschließungen.
Frauen finden sich plötzlich in alten Rollenbildern wieder. Sie übernehmen der Coronastudie der Universität Marburg zufolge in fast der Hälfte der Familien ausschließlich die Kinderbetreuung. Während die Einreichung wissenschaftlicher Arbeiten in Coronazeiten von Männern stark zunimmt, gehen jene von Frauen zurück. Kinder aus prekären Verhältnissen drohen durch die Schließungen Schaden zu nehmen, wenn die Betreuung fehlt. Auch psychosoziale Schäden könnten aus dem Kontaktverbot und dem Eingesperrtsein folgen, warnte Dr. med. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. Fünf ärztliche Fachgesellschaften plädierten vergangene Woche folgerichtig dafür, Kitas und Schulen zeitnah wieder zu öffnen. Kinder spielten in der Pandemie „keine herausragende Rolle in der Ausbreitungsdynamik“.
Die derzeitige Krise macht sichtbar, was schon lange bekannt ist. Katastrophale Schwächen im Bildungsbereich, wo Schulen noch nicht einmal über ausreichend Seifenspender verfügen. Ganz abgesehen von der digitalen Ausstattung. Aber auch im Gesundheitswesen, das zwar unbestritten zu den besten der Welt zählt und dies jetzt wieder unter Beweis gestellt hat, ist es nichts Neues, dass das beklatschte Pflegepersonal unterbezahlt ist und Pflegenotstand herrscht.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass 75 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen Frauen sind, in der Kinderbetreuung sind es mehr als 90 Prozent. Schon vor der Coronakrise waren Kinder und Frauen oft Stiefkinder der Gesellschaft. Beispiel Gesundheitswesen: Die Ärzteschaft moniert schon seit Jahren, dass die Pädiatrie in Krankenhäusern unterfinanziert ist. Zudem wird die vorbeugende Arzneimittelsicherheit für Kinder zu wenig berücksichtigt.
Frauen müssen gegen Widerstände kämpfen, um Familie und Beruf zusammenzubringen, ohne ihre Karrierechancen zu riskieren. Die überwiegend weiblich besetzen Pflegeberufe leiden unter Personalmangel, was der großen Belastung gepaart mit schlechter Bezahlung geschuldet ist. Jetzt soll es zwar einen Bonus geben, über den aber peinlich lang verhandelt wurde, wer welchen Anteil daran zahlt. Das grundsätzliche Problem löst eine Einmalzahlung ohnehin nicht.
Krankenhausverwaltungen bewerten Personalkosten wirtschaftlich meist als Ausgaben, die es zu reduzieren gilt. Die Pandemie macht noch mehr als zuvor deutlich, dass dies der falsche Weg ist. Denn das Gesundheitswesen – und auch die Kinderbetreuung – leiden unter Personalmangel. Wenn man zu wirtschaftlichem Wachstum zurückkehren will, so heißt dies neben vielem anderen ebenfalls, in Bildung und Gesundheitswesen zu investieren. Im Übrigen auch kein neues Rezept. Und dabei muss gelten: Frauen und Kinder zuerst.
Michael Schmedt
Stellv. Chefredakteur
Groterath, Eva