ArchivDeutsches Ärzteblatt PP6/2020Pferdegestützte Psychotherapie: Heilsame Wirkung auf die Seele

THEMEN DER ZEIT

Pferdegestützte Psychotherapie: Heilsame Wirkung auf die Seele

Heintz, Birgit; Weiger, Marika

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Pferde in ein psychotherapeutisches Richtlinienverfahren einzubeziehen, ist keine neue Therapiemethode, sondern eine Öffnung und Erweiterung des Settings. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass dies mit katalytischen Wirkungen auf den therapeutischen Prozess einhergehen kann.

Fotos: privat
Fotos: privat

Die Einbeziehung von Pferden in Psychotherapien kann mit katalytischen Wirkungen auf therapeutische Prozesse einhergehen. Zu diesen Ergebnis kommt eine qualitative Studie (2019) zu spezifischen Wirkfaktoren in der analytischen und tiefenpsychologisch fundierten pferdegestützten Psychotherapie.* In 22 semistrukturierten Interviews mit sechs Therapeutinnen und 16 Patientinnen nach ganz oder weitgehend abgeschlossenen Therapien lag der Fokus auf dem ganz persönlichen, subjektiven Erleben der in das Praxissetting integrierten, ergänzenden Arbeit mit dem Pferd.

Pferde als lebendiges Medium in ein psychotherapeutisches Richtlinienverfahren einzubeziehen, ist keine neue Therapiemethode, sondern eine Öffnung und Erweiterung des therapeutischen Settings innerhalb eines etablierten Therapieverfahrens unter Beibehaltung aller wesentlichen Grundsätze tiefenpsychologisch – analytischer Praxis.

Hippologische Qualifikationen

Die teilnehmenden Therapeutinnen waren mit kassenärztlicher Zulassung für tiefenpsychologisch fundierte beziehungsweise analytische Psychotherapie/Kinder- und Jugendlichentherapie in eigener Praxis tätig und verfügten über hippologische Zusatzqualifikationen gemäß den Anforderungen des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten (DKThR). Die interviewten Patientinnen litten zu Beginn ihrer Therapien größtenteils unter Traumafolgestörungen (10) zum Teil in Verbindung mit emotionalen Störungen des Kindesalters, Angsterkrankungen (3), Anorexie (1), Zwangserkrankung (1) und depressiver Erkrankung (1).

Aus der Codierung der transkribierten Interviews ergaben sich Kernthemen, für deren Erörterung die Doppelperspektive der Therapeutinnen- und Patientinnensicht beibehalten wurde. Die Aussagen und Stellungnahmen beider Gruppen ließen sich auf fünf essenzielle Indikationen zur erweiternden Einbeziehung der Pferde mit spezifischen Wirkfaktoren verdichten:

  • Zwölf von 16 Patientinnen nannten Ängste, Überforderung und Widerstände, sich und ihre Situation einer Therapeutin unmittelbar verbal zu erklären, als wesentlichen Grund zur Einbeziehung der Pferde in ihre Therapie. Zehn der 16 Patientinnen gaben an, dass sie vorausgegangene, rein sprachgebundene Therapien als nicht hilfreich empfanden.

Pferde verständigen sich körpersprachlich. Die Begegnung mit dem Pferd bedarf keiner wortreichen Erklärungen – dennoch ereignet sich Verstehen und Verständigung, wobei die Therapeutin die Begegnung einfühlsam wahrnimmt, begleitet, schützt, gegebenenfalls kommentiert, vielleicht auch initiiert und mitunter das Geschehen in Worte übersetzt.

  • Die Arbeit mit dem Pferd bedeutet modellhaftes Handeln und mit der Therapeutin geteilte Erfahrung in einem geschützten Übergangsraum zwischen Praxis und realer Lebenswelt der Patienten.

Hier ist es möglich, neue oder noch nicht erkannte Ressourcen zu entdecken, während sich alte Verhaltensmuster, negative Selbsteinschätzungen oder andere, hinderliche Überzeugungen meist sehr bald zeigen, aktualisieren und einer therapeutischen Bearbeitung zugänglich werden.

Der Begriff des Übergangsraumes ist in diesem Kontext nicht identisch mit dem „Intermediären Raum“ Donald W. Winnicotts – aber er ist diesem verwandt. Patientin und Therapeutin verlassen gemeinsam das Praxiszimmer und gehen in die äußere Welt, nicht in die Lebenswelt der Patientin, sondern in die Welt des Pferdes, seinen Stall, seinen Ort. In diesem Übergangsraum können, dürfen und werden sich intrapsychische Themen der Patientinnen ereignen und konstellieren – schon in einer realen, äußeren Umgebung, aber noch im Schutz der therapeutischen Beziehung. Das Pferd ist in der therapeutischen Situation einerseits ein reales Wesen mit all seinen arttypischen Eigenschaften und Verhaltensweisen, aber es wird ebenso wie die Therapeutin Träger vielfältiger Projektionen – teilweise vergleichbar mit der Belebung des Übergangsobjektes seitens des Kleinkindes.

Die Gefühle, die dem Pferd seitens der Patientin entgegengebracht werden, können mitunter der Therapeutin gelten, die für die Patientin vielleicht nicht in der Weise verfügbar und erreichbar ist, wie sie es sich wünscht. Möglicherweise fällt es der Patientin aber auch leichter, diese Gefühle und Bedürfnisse in der Projektion auf das Pferd zum Ausdruck zu bringen. Die Beziehung zwischen Patientin und Pferd befindet sich hier an der Schwelle zwischen Realität und Fantasie, das heißt, internalisierte Vorstellungen von Bindungssicherheit können auf das Pferd übertragen werden.

  • Das vas hermeticum des Praxisraumes zu öffnen und das Pferd als lebendiges Drittes einzubeziehen, hat erheblichen Einfluss auf die therapeutische Beziehung oder ermöglicht überhaupt erst deren Zustandekommen.

Manche Patientinnen erleben das Pferd als Brücke in die Therapie. Die von schwierigen, unter Umständen traumatischen Beziehungserfahrungen mit Menschen/Eltern unbelastete Beziehung zu einem Pferd wird per se als heilsam erlebt.

  • Die wiegende Bewegung des Pferdes im Schritt, häufig in Verbindung mit sich synchronisierender Atmung oder sogar der Herzfrequenz, knüpft an sehr frühe, basale körperliche Erfahrungen des Getragenseins, einschließlich der vorgeburtlichen Situation an.
Die wiegende Bewegung des Pferdes knüpft an sehr frühe, basale körperliche Erfahrungen des Getragenseins an.
Die wiegende Bewegung des Pferdes knüpft an sehr frühe, basale körperliche Erfahrungen des Getragenseins an.

Das Pferd bewegt den Menschen, und das äußere, körperliche Bewegtwerden bewegt uns auch innerlich, löst Emotionen, Blockierungen und Erstarrungen – manchmal verbunden mit Tränen und heftigem Weinen. Körperliche Berührung – zärtlich und liebevoll oder grob und gewaltsam – berührt uns auch seelisch, führt zu Vertrauen oder Angst, im Fall gravierender Traumatisierung auch in die Dissoziation.

Die psychosomatische Beruhigung scheint Vertrauen hinsichtlich der Regulierbarkeit schwieriger, negativ konnotierter Emotionen wie Angst, Trauer oder Wut zu bewirken. Sie erleichtert die Bearbeitung hoch emotional besetzter Situationen, zum Beispiel traumatischer und ursprünglich dissoziativ bewältigter Erlebnisse und Erfahrungen.

Einige der Therapeutinnen setzen das Getragenwerden auf dem Pferd – gerade während der Traumabearbeitung – dissoziationsverhindernd ein oder unterstützen die Affektregulierung. Es scheint, dass durch sich mit dem Pferd synchronisierende Körperhaltungen und Bewegungen nicht nur ein emotionales Sich-Einschwingen und eine große Beziehungsoffenheit einhergehen, sondern dass darüber hinaus eine durchlässigere Beziehung zur eigenen Innenwelt möglich wird. Die emotionale Verbundenheit mit einem anderen Lebewesen – ganz besonders in Verbindung mit körperlicher Berührung – öffnet hin zu den eigenen, unter Umständen lange unterdrückten oder unbewusst gehaltenen Emotionen und zum eigenen Selbst.

  • Oft wird die tiefe Verbundenheit des Pferdes mit dem Menschen als eine ganz besondere, nahezu mystische erlebt und empfunden. Resonanzphänomene der Pferde sind gut zu beobachten, aber schwer mess- oder operationalisierbar.

C.G. Jung gebraucht für die Verbindung der Analysepartner in ihrem Unbewussten den Begriff der „Participation mystique“. Die ethnologische Theorie der „mystischen Teilhabe“ beschreibt eine besondere Art der seelischen Verbundenheit. Eigenes Erleben und zahlreiche diesbezügliche Aussagen der hier interviewten Therapiepartner lassen vermuten, dass das instinkthafte Bewusstsein der Pferde in therapeutischen Situationen mitunter ebenfalls angeschlossen ist an das Unbewusste der mit ihnen inter-agierenden Menschen.

Evolution der Empathie

Schlegel beschreibt das Entwicklungskontinuum empathischer Fähigkeiten ausgehend von der Synchronisation von Körpern. Er bezieht sich dabei weitgehend auf den Ethologen Frans de Waal. „Ich denke, dass die Empathie zu einem Erbe gehört, das so alt wie die Abstammungslinie der Säugetiere ist. Die Empathie nutzt Hirnareale, die mehr als hundert Millionen Jahre alt sind. Die Fähigkeit entstand vor langer Zeit mit motorischer Nachahmung und Gefühlsansteckung, woraufhin die Evolution Schicht um Schicht hinzufügte, bis unsere Vorfahren nicht nur fühlten, was andere fühlten, sondern auch verstanden, was sie möglicherweise wünschten oder brauchten.“

Als motorische Nachahmung formt Synchronismus Fisch- und Vogelschwärme sowie das Herdenverhalten und ist „die ursprünglichste Form der Koordination und die tiefste Wurzel sozialen Verhaltens.“ Spiegelneuronen, ursprünglich bei Primaten entdeckt, sind die biologische Basis des Synchronismus. Synchronisation – für sich allein genommen – ist nicht mit Gefühlen verbunden. Diese werden erst auf der nächsten Stufe, der Gefühlsansteckung, übertragen. Auf die sich daraus entwickelnde Stufe der emotionalen Perspektivenübernahme folgt die des Mentalisierens, mit der hinzukommenden Möglichkeit, sich selbstreflexiv Klarheit über den eigenen psychischen Zustand zu verschaffen.

Oft haben wir im therapeutischen Kontext mit Gefühlen zu tun, die von den Patientinnen bereits unbewusst verdrängt und abgespalten sind. Obwohl diese im Unterschied zu offen gezeigten Gefühlen nicht unmittelbar lesbar sind, werden sie von der Therapeutin bestenfalls im Sinne der Gegenübertragung wahrgenommen. Wenn das intersubjektive Feld der Dyade Patientin/Therapeutin um das Pferd und seine spezifische, im Bereich der analogen Kommunikation möglicherweise weit feinere Wahrnehmung erweitert ist, hat die Therapeutin neben der eigenen Gegenübertragungswahrnehmung die Resonanz des Pferdes in seiner Begegnung mit der Patientin als Bestätigung, Ergänzung oder Korrektiv zur Verfügung. Das, was die Therapeutin in der Haut der Patientinnen spürt oder darüber hinaus in den Reaktionen des Pferdes erkennt, kann durch adäquate Interventionen in den therapeutischen Prozess zurückfließen. Dies ermöglicht es den Patienten, fähig zu werden, verdrängte Gefühle bei sich selbst wahrzunehmen.

Katalytische Wirkungen

In der Studie konnte gezeigt werden, dass die Einbeziehung der Pferde in die Therapien der hier interviewten Menschen mit katalytischen Wirkungen auf ihre therapeutischen Prozesse einherging. Für die Qualitätssicherung der pferdegestützten Psychotherapie braucht es vor allem qualifizierte Weiterbildungsangebote, in denen die Sensibilität der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten für die empathischen Resonanzpotenziale der Pferde geschult und verfeinert wird. Hier sollten sie ermutigt werden, die Arbeit mit dem Pferd auf der Basis der jeweiligen hippologischen Vorerfahrungen in die Konzepte der vorhandenen psychotherapeutischen Ausrichtung stimmig zu integrieren.

Angesichts der zunehmenden Nachfrage an pferdegestützten Psychotherapieangeboten wären – vor allem im Hinblick auf den wachsenden Bedarf von Menschen mit Traumafolgestörungen – Investitionen in größer angelegte Studien wünschenswert und notwendig. Die hochkomplexen, nachhaltig wirksamen nonverbalen Beziehungsinteraktionen zwischen Patienten, Pferden und Psychotherapeuten bedürfen genauer Beobachtungsinstrumente. Erst mit der weitgehend videobasierten Säuglingsforschung der 80er-Jahre konnten die vorsprachlichen Kompetenzen des Säuglings erfasst werden; sie revolutionierte die bisherige Entwicklungspsychologie und mündete in bahnbrechende Konzepte der Selbstentwicklung. Mit fortlaufender Video-Prozess-Dokumentation wären die in dieser Pilotstudie erfassten positiven Wirkungen der Pferde nachvollziehbar zu beobachten, die von uns fokussierten subjektiven Innenansichten der Therapiepartner wären mit objektiven Parametern anzureichern. Auf diese Weise erhielten wir weiteren Aufschluss über die empathische Kompetenz von Pferden und ihre in der Tiefe heilsamen Wirkungen auf die Seele psychotherapeutisch begleiteter Menschen.

Birgit Heintz, Dr. med. Marika Weiger,

Psychotherapeutinnen

Wir danken der Heidehofstiftung und der Susan Bach Foundation (CH) für die wohlwollende Förderung unserer Studie.

* Die Buchpublikation der Studie erscheint im Herbst 2020 unter dem Titel „Empathie auf vier Hufen – Einblicke in Erleben und Wirkung pferdegestützter Psychotherapie“ im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht.

1.
de Waal F: Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können München: Carl Hanser 2011.
2.
Fonagy P, György G, Jurist EL, Target M :
Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Stuttgart: Klett-Cotta 2006.
3.
Hediger K, Zink R: Pferdegestützte Traumatherapie München: Reinhardt 2017.
4.
Heintz B: Das Pferd als Symbol in Mythen, Märchen, Träumen und psychotherapeutischen Prozessen in: Psychotherapie mit dem Pferd. Beiträge aus der Praxis Warendorf: FN Verlag 2018; 169–89.
5.
Schlegel M: Evolution der Empathie Psychotherapie-Wissenschaft 2013; 2: 90–102.
6.
Weiger M: Frau Hauser und das Kind im Keller – Stationen einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie mit Pferden bei einer Patientin mit Posttraumatischem Belastungssyndrom in: Psychotherapie mit dem Pferd. Beiträge aus der Praxis Warendorf: FN Verlag 2018; 35–51.
1.de Waal F: Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können München: Carl Hanser 2011.
2.Fonagy P, György G, Jurist EL, Target M :
Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Stuttgart: Klett-Cotta 2006.
3.Hediger K, Zink R: Pferdegestützte Traumatherapie München: Reinhardt 2017.
4.Heintz B: Das Pferd als Symbol in Mythen, Märchen, Träumen und psychotherapeutischen Prozessen in: Psychotherapie mit dem Pferd. Beiträge aus der Praxis Warendorf: FN Verlag 2018; 169–89.
5.Schlegel M: Evolution der Empathie Psychotherapie-Wissenschaft 2013; 2: 90–102.
6.Weiger M: Frau Hauser und das Kind im Keller – Stationen einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie mit Pferden bei einer Patientin mit Posttraumatischem Belastungssyndrom in: Psychotherapie mit dem Pferd. Beiträge aus der Praxis Warendorf: FN Verlag 2018; 35–51.

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote