

Fälle von Kinderpornografie haben laut Polizeilicher Kriminalstatistik in 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 65 Prozent zugenommen. Opfer von sexueller Gewalt wurden an jedem Tag durchschnittlich 43 Kinder und Jugendliche – ein Zuwachs von 9 Prozent.
Opfer eines vollendeten Tötungsdeliktes wurden in 2019 laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) 112 Kinder und damit weniger als im Jahr zuvor (136). Der überwiegende Teil der Opfer, nämlich 93, war jünger als sechs Jahre. „Diese Zahlen zeigen aber nur das Hellfeld – viele Taten bleiben unentdeckt“, betonte Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), bei der Vorstellung der PKS am 11. Mai.
Die Zahl der vollendeten Misshandlungen von Kindern ist der PKS zufolge auf 4 055 Opfer (2018: 4 129) leicht gesunken, bleibt aber auf dem Niveau der Vorjahre. Auch bei sexueller Gewalt gegen Kinder bewegen sich die Opferzahlen seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau: 2019 stieg die Zahl der betroffenen Kinder sogar um 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 1 936 Fälle (2018: 14 606). „Das bedeutet, dass 2019 jeden Tag durchschnittlich 43 Kinder Opfer von sexueller Gewalt wurden“, sagte Münch. Diese zahlenmäßigen Anstiege setzten sich der PKS zufolge bei Herstellung, Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie fort: 2019 wurden 12 262 Fälle (2018: 7 449) verzeichnet. Das entspricht einem Zuwachs um 65 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Hinter jedem ins Internet eingestellten Material steht der reale Missbrauch eines Kindes“, so der BKA-Präsident. Im Internet werde der Missbrauch zudem grenzenlos und dauerhaft fortgesetzt.
Cybergrooming nimmt zu
Gestiegen sind der PKS zufolge 2019 auch die Fälle des „strafbaren Einwirkens auf Kinder mit technologischen Mitteln, und zwar auf 3 264 im Vergleich zu 2 439 Fällen im Vorjahr. „Einen Großteil dieser Fälle macht seit einigen Jahren das sogenannte Cybergrooming aus“, erläuterte Münch. Dabei werden Kinder über das Internet gezielt zur Anbahnung sexueller Interaktionen angesprochen.
„Der Anstieg der Fälle von Kinderpornografie und Cybergrooming ist dramatisch“, sagte der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig. „Ich habe bereits im Januar darüber geklagt, dass Kinder nicht genügend vor sexueller Gewalt geschützt werden. Es herrscht immer noch ein ohrenbetäubendes Schweigen, das uns bei dem Thema in Politik und Gesellschaft entgegenschlägt.“
Darüber hinaus befürchtet der UBSKM ein Ansteigen von Gewalt in Familien während der Corona-pandemie durch die häusliche Isolation. Zwar sei insgesamt die Inanspruchnahme der Hotlines für Betroffene und Angehörige nur leicht gestiegen. Der Grund dafür: „Solange Kinder und auch Frauen mit den Tätern in einer Wohnung leben, melden sie sich nicht beziehungsweise erst später“, so Rörig.
Darüber hinaus befürchtet der UBSKM, dass aufgrund der Coronapandemie das Thema Kinderschutz „auf der Prioritätenliste nach unten rutschen wird“. Man habe gesehen, was ein starker politischer Wille bewirken könne. „Wenn nur ein Bruchteil davon für den Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern aufgewendet würde, wären wir schon sehr weit“, sagte er.
Der Präsident des Bundeskriminalamtes wies weiter darauf hin, dass ein steigender Anteil von Tatverdächtigen unter 14 Jahren zu verzeichnen ist: In 2019 waren dies in Bezug auf Kinderpornografie 12 Prozent der Tatverdächtigen (2018: 8 Prozent); 23 Prozent waren zwischen 14 und 18 Jahren (2018: 13 Prozent). „Diese Kinder und Jugendlichen haben auf dem Weg der Entwicklung einer eigenen sexuellen Identität Grenzen überschritten, die sie nicht hätten überschreiten dürfen“, sagte Rainer Becker von der Deutschen Kinderhilfe. Hier ginge es weniger um Strafe als um frühzeitige Prävention. Notwendig sei auch mehr spezifische Forschung zu dieser Tätergruppe.
Interkollegialer Austausch
Der Vorsitzende des Vereins RISKID, Dr. med. Ralf Kownatzki, wies darauf hin, dass Ärzte aufgrund der Rechtslage nicht genügend zum Kinderschutz beitragen könnten. „Der Informationsaustausch bei Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung zwischen niedergelassenen Ärzten wird durch die aktuelle Gesetzeslage und Beschränkungen durch den Datenschutz behindert“, sagte der Kinder- und Jugendarzt. Ärzte sollten sich seiner Ansicht nach interkollegial austauschen können, ohne die Eltern informieren zu müssen. „Das Recht der Kinder auf Leben ist wichtiger.“ Wegen der Möglichkeit des Doktor-Hoppings hätten Ärzte aktuell aber oftmals nicht die Möglichkeit, Kinder zu schützen. RISKID ist eine Informationsplattform über die behandelnde Ärzte kommunizieren und sich Befunde und Diagnosen im Rahmen einer virtuellen Fallkonferenz mitteilen können (www.riskid.de). Petra Bühring
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