ArchivDeutsches Ärzteblatt PP6/2020Coronapandemie: Arbeitslast ist ungleich verteilt

POLITIK

Coronapandemie: Arbeitslast ist ungleich verteilt

Osterloh, Falk

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Zwei aktuelle Umfragen zeigen: Nur wenige Ärzte arbeiten infolge der Coronakrise mehr als zuvor. Zudem ist die mit COVID-19 assoziierte Angst bei Ärzten deutlich geringer als bei Pflegekräften und in der Allgemeinbevölkerung. Das hängt auch damit zusammen, dass Ärzte besser informiert sind.

Die Versorgung von COVID-19-Patienten führt nur bei manchen Ärzten zu einer Erhöhung der Arbeitslast. Foto: picture alliance/Joël Philippon/MAXPPP/dpa
Die Versorgung von COVID-19-Patienten führt nur bei manchen Ärzten zu einer Erhöhung der Arbeitslast. Foto: picture alliance/Joël Philippon/MAXPPP/dpa

Während der Coronapandemie wird in den Medien oft das Bild von Ärzten und Pflegekräften gezeichnet, die am Limit arbeiten. Dass dabei nur ein Teil der Realität abgebildet wird, zeigt eine aktuelle Umfrage des Marburger Bundes (MB), an der sich zwischen dem 29. April und dem 10. Mai 8 707 Mitglieder des MB beteiligt haben. Demnach ist das Arbeitsaufkommen seit Beginn der Coronakrise im März bei 17,7 Prozent der Befragten gestiegen, während es bei 57,2 Prozent gesunken ist. Bei 25,1 Prozent der Befragten ist es gleich geblieben (siehe Grafik).

„Das Ergebnis kommt nicht überraschend“, kommentiert der MB. Denn „seit Mitte März gibt es erheblich weniger planbare Operationen in den Krankenhäusern und auch das Notfallgeschehen ist zurückgegangen.“ Ein weiteres Ergebnis der Umfrage ist: 50 Prozent der Befragten haben aufgrund des geringeren Arbeitsaufkommens Überstunden abgebaut. 30 Prozent der Befragten wurden von ihrem Arbeitgeber aufgefordert, Urlaub zu nehmen. 14,5 Prozent der Befragten mussten demgegenüber einen bereits gewährten Urlaub verschieben.

Kein Grund für Kurzarbeit

„Das deckt sich in etwa mit der Zahl der Ärztinnen und Ärzte, bei denen das Arbeitsaufkommen in der Krise angestiegen ist“, sagte die 1. Vorsitzende des MB, Dr. med. Susanne Johna, Mitte Mai bei der Präsentation der Zahlen während einer Online-Pressekonferenz. Zehn Prozent der Befragten gaben an, dass in ihrem Unternehmen Kurzarbeit eingeführt wurde. „Betroffen sind vor allem Mitglieder des Marburger Bundes in Rehakliniken – dort liegt der Kurzarbeitanteil bei 54 Prozent –, im ambulanten Sektor (32 Prozent) und in privaten Kliniken (12 Prozent)“, schreibt der MB.

Bei 37,9 Prozent dieser Ärzte wurde die Arbeitszeit um bis zu 50 Prozent reduziert, bei 25,6 Prozent um bis zu 25 Prozent. Nur in wenigen Fällen (4,1 Prozent) wurde Druck auf die Ärzte ausgeübt, eine Vereinbarung zur Kurzarbeit zu unterzeichnen. „44,8 Prozent der Befragten sehen keinen Grund für Kurzarbeit“, erklärte Johna. „Das erstaunt uns nicht. Denn der MB-Monitor 2019 hat ergeben, dass Klinikärzte 65 Millionen Überstunden im Jahr machen. Das ist ein großer Puffer. Wenn es weniger Arbeitsbelastung gibt, würde es uns freuen, wenn die Überstunden abgebaut werden, statt Kurzarbeit zu beantragen.“

Ist Ihr Arbeitsaufkommen seit Beginn der Coronakrise im März gestiegen oder hat es abgenommen?
Grafik
Ist Ihr Arbeitsaufkommen seit Beginn der Coronakrise im März gestiegen oder hat es abgenommen?

Unterschiedliche Meinung

Johna zitierte ein MB-Mitglied, das in ein Freitextfeld geschrieben hatte: „Ich bin seit zwölf Jahren berufstätig. Zum ersten Mal in meinem beruflichen Leben gehe ich regelmäßig pünktlich nach Hause und kann das tägliche Arbeitspensum sogar mit Mittagspause überwiegend vollständig bewältigen.“

Wie in der Bevölkerung sei auch unter den Ärzten die Meinung zweigeteilt, wie sich die Pandemie weiterentwickelt, sagte Johna. So befürchten 44,2 Prozent der befragten Ärzte, dass es im weiteren Verlauf der Coronapandemie zu einer Überforderung des Gesundheitswesens kommen könnte. 41,5 Prozent teilen diese Befürchtung nicht. „Hier scheinen die Erfahrungen aus den vergangenen Wochen eine wichtige Rolle zu spielen“, schreibt der MB. „So werden vermutlich Ärztinnen und Ärzte, die erlebt haben, wie schnell sich der Gesundheitszustand von COVID-19-Patienten von einem auf den anderen Tag verschlechtert hat, die weitere Entwicklung mit größerer Besorgnis sehen als diejenigen, die nicht in die intensivmedizinische Versorgung solcher Patienten eingebunden waren“, so der MB.

Wie sich das Befinden von Ärzten, Pflegekräften und Rettungsdienstmitarbeitern – auch im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung – in der Coronakrise entwickelt hat, hat Dr. med. Eva-Maria Skoda mit der COVID-19-Arbeitsgruppe am Lehrstuhl für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Duisburg-Essen in einer Online-Umfrage untersucht, an der sich zwischen dem 10. und 31. März 12 863 Menschen beteiligten, darunter 492 Ärzte, 1 511 Pflegekräfte und 221 Rettungssanitäter.

Ärzte haben weniger Angst

Der Umfrage zufolge haben Ärzte und Rettungssanitäter dabei ein signifikant geringeres Distresserleben während der Pandemie als Pflegekräfte und die Allgemeinbevölkerung. Ähnlich ist es in den Bereichen Depressivität und generalisierte Angst. In beiden Fällen sind Ärzte weniger betroffen als Pflegekräfte. „Dies könnte Spiegel eines systemimmanenten Effekts einer hohen Belastung von Pflegekräften sein, aber auch der Tatsache geschuldet, dass Pflegekräfte sich in der Pandemie an vorderster Front erleben und bereits früh mit Belastungen einer Pandemie in Kontakt treten“, sagt Skoda. „Die Belastung durch die Pandemie kann dabei eventuell als geschichteter Effekt angenommen werden, der zu einer hohen Grundbelastung der Berufsgruppe Pflege hinzukommt und dabei in einem hohen Anteil überwertige Ausprägungen erreicht.“ Die Pflegekräfte sind von Depressivität jedoch weniger betroffen als die Allgemeinbevölkerung.

In Bezug auf COVID-19 fühlen sich die Angehörigen medizinischer Berufsgruppen weniger ängstlich als die Allgemeinbevölkerung. Ärzte und Pflegekräfte weisen dabei ein ähnliches Niveau auf. Bei Rettungssanitätern ist die auf COVID-19 bezogene Angst am niedrigsten. „Ärzte zeigten deutlich geringere Werte an generalisierter Angst als Pflegekräfte und die Allgemeinbevölkerung sowie geringere Werte für Depressivität als die anderen beiden medizinischen Berufsgruppen und die Allgemeinbevölkerung“, fasst Skoda zusammen. „Auch das Distresserleben und der Gesundheitsstatus waren vorteilhafter ausgeprägt als bei der Allgemeinbevölkerung.“

Diese Erkenntnisse ständen im Kontrast zu aktuellen Studienlagen, dass Ärzte als Berufsgruppe im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhte Depressions- und Burn-out-Werte aufweisen, analog zu Mitarbeitern in der Pflege. „Dabei muss man sich vor Augen führen, dass die aktuelle Situation eine vorher nicht gekannte Belastung für die Allgemeinbevölkerung darstellt“, meint Skoda.

Dass Ärzte deutlich weniger von generalisierter Angst und Depressivität betroffen sind, könne man am besten dadurch erklären, dass sie sich gut informiert fühlen. Denn die Informiertheit hänge negativ mit der Ausprägung von psychischer Belastung zusammen. „Ein hohes Level an subjektiver Informiertheit verringert das Risiko, auffällige Werte im Bereich der generalisierten Angst zu haben“, erklärt Skoda.

Dies könne ein Erklärungsansatz dafür sein, warum Ärzte und medizinisches Fachpersonal insgesamt eine geringere generalisierte und COVID-19-bezogene Angst zeigen als die Allgemeinbevölkerung.

Verunsicherung reduzieren

Die richtige Einordnung überflutender Informationen bezüglich COVID-19 und der aktuellen Krisensituation könne nur bei ausreichendem Hintergrundwissen über Erkrankungen funktionieren und damit die erlebte Verunsicherung reduzieren. Das Kennen von Erkrankungsabläufen und regelmäßige Weiterbildung könnten hierbei das entlastende Element sein. „Deshalb müssen wir versuchen, die Bevölkerung gut zu informieren“, betont Skoda. „Denn je besser sie informiert ist, umso angstfreier kann sie die Pandemie überstehen.“

Hinzu komme, dass Ärzte und andere medizinische Berufsgruppen als systemrelevante Berufe die Chance hätten, sich aktiv mit dem Geschehen auseinanderzusetzen, während für die Allgemeinbevölkerung gelte, dass sie passiv und zu Hause bleiben müsse. „Die Arbeit mit Patienten und die Arbeit an der Bewältigung der Pandemie selbst stellt damit möglicherweise eine aktive Coping-Strategie dar, die im Gegensatz zu passiven Strategien mit geringerer psychischer Belastung einhergeht und vielleicht über eine Stärkung der Selbstwirksamkeit hilft, ein Gefühl von Kontrolle eher zu bewahren“, meint Skoda.

In der Umfrage wurde auch das Vertrauen in die Maßnahmen der Bundesregierung abgefragt. Dabei zeigen sowohl die Ärzte als auch die Allgemeinbevölkerung ein ähnliches Level an Vertrauen, während Pflegekräfte und Rettungssanitäter angaben, sich weniger auf die Maßnahmen der Politik zu verlassen.

Skoda betont, dass der psychischen Gesundheit von Mitarbeitern des Gesundheitssystems während einer Pandemie eine hohe Priorität zukommen müsse. In China hätten auf dem Höhepunkt der SARS-CoV-2-Ausbreitung über 50 Prozent der Mitarbeiter des Gesundheitssystems Symptome einer Depression und knapp 75 Prozent erhöhte Stresssymptome gezeigt. Ähnliche Entwicklungen seien bei einer Zuspitzung des Krankheitsgeschehens auch in Deutschland nicht auszuschließen. „Deshalb müssen die Gesundheitsberufe durch eine psychosoziale Notfallversorgung vor, während und nach der Pandemie durch geschulte Fachkräfte unterstützt werden“, so Skoda. Falk Osterloh

Ist Ihr Arbeitsaufkommen seit Beginn der Coronakrise im März gestiegen oder hat es abgenommen?
Grafik
Ist Ihr Arbeitsaufkommen seit Beginn der Coronakrise im März gestiegen oder hat es abgenommen?

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote