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Verschwörungstheorien: Was gegen den Irrglauben hilft


Coronarebellen, Impfgegner und Co. halten medizinisches Wissen für falsch. Viele lehnen konventionelle Behandlungen oder Prävention ab. Wie Ärztinnen und Ärzte mit solchen Patienten umgehen können.
Verschwörungstheorien bieten eine Zuflucht in Krisenzeiten. Sie liefern Schuldige und damit ein vermeintliches Gefühl von Kontrolle. Denn Schuldige kann man benennen und anprangern – bei einem Virus ist das schwierig.
So hat das riesige Ausmaß der Coronapandemie der Verschwörungsszene viele Anhänger beschert. Ihre Präsenz in Nachrichten und Sozialen Medien verunsichert auch Menschen, die selbst gar nicht zum Verschwörungsglauben tendieren. Ärztinnen und Ärzte müssen sich mit beiden Gruppen befassen.
Viele halten hartnäckig daran fest, dass COVID-19 weniger gefährlich als eine Influenza sei. Selbsternannte Coronarebellen rufen zu Protesten gegen angeblich geplante COVID-Zwangsimpfungen auf. Andere sind überzeugt, dass hinter sämtlichen Gesundheitsempfehlungen ein geheimer Plan zur Dezimierung der Weltbevölkerung steht – entworfen wahlweise von den USA, dem israelischen Geheimdienst und insbesondere Microsoft-Gründer Bill Gates.
Misstrauen gegen Mächtige
Sie alle eint „ein generalisiertes Misstrauen gegenüber all denen, die als mächtig wahrgenommen werden. Dazu zählen auch Ärzte und das Gesundheitssystem insgesamt“, weiß Psychologin Pia Lamberty, die an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz zu Verschwörungsglauben forscht. „Es braucht viel Fingerspitzengefühl und Geduld, um dem etwas entgegenzusetzen. Das ist im Praxisalltag nicht immer einfach umzusetzen.“
Eine Herausforderung, mit der man Ärzte nicht allein lassen sollte, meint auch Philipp Schmid, der im Bereich Sozial-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Erfurt lehrt. Er befasst sich unter anderem mit der Psychologie der Entscheidungsfindung im Gesundheitsbereich sowie Wissenschaftsleugnung. „Besonders wenn man an die Fülle an möglichen Mythen und Verschwörungen denkt, wäre praktische Hilfestellungen für Ärzte wichtig“, sagt Schmid. Offizielle Handlungsempfehlungen gibt es allerdings bisher nicht, denn wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zum Umgang mit Verschwörungstheoretikern sind rar.
Studien haben gezeigt, dass Menschen Verschwörungstheorien als Erklärungsmodelle für komplizierte Zusammenhänge nutzen. „Expertenwissen wird als uneindeutig, widersprüchlich, fluide und oftmals kontraintuitiv wahrgenommen. Dass es in so einer komplexen neuen Situation wie der Coronakrise keine eindeutigen Antworten für alles und alle geben kann, ist für viele schwer auszuhalten“, sagt Bernd Harder, Sprecher der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. Er veröffentlichte 2018 ein Buch über die Ursachen und Gefahren von Verschwörungstheorien. Diese böten zwar falsche, aber verständliche Antworten.
Viele würden auch lieber an das glauben, was ihren Wünschen, Einstellungen und Hoffnungen entspricht – „im konkreten Fall Corona eben, dass alles gar nicht so schlimm ist“, sagt Harder. Häufig handele es sich dann um verunsicherte Menschen, die zwar an die ein oder andere Verschwörungstheorie glauben, aber durchaus noch offen für Faktenwissen zu Krankheiten und Vorsorge sind, so Schmid. Dieses müsse nur richtig dargeboten werden.
„Wenn der Patient bereits an einen spezifischen Mythos glaubt, muss dieser entkräftet und eine Alternativerklärung geboten werden“, sagt Schmid. Bloße Informationswiedergabe reiche dafür nicht. „Das neue Erklärungsmodell sollte nicht nur zeigen, dass das alte Modell falsch ist, sondern auch warum und wo dieses Falschwissen herkommt.“ Die schlichte Aussage „Nein, das ist falsch“ liefere keinerlei Erklärung und sei somit weniger attraktiv als das falsche, aber erklärende Verschwörungsnarrativ.
Es gibt jedoch auch extreme Fälle, in denen das Misstrauen in Autoritäten und die fehlende Bereitschaft, das eigene Weltbild mit der Evidenzlage abzugleichen, Teil der Identität sind. „Diese Gruppe sieht sich im Vergleich zu ihren Mitmenschen als überlegen an, weil sie ‚hinter die Kulissen schaut‛“, erklärt Schmid. Dieses vermeintliche Mehrwissen verleihe einigen auch einen gewissen Status innerhalb ihres sozialen Umfelds. „Das aufzugeben würde bedeuten, die eigene Identität zu gefährden“, sagt Schmid. „Unsere Forschung hat gezeigt, dass insbesondere bei Menschen mit stark ausgeprägtem Bedürfnis nach Einzigartigkeit die Verschwörungsmentalität stark ausgeprägt ist“, bestätigt Lamberty. Über ein scheinbares Geheimwissen würden sich diese Menschen über andere erhöhen. Solchen Patienten nur Fakten zum gesundheitlichen Nutzen einer Behandlung anzubieten, helfe nur bedingt.
Ein häufiger Auslöser für den Verschwörungsglauben sei ein erlebter Kontrollverlust – so wie ihn in der Coronakrise viele Menschen erleben. „Eine Umgangsoption könnte also sein, dass man Selbstbestimmtheit von Patienten mehr in den Fokus rückt und versucht, sie in die Entscheidungsfindung einzubeziehen“, schlägt Lamberty vor. Mehr Forschung müsse allerdings noch zeigen, welche Ansätze am sinnvollsten seien.
Vertrauensverhältnis ausbauen
Besonders schwierig kann die Situation für Ärzte werden, wenn Eltern einem Verschwörungsmythos anhängen und deshalb ihre Kinder nicht sachgemäß behandeln lassen. In solchen Fällen sollten Mediziner versuchen, zu verstehen, was der Verschwörungsglaube für die Eltern bedeutet und welche Ängste sich dahinter verbergen können, rät Lamberty. Um auf diese reagieren zu können, sei es auch wichtig, sich über aktuelle Verschwörungsdiskurse zu informieren und die Argumentationen zu kennen (s. Kasten).
In jedem Fall sei es aber ein gutes Zeichen, wenn Patienten trotz eines Verschwörungsglaubens eine Praxis aufsuchten, meint Schmid. „Das heißt, es besteht ein gewisses Vertrauensverhältnis.“ Dieses könne über die Zeit noch verstärkt werden.
Im Umgang mit verschwörungsgläubigen Freunden oder Familienmitgliedern wird häufig geraten, viele Fragen zu stellen. Etwa, woher eine Information stammt oder warum gerade dieser Quelle vertraut wird. Ziel ist es, einen Prozess der Selbstreflexion in Gang zu bringen. Im Praxisalltag fehlt für so ausführliche Gespräche oft die Zeit. Schmid rät: „Wenn das Arzt-Patienten-Gespräch nicht nach einer Sitzung zum Erfolg führt, so kann konsistente Aufklärung über Sitzungen hinweg das Glaubensbild der Patienten beeinflussen.“ Dies sei im Extremfall ein langwieriger, aber vielversprechenderer Weg als den Patienten alleinzulassen. Alina Reichardt
Alternativnarrativ anbieten
Der Psychologe Philipp Schmid empfiehlt, Verschwörungsmythen nicht nur abzutun, sondern deren Herkunft zu erklären und sie durch ein richtiges Narrativ zu ersetzen. Beispiel:
Mythos: Die MMR-Impfung löst Autismus aus.
Erklärendes Narrativ:
Die MMR-Impfung erhöht nicht das Risiko, an Autismus zu erkranken. Seit ihrer Einführung wurden weltweit rund 575 Millionen Dosen MMR-Impfstoff verabreicht. Es hat eine ausgezeichnete Sicherheitsbilanz. Es ist tatsächlich ein weit verbreiteter Mythos, dass MMR-Impfungen Autismus verursachen können. Dieser Mythos basiert auf einem Zeitschriftenartikel aus dem Jahr 1998, der einen Zusammenhang zwischen dem MMR-Impfstoff und Autismus und Magen-Darm-Erkrankungen nahelegte. Im Jahr 2004 wurde allerdings bekannt, dass der Autor ein finanzielles Interesse daran hatte, den MMR-Impfstoff mit Autismus in Verbindung zu bringen. Ein Anwalt, der Impfstoffhersteller verklagen wollte, hatte ihn eingestellt und die Kinder für die Studie rekrutiert. Darüber hinaus wurden Daten gefälscht: Entgegen den Angaben im Artikel zeigten einige Kinder bereits Anzeichen von Autismus, bevor sie überhaupt geimpft wurden. Der ursprüngliche Artikel wurde von der Zeitschrift zurückgezogen. Zahlreiche wissenschaftliche Artikel haben die Behauptung des Artikels von 1998 seitdem widerlegt. Es kann gefolgert werden, dass eine MMR-Impfung das Risiko für die Entwicklung von Autismus nicht erhöht. Fakt ist: Das Risiko der Erkrankungen übersteigt bei Weitem das Risiko der Impfung. Deshalb empfehle ich Ihnen auch die Impfung.
Quelle: http://daebl.de/KM96
Telaar, Claudia
Crecelius, Kai
Pfingsten, Klaus Rainer
Baden, Reinhard
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.am Montag, 15. Juni 2020, 14:14
Evidenzbasiertes Misstrauen
Deswegen und da ich selbst Aufgrund einer Behinderung betroffen bin, muss ich mal eine Lanze für den misstrauischen Patienten brechen und erklären, dass -zumindest bei mir- dieses Misstrauen durch viele Ärzte hart erarbeitet wurde.
Seit meiner Geburt fehlen auf der rechten Seite das Glenohumeralgelenk und das Scapula.
Dass das auch ein ärztlicher Kunstfehler war, lassen wir mal Beiseite.
Dann wurde aber auch noch eine falsche Diagnose gestellt („erbsche Lähmung“) und ich 14 Jahre auf diese Erkrankung behandelt.
Was bedeutete: jede Menge Ärzte, jede Menge Spritzen und jede Menge weitere Fehldiagnosen, da niemand die Ursprungsdiagnose in Frage gestellt hat, obwohl das problemlos möglich gewesen wäre.
Erst ein Arzt in der Uniklinik Münster hat dann endlich festgestellt, dass es unmöglich „erbsche Lähmung“ sein kann. Bis dahin und auch danach, musste ich diversen Ärzten erst mal mein Röntgenbild erklären, mir jede Menge -wie soll ich sagen- offensichtlich dreist geratene Diagnosen anhören und mich zwischenzeitig auch mal fröhlich durch schlecht gelaunte Chefärzte beschimpfen lassen, da so eine Erkrankung "unter ihrer Würde" war. Dann noch diverse Betriebsärzte die mir bescheinigten, dass ich -da ich bestimmte Arbeiten nicht machen konnte- faul sei. "Wess Brot ich ess, dess Lied ich sing" ist auch bei Ärzten durchaus beliebt. Nicht unerwähnt sollten die Ärzte bleiben, die mich als reines Versuchsobjekt betrachteten, mich -ohne sich mit mir abzustimmen, war ja nur ein Kind- auch mal fröhlich -nackt auf der Rollbahre- in einen Hörsaal schoben, damit die Studenten mal schnell an mir rumgrabschen konnten, sowie die Ärzte, die wie Weiland zu Lobotomie Zeiten, einfach mal Strom angelegt haben um zu sehen was dann mit meinem rechten Arm passiert.
Gut das waren die 60er, 70er und 80er Jahre(nur nicht das Beste aus diesen Jahren ;)
Deswegen glauben Sie mir: es gibt ein durchaus fundiertes Misstrauen gegenüber Ärzten.
Virologen vertraue ich im Übrigen durchaus.
Viele Grüße
Axel