ArchivDeutsches Ärzteblatt PP6/2020Mitfühlsam und souverän in der Krise

POLITIK: Kommentar

Mitfühlsam und souverän in der Krise

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Jugendliche werden aktuell nur im Kontext von Unterrichtsausfall gesellschaftlich diskutiert. Die ungeheure Belastung durch den Verlust des Schulalltags und die Defizite des digitalen Unterrichts werden nicht thematisiert. Ebenso wenig ihre Ängste und Sorgen – auch um die Zukunft.

Dr. phil. Volker Langhirt, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in Aschaffenburg
Dr. phil. Volker Langhirt, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in Aschaffenburg

In der allgemeinen düsteren Grundstimmung und einer bemerkenswert massiven kritisch medialen Präsentation möchte ich einen persönlichen Gegenpol setzen. Kaum eine Meldung ist gegenwärtig von den Jugendlichen und ihrem persönlichen Empfinden zu lesen oder zu hören. Nur im Zusammenhang mit Unterrichtsausfall und der Notwendigkeit, diesen nachzuholen, werden die Jugendlichen zum Gegenstand aktueller gesellschaftlicher Diskurse. Die ungeheure Belastung, wie kurzfristig ohne die gewohnte schulische Vor-bereitung Abschlussprüfungen zu schreiben, oder auch die bestehenden Zukunftsängste der jungen Generation werden nicht thematisiert. Überlegungen eines Samstagsunterrichtes oder einer Verkürzung der Sommerferien kursieren dagegen in den Medien. Dies erweckt den Eindruck, dass Jugendliche die gegenwärtige Schulsituation als „Dauerferien“ für sich deklarieren, zumindest aus der Sicht manches Erwachsenen. Wurde noch vor kurzer Zeit die digitale Mediennutzung grundsätzlich bei Jugendlichen kritisiert, stellt sich nun heraus, dass wir deutlichen Nachholbedarf haben. Die Schulen und Lehrer bemühen sich intensiv, jedoch werden die Defizite in der Durchführung eines digitalen Unterrichtes oder auch der Ausstattung der Schulen deutlich.

Kinder und Jugendliche haben auch Ängste, das sollten wir Erwachsenen nicht vergessen. Insbesondere die Gruppe der Jugendlichen ist momentan permanent konfrontiert mit Unsicherheit, düsteren Prognosen und Unwägbarkeiten, die ihren eigenen weiteren Lebensweg beeinflussen. Dargestellt werden sie meistens als Gruppe, die sich durch Immunität gegenüber dem Virus auszeichnet. Vergessen wird dabei, dass auch diese Altersgruppen sich infizieren können, sich schwere Krankheitsverläufe abzeichnen oder auch Risikogruppen bestehen. Aber auch in der Krise zeigen sich positive Aspekte, zum Beispiel die soziale Verantwortung und das Miteinander, die in Zukunft den öffentlichen Diskurs weiter prägen sollten. Selbstverständlich öffnen sich in solchen Krisenzeiten die bisherigen Konflikte schonungslos. Gefühle der Einsamkeit, der fehlenden Kontakte, Trennungen oder Verlustängste, familiäre Konflikte, die für diese Lebensphase besonders prägend sind, belasten das psychische System beziehungsweise müssen extrem abgewehrt werden.

Im Gegensatz zu der weitverbreiteten Meinung, dass Jugendliche sich kaum Sorgen um die derzeitige gesellschaftliche oder globale Situation machen, erlebe ich dies im praktischen Berufsalltag anders. In der Zeit der Coronakrise arbeitete ich vorwiegend über Videosprechstunden mit den Jugendlichen, die deutlich ihre Ängste sowie ihr Unverständnis bezüglich politisch vollzogener Lockerungen und der damit verbundenen Gefahr, sich anzustecken, zeigten. Durchgängig erlebe ich ihr Mitgefühl der älteren Generation gegenüber. Auch besteht große Besorgnis, sich wieder in die Schule einfädeln zu können, obwohl schmerzlich der Schulalltag, der den Jugendlichen Struktur für die Bewältigung von Entwicklungsanforderungen gibt, vermisst wird.

Darüber hinaus nehme ich kaum eine öffentliche Darstellung wahr, dass die Jugendlichen, die sonst in Misskredit standen, ständig online zu sein und sich in der Digitalisierung zu verlieren, mit dieser Situation und den digitalen Techniken in der Gesellschaft Vorreiter sind und sich nun gut unter Beweis stellen. Die Jugendlichen als Patientengruppe zeigen in den (Video-)Sprechstunden ihr Verlangen nach Kontakt und kommunikativen Austausch. Sie schilderten mir ihre Ängste, dass zum Beispiel die Eltern- und Großelterngeneration erkranken könnten. Sie kauften für diese ein oder versuchten, sich in ihrem äußerst schwierigen, meist virtuellen Schulalltag durchzukämpfen. Kaum Kritik an den Lehrern und den Schulen, die in dieser digitalen Zeit deutlich ihre Defizite präsentierten.

Auch sorgten sie sich um mich, waren froh, mich zu sehen. Keine Spur von Ignoranz oder Lustlosigkeit, sondern „… ich habe Angst …was in Zukunft mit der Welt passiert …“ war eine der Sorgen, die meine Patienten formulierten. Es war ihnen wichtig, regelmäßig in Kontakt zu bleiben und so Halt für diese Zeit zu finden. Selbstverständlich sind wir wieder dabei, direkte Begegnungen in der Psychotherapie zu pflegen. Ich hoffe, es gelingt unserer Gesellschaft, auch nach der Krise den Dialog der Generationen weiterzuführen. Mein Kompliment an die Jugendlichen, wie souverän sie mit ihren Fähigkeiten und ihrem digitalen Verständnis diese Krisensituation meistern.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote