MEDIZINREPORT
IQWiG-Abschlussbericht: PSA-Test hilft, Siechtum zu vermeiden


Die Früherkennung des Prostatakarzinoms wird oft auf den PSA-Test reduziert. Das führt dazu, dass zahlreiche Maßnahmen nicht zum Zuge kommen, die den am meisten gefährdeten Männern zugutekommen könnten.
Mehr Schaden als Nutzen sei zu erwarten, würde mittels PSA-Test nach Prostatakrebs gefahndet. So lautet das Urteil des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in seinem Abschlussbericht zur Frage des G-BA, ob ein PSA-Screening als Kassenleistung sinnvoll sein könnte (1). Aber ist das die richtige Fragestellung? Denn isolierte PSA-Testung ist längst nicht mehr wissenschaftlich up to date.
Vielmehr sollte der Bluttest, bei dem das prostataspezifische Antigen (PSA) bestimmt wird, nur als Ausgangspunkt einer individualisierten und risikoadaptieren Screening-Kaskade dienen. So sehen es nicht nur zahlreiche Fachgesellschaften in ihren Stellungnahmen zum IQWiG-Votum (2). So sieht es auch Prof. Dr. Monique J. Roobol, Leiterin der Forschungsabteilung der Urologischen Universitätsklinik in Rotterdam. Sie untersucht seit Jahren den Nutzen von Screeningtools.
Roobol hat in einem aktuellen Beitrag zur Debatte die derzeit verfügbare Evidenz für eine optimierte Früherkennung einer der häufigsten Tumoren des Mannes erläutert (3). „Ein PSA-basiertes Screening sollte nicht so viele Prostatakarzinome wie möglich detektieren“, hält die Epidemiologin dort als Leitgedanken fest, „sondern selektiv auf die Entdeckung derjenigen fokussieren, die schaden, wenn sie unentdeckt und unbehandelt bleiben“. Hierfür empfehlen sich Risiko-Kalkulatoren, die eine Vielzahl von Parametern einbeziehen. Neben dem Alter ist das zum Beispiel die Lebenserwartung, das Prostatavolumen oder auch PSA-Subformen (freies und proPSA) zur Bestimmung des Prostate Health Index (PHI) (4).
Bildgebung hilft eingrenzen
Zu Kriterien, die zusätzlich zu einem PSA-Wert die Diagnose präzisieren helfen, zählen Befunde aus der Bildgebung, etwa von dem transanalen Ultraschall (TRUS) und vor allem auch der multi-parametrischen Magnetresonanztomografie (mpMRT). Oder man nutzt die Kombination von Verfahren in der MRT/Ultraschall-Fusionsbiopsie. Als beispielhaft gilt etwa der Algorithmus, wie ihn unlängst die Euroeaen Association of Urology (EAU) publiziert hat (5).
Zwar hält es das IQWiG ebenfalls für nachvollziehbar, dass solche Maßnahmen zu einer Verringerung der Anzahl der unnötigen Biopsien führen könnten. Es sei plausibel anzunehmen, dass vor allem die klinisch nicht signifikanten Prostatakarzinome diejenigen sind, die die Überdiagnosen verursachten. Das reiche allerdings nicht aus, denn: Es gebe nicht genügend Daten. Diese seien frühestens in acht Jahren zu erwarten, dann nämlich, wenn die Ergebnisse von zwei kürzlich gestarteten, neuen Screeningstudien vorlägen, die jedoch nicht vor 2028 zu erwarten sind.
Die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) will aber nicht so lange warten. Sie drängt auf einen Algorithmus zu risikoadaptierter Früherkennung, abklärender Diagnostik zur Vermeidung unnötiger Biopsien und individuell abgestimmter Aufklärung über Therapieoptionen einschließlich der aktiven Überwachung (1). Gerade die aktive Überwachung lässt erkennen, wie gut es bereits hierzulande gelingt, Übertherapien zu vermeiden. Die regelmäßig publizierten OnkoZert-Daten zeigen, dass der Anteil derjenigen Patienten, die inzwischen im Rahmen einer „active surveillance“ behandelt werden, deutlich zugenommen hat: von 16 auf 27 %. Diese Steigerung belegt in den Augen der Urologen das ernsthafte Bemühen, nicht invasive Therapieansätze umzusetzen.
Folge man indes der IQWiG-Forderung, bis 2028 zu warten, sei nicht nur die differenzierte bioptische Diagnostik zum Stillstand verurteilt, kritisiert Prof. Dr. med. Michael Stöckle, Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie der Universität des Saarlandes in Homburg Saar: „Der vom IQWiG geforderte Aufschub riskiert einen weiteren Anstieg der Prostatakarzinom-Mortalität“, warnt der langjährige DGU-Generalsekretär und betont: „Das Prostatakarzinom ist der einzige maligne Tumor, dessen Sterblichkeit derzeit nicht sinkt wie bei jedem anderen Krebs, sondern steigt. Ich frage mich, wie lang sich die Selbsthilfegruppen das noch bieten lassen.“
Gentests als künftige Marker
Stöckle benennt zudem weitere Nachteile: „Das IQWiG-Votum lässt zudem jene Patienten mit hohem Risiko außen vor, die von einem frühen PSA-Test besonders profitieren würden“, erläutert er. In anderen Ländern wird längst überlegt, bestimmte genetische Dispositionen in die Prostatakrebsdiagnose- und Therapie einzubeziehen.
Inzwischen weiß man nämlich, dass etwa BRCA 1/2 Gene das Prostatakrebsrisiko mit beeinflussen (6, 7). „Wir müssten zum Beispiel Söhne von Frauen, die als Trägerinnen solcher Mutationen an Brustkrebs erkrankten, darüber aufklären, dass sie zwingend früh auf Prostatakrebs gescreent werden sollten“, so Stöckle.
Der Anstieg der Mortalität ist vor allem deshalb zu befürchten, weil hierzulande immer mehr Patienten nicht mehr kurativ behandelt werden können, wenn sie von ihrem Prostatakrebs erfahren. Stöckle hat mit seiner Arbeitsgruppe herausgearbeitet, was viele Urologen in den letzten Jahren immer wieder aus ihrem klinischen Alltag auf Kongressen und Qualitätszirkeln berichten: Die Engführung der PSA-Debatte auf Schäden durch Überdiagnosen und -therapien hat zu einer Skepsis vieler Männer gegenüber der Früherkennung geführt (8).
Dies hat vermutlich mit dazu beigetragen, dass nicht nur in Deutschland eine sogenannte Stadien-Verschiebung (Stage-Shift) beobachtet wird. Die Homburger Urologen stellten bei einem Vergleich von 932 Operationen in den Jahren 2008 bis 2010 mit 344 Operationen aus 2017 fest, dass weiter fortgeschrittene Tumorstadien deutlich zugenommen hatten (9). Der Anteil der T3-Tumore (lokal fortgeschrittenes Prostata-Ca) stieg zum Beispiel signifikant von 29 % (in den Jahren 2008 bis 2010) auf 49,4 % (im Jahr 2017). Die Zahl der Patienten mit lymphonodaler Metastasierung fiel bei diesem Vergleich sogar 4-fach höher aus (4,5 % vs. 16,9 %).
Die Autoren vermuten einen der Gründe darin, dass der PSA-Test lange negativ bewertet wurde und infolgedessen immer mehr Männer auf jedwede Früherkennung verzichtet hatten. Bezahlt wird dies mit einer höheren Zahl von Tumoren, die bei Diagnosestellung nicht mehr heilbar sind. Das IQWiG resümiert selbst, dass ein PSA-Screening zweifelsfrei den Anteil der metastasierten Stadien verringern könne.
Dadurch würde unabhängig von der Lebensverlängerung den „Patienten eine Belastung durch eine metastasierte Krebserkrankung erspart oder zeitlich verzögert“, heißt es in dem Abschlussbericht. Dies betrifft ein Drittel der Prostatakrebskranken und somit jährlich bundesweit mehr als 20 000 Tumorkranke. Mit rund 66 000 Neuerkrankungen im Jahr und mehr als 13 000 Todesfällen ist das Prostatakarzinom immer noch die häufigste Krebserkrankung bei Männern und noch vor dem Kolonkarzinom die zweithäufigste Todesursache nach Lungenkrebs.
„Man sollte die Belastung, die die Diagnose ‚metastasiertes Prostatakarzinom‘ bedeutet, nicht kleinreden“, mahnt Stöckle. Je nach weiteren Risikofaktoren des fortgeschrittenen Tumors beziffert sich die Lebenserwartung zwar noch auf fünf bis acht Jahre – dies aber mit zunehmend schlechterer Lebensqualität. Für Stöckle ist insbesondere die psychische Belastung unter dem Damoklesschwert der fortschreitenden Tumorkrankheit der Hauptfaktor, der diese massiv einschränkt.
Leid der Betroffenen
„Manche sind verständlicherweise auf den Anstieg ihrer PSA-Werte fixiert, mit denen sie den Fortgang der Erkrankung quasi selbst objektiv dokumentieren“, erläutert der Urologe die Wandlung vom PSA-Wert als Screening-Instrument zum Marker für den zunehmenden körperlichen Verfall. Die mit der Unausweichlichkeit oft verbundene Depressivität ist inzwischen ein anerkanntes Begleitrisiko einer fortgeschrittenen Prostatakarzinomerkrankung. Die häufig unvermittelt und auch bei nicht depressiven Prostatakarzinompatienten vorkommenden Suizide werden zunehmend zum Gegenstand der psychoonkologischen Forschung (10).
Weitere Begleiterscheinungen sind Fatigue und Knochenmetastasen, die die Lebensqualität der Betroffenen zusätzlich merkbar mindern (11, 12). Die fast bei allen im Verlauf zu erwartenden Knochenaffektionen sind äußerst schmerzhaft, ohne Opiate kaum zu kontrollieren und sie schränken den Bewegungsradius der Kranken progredient ein. „Von Siechtum zu sprechen, ist daher durchaus angebracht“, betont Stöckle. Die Tatsache, dass ein älterer Patient mitunter dennoch nicht nach jahrelangem Leiden am Prostatakarzinom, sondern beispielsweise an einem Herzinfarkt stirbt, führt rein statistisch betrachtet zwar dazu, dass er nicht von einer Früherkennung profitiert hätte. Das ersparte Leid der jahrelangen Krebserkrankung bei der Schaden-Nutzen-Bilanz jedoch zu negieren, nennen Urologen „zynisch und realitätsfern“ (4). Dr. med. Martina Lenzen-Schulte
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2420
oder über QR-Code.
1. | Lenzen-Schulte M: Früherkennung des Prostatakrebses sollte nicht beim PSA-Test haltmachen. News Ärzteblatt 25. Mail 2020 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/113111/Frueherkennung-des-Prostatakrebses-sollte-nicht-beim-PSA-Test-haltmachen (last accessed on 29 May 2020). |
2. | https://www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/projekte/nichtmedikamentoese-verfahren/s-projekte/s19–01-prostatakarzinom-screening-mittels-psa-test.11857.html |
3. | Remmers S, Roobol MJ: Personalized Strategies in Population Screening for Prostate Cancer. Int J Cancer 11 May 2020 doi: 10.1002/ijc.33045 (last accessed on 29 May 2020) CrossRef MEDLINE |
4. | Stephan C, Schlomm T, Jung K: Gegendarstellung zu: PSA-Screening. Der Urologe 2018; 57: 777-9 CrossRef MEDLINE |
5. | https://uroweb.org/eu-must-do-more-on-prostate-cancer/ (last accessed on 29 May 2020). |
6. | Dess RT, Spratt DE: Why the UK Should Consider Gene Expression Testing in Prostate Cancer. Clin Oncol (R Coll Radiol) 2020; 32 (3): 149–155 CrossRef MEDLINE |
7. | Dean M, Campbell-Salome G, Rauscher EA: Engaging Men With BRCA-Related Cancer Risks: Practical Advice for BRCA Risk Management From Male Stakeholders. Am J Mens Health. 2020; 14 (3): 1557988320924932 CrossRef MEDLINE |
8. | Lenzen-Schulte M: Prostatakrebs: Die Kritik am PSA wird immer leiser. Dtsch Arztebl 2017; 114 (39): A-1757/B-1493/C-1463 VOLLTEXT |
9. | Saar M, Abdeen MSKM, Niklas C, et al.: Bagatellisierung des Prostatakarzinoms. Stadienshift und mögliche Ursachen. Der Urologe 2019, 58: 1461–1468 CrossRef MEDLINE |
10. | Tripp DA, Mihajlovic V, Fretz K, et al.: Quality of life, depression, and psychosocial mechanisms of suicide risk in prostate cancer. CAUJ/JAUC 2020; 14 (10) doi: https://doi.org/10.5489/cuaj.6310 (last accessed 29. Mai 2020) CrossRef MEDLINE |
11. | Santini D, Berruti A, Di Maio M, et al.: Bone health management in the continuum of prostate cancer disease: a review of the evidence with an expert panel opinion. ESMO Open. 2020; 5 (2): e000652. doi: 10.1136/esmoopen-2019–000652 (last accessed on 29 May 2020). CrossRef MEDLINE PubMed Central |
12. | Antolin AR, Martinez-Pinerio L, Romero MEJ, et al.: PREVALENCE OF FATIGUE AND IMPACT ON QUALITY OF LIFE IN CASTRATION-RESISTANT PROSTATE CANCER PATIENTS: The VITAL Study. BMC Urol 2019; 19 (1): 92 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
Paschen, Ulrike; Lange, Stefan
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.am Dienstag, 16. Juni 2020, 18:26
Identifikation von niedrigen PSA jedoch high-grade Prostata-Krebs
Dr. Antonis Tsamaloukas
Finckensteinallee 137
12205 Berlin
Email:tsamaloukas@oxphos.de