ArchivDeutsches Ärzteblatt PP6/2020Psychotherapie: Orientierung und Motivation zur Selbsterfahrung

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Psychotherapie: Orientierung und Motivation zur Selbsterfahrung

Zimmermann, Wolfram

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In der Reihe „Psychotherapeutische Dialoge“ von Uwe Britten wird ein in fünf Themenkomplexe gefächertes Gespräch mit zwei ausgewiesenen Psychotherapeutinnen veröffentlicht: Silke Gahleitner ist als Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit in Berlin vor allem mit der Beziehungsarbeit von traumatisierten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen befasst. Brigitte Schigl, Lehrtherapeutin für Integrative Therapie an der Donau-Universität Krems, interessiert sich für geschlechtsspezifische Themen in psychotherapeutischen Beziehungen.

Im ersten Teil des Buches werden weit ausholende Überlegungen zum „Umgang mit Komplexität“ reflektiert, angefangen bei nützlichen Beziehungen zwischen Bienen und Blüten über subjektbezogene Reduktionen (etwa kritischer Realismus) interaktiven Geschehens, bis zu abgeleiteten psychotherapeutischen Verfahren in Therapieschulen mit Konzentration auf das sogenannte „Exzentrizitäts-Dreieck“ zwischen Patient, Therapeut und kognitiven Reflexionen dieses Prozesses. Dabei werden inhaltliche Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland in der Psychotherapierealität festgestellt. Der weit gespannte Bogen führt im zweiten Teil zur sehr praxisrelevanten Themen wie Risiken der Psychotherapie, ihren Nebenwirkungen, Misserfolgen, Fehlern und Schädigungen, Rigidität und mangelnde Selbstreflexion. Die überzeugend kritische Einordnung dieser Themen führt zur präzisen Konzentration auf die Forderung nach kontinuierlicher „Arbeit mit uns selbst als Person“, das heißt notwendiger „Selbsterfahrung“ in der Beziehungsarbeit (dritter Teil des Gesprächs). Diese Beziehung verlangt, „Netzwerkarbeit und Lebenswelten in den Blick zu nehmen“, aber auch potenziell behindernde Abhängigkeiten, „Schlummerstrukturen“, mögliche eigene Überforderungsgefühle kongruent zu reflektieren. Daraus leiten sich Fragen ab zum teils kontroversen Umgang mit „heißen und kalten Abbrüchen“, zur Beendigung der Therapie, der Notwendigkeit einer offenen Fehlerkultur und individuellen Öffnung gegenüber anderen Therapieformen.

Dieses Interview ist sicher für jüngere Psychotherapeuten orientierend und motiviert zur Selbsterfahrung. Es ist zudem nicht nur wegen der anregenden selbstkongruenten „proaktiven Fehlerbewältigung“ einem breiteren Leserkreis zur nachdenklichen Lektüre zu empfehlen. Wolfram Zimmermann

Silke Birgitta Gahleitner, Brigitte Schigl, Uwe Britten: Psychotherapie als Beziehung und Prozess: Chancen, Risiken, Fehlerquellen. Vandenhoeck & Rupprecht Verlag, Göttingen 2019, 159 Seiten, 4 Abb., kartoniert,19,00 Euro

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