ArchivDeutsches Ärzteblatt24/2020Deutscher Ethikrat: Antritt in neuer Besetzung

POLITIK

Deutscher Ethikrat: Antritt in neuer Besetzung

Richter-Kuhlmann, Eva

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Der Deutsche Ethikrat tagte Ende Mai in Berlin zum ersten Mal in neuer Zusammensetzung und wählte die Ärztin Prof. Dr. med. Alena Buyx zu seiner Vorsitzenden. Inhaltlich will sich das Gremium zunächst mit der COVID-19-Pandemie im weiteren Sinne und mit dem Thema „Suizid“ befassen.

Sie sind ab sofort das Gesicht des Deutschen Ethikrates: Prof. Dr. phil. Julian Nida-Rümelin, Prof. Dr. med. Alena Buyx, Prof. Dr. iur. Volker Lipp und Prof. Dr. rer. nat. Susanne Schreiber (von links). Foto: Deutscher Ethikrat/Reiner Zensen
Sie sind ab sofort das Gesicht des Deutschen Ethikrates: Prof. Dr. phil. Julian Nida-Rümelin, Prof. Dr. med. Alena Buyx, Prof. Dr. iur. Volker Lipp und Prof. Dr. rer. nat. Susanne Schreiber (von links). Foto: Deutscher Ethikrat/Reiner Zensen

Der Deutsche Ethikrat hat sich neu formiert und besteht in seiner jetzt beginnenden Amtszeit nahezu zur Hälfte aus neuen Mitgliedern. Das interdisziplinäre Gremium wählte bei seiner konstituierenden Sitzung am 28. Mai in Berlin zudem eine neue Vorsitzende: die Ärztin, Philosophin und Soziologin Prof. Dr. med. Alena Buyx. Die Medizinethikerin löst den bisherigen Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates (DER), den Theologen Prof. Dr. Peter Dabrock, ab, der den Rat nach einer achtjährigen Mitgliedschaft im April turnusmäßig verließ. Zu den stellvertretenden Ratsvorsitzenden wählten die Mitglieder den Juristen Prof. Dr. iur. Volker Lipp, den früheren Kulturstaatsminister Prof. Dr. phil. Julian Nida-Rümelin und die Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. rer. nat. Susanne Schreiber.

Mit Buyx steht wieder eine Ärztin an der Spitze des DER. Sie ist Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin sowie Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der Medizinischen Fakultät der TU München und nicht neu im Ethikrat: Sie gehört ihm bereits eine Amtszeit – also vier Jahre – an und brachte ihre Expertise vor allem auf den Gebieten der Medizin- und Forschungsethik sowie Public Health-Ethik ein.

Buyx lebt die Interdisziplinarität

So war Buyx Sprecherin der Arbeitsgruppe „Eingriffe in die menschliche Keimbahn“, unter deren Federführung der DER vor einem Jahr in einer ausführlichen Stellungnahme die Möglichkeiten untersuchte, jetzt oder in Zukunft in das Genom menschlicher Embryonen oder Keimzellen einzugreifen.

Ihr medizinischer Background ist bei solchen Fragestellungen wertvoll. Dennoch soll die Tatsache, dass sie Ärztin ist, bei ihrem Amt als neue Vorsitzende des Deutschen Ethikrates nicht im Vordergrund stehen. „Ich lebe die Interdisziplinarität“, sagt Buyx im Gespräch mit den Deutschen Ärzteblatt. „Aufgrund meines Studiums der Philosophie und Soziologie kann ich mich einerseits den verschiedenen ethischen Fragestellungen theoretisch nähern. Andererseits kann man als Ärztin die praktische Anwendung nie ausblenden.“ Was heißt diese Umsetzung für den Patienten, für das Gesundheitssystem? Was bedeutet sie für die Gesellschaft, für bestimmte soziale Gruppen? Dies seien Fragen, die sich ihr quasi automatisch stellten.

Buyx glaubt nicht, dass die Tatsache, dass mit ihr nach Prof. Dr. med. Christiane Woopen erneut eine Ärztin Vorsitzende des Deutschen Ethikrates ist, entscheidend für die Wahrnehmung des Gremiums in der Öffentlichkeit ist. „Die Entscheidungen und Stellungnahmen des Rates sind immer eine Gemeinschaftsleistung“, erklärt sie. Eine Vorsitzende oder ein Vorsitzender sollte dem Rat nicht eine Art Stempel aufdrücken. Der Souverän ist das Plenum.“

Während seiner konstituierenden Sitzung legte dieses bereits Teile seines Arbeitsprogramms für die kommenden Monate fest. „Noch sind die Themen allerdings nicht abschließend besprochen“, betont Buyx. Vor allem aufgrund der gegenwärtigen Pandemiesituation und den geltenden Kontaktbeschränkungen seien der Zeitplan sowie noch viele Formate und die Durchführung von Veranstaltungen unklar. Sicher sei bereits, dass die diesjährige Jahrestagung im Sommer ausfallen müsse.

Einig sei man sich innerhalb des Gremiums zudem, dass man das Thema „Suizid“ bearbeiten wolle. „Wir haben dazu jedenfalls eine Arbeitsgruppe gegründet, die jetzt Möglichkeiten sondiert, das Thema anzugehen“, sagt Buyx. Beachtung könne dabei auch der assistierte Suizid durch Ärztinnen und Ärzte finden.

Ferner werde sich der DER mit ethischen Themen im Kontext der Pandemie befassen. „Die COVID-
19-Pandemie zeigt viele tiefer liegende Probleme auf“, erläutert Buyx. Ein Bespiel sei das Spannungsfeld zwischen Gesundheitsschutz und Freiheitsermöglichung: Wo liegen hier die Prioritäten in unserer Gesellschaft? „Viele Probleme spitzen sich während einer Pandemie zu“, sagt Buyx, „sind aber eigentlich nicht auf sie beschränkt.“ Diese Thematik habe das Gremium in einer Ad-hoc-Empfehlung bereits Ende März in den Blick genommen.

Zunächst wird sich der neu berufene DER aber mit der möglichen Einführung von Imumunitätsnachweisen für Sars-CoV-2 beschäftigten. Eine interdisziplinäre Vorbereitungsgruppe des Rates hatte sich bereits damit vor der ersten Sitzung befasst. Nun wurde eine entsprechende Arbeitsgruppe gebildet. Damit kommt der Rat einer Bitte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nach, der die Einführung eines Immunitätsnachweises im neuen Pandemiegesetz der Bundesregierung festschreiben wollte, nach Kritik diesen Vorstoß vorerst zurückzog.

Obwohl diese Aufgabe sehr komplex ist, will der DER noch vor der Sommerpause eine Ad-hoc-Stellungnahme zum Thema „Immunitätsnachweis“ vorlegen. Viel Arbeit für die 24 Mitglieder (elf Frauen und 13 Männer), die dem DER seit der Berufung durch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) am 30. April angehören. Üblicherweise besteht der DER jedoch aus 26 Mitgliedern, die jeweils hälftig von der Bundesregierung benannt und auf Vorschlag der Fraktionen im Bundestag gewählt werden.

Bereits Anfang April hatte die Bundesregierung ihre 13 Kandidaten benannt. Auch das Parlament nominierte 13 Kandidaten. Bei der Wahl am 23. April erhielten jedoch die beiden von der AfD benannten Kandidaten, die Ärzte Prof. Dr. med. Axel W. Bauer und Prof. Dr. med. Helmut Hahn, keine Mehrheit. Statt der möglichen 13 Experten wählten die Abgeordneten somit nur elf in das Gremium.

Dass somit zwei Plätze im DER frei bleiben, ist ein Novum. Bemerkenswert ist dabei besonders, dass mit dem Heidelberger Medizinethiker Bauer die AfD einen Kandidaten nominiert hatte, der dem Deutschen Ethikrat schon einmal angehörte, nämlich von 2008 bis 2012. Damals war Bauer von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nominiert worden. Begünstigt wurde die Ablehnung der von der AfD vorgeschlagenen Experten durch eine Änderung des Abstimmungsverfahrens: Während bei früheren Ethikratwahlen das Plenum nur über eine einzige Bundestagsdrucksache abstimmte, auf der alle Kandidaten aufgelistet waren, wurde dieses Jahr erstmals über fünf verschiedene Drucksachen abgestimmt.

Dem DER gehören in dieser Amtszeit vergleichsweise wenige Ärzte an, da einige im April nach einer achtjährigen Amtszeit turnusmäßig ausschieden: Dies betraf beispielsweise die beiden bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Prof. Dr. med. Katrin Amunts und Prof. Dr. med. Claudia Wiesemann. Auch weitere Ärzte haben den Rat turnusmäßig verlassen: Prof. Dr. med. Leo Latasch, Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden, der türkischstämmige Arzt Prof. Dr. med. Ilhan Ilkilic, Prof. Dr. med. Elisabeth Steinhagen-Thiessen und Dr. med. Christiane Fischer von der Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte. Neu im Rat ist jetzt jedoch der Würzburger Internist und Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

DER – Fakten und Hintergründe

Seit 1984 beraten Gremien sowohl den Bundestag als auch die Bundesregierung in ethischen Fragen. Auf die Enquetekommission des 10. Bundestags „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ folgte im Jahr 2000 die Enquetekommission des 14. Deutschen Bundestags „Recht und Ethik der modernen Medizin“. 2001 setzte das Bundeskabinett den „Nationalen Ethikrat“ ein. 2007 wurde das Ethikratgesetz verabschiedet. Der damit begründete Deutsche Ethikrat (DER) ist seit Mai 2008 in wechselnder Besetzung tätig und bearbeitet ethische, gesellschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische und rechtliche Fragen sowie die voraussichtlichen Folgen für Individuum und Gesellschaft, die sich im Zusammenhang mit der Forschung und den Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und ihrer Anwendung auf den Menschen ergeben.

Berufen durch den Bundestagspräsidenten werden generell Wissenschaftler aus dem naturwissenschaftlichen, medizinischen, theologischen, philosophischen, ethischen, sozialen, ökonomischen und rechtlichen Bereich, und zwar hälftig auf Vorschlag des Bundestags und der Bundesregierung. Eine Amtszeit eines gewählten und berufenen Mitglieds beträgt vier Jahre, wobei danach noch eine einmalige Wiederwahl für eine weitere Amtszeit möglich ist. Vorsitzende des Rates waren von 2008 bis 2012 der ehemalige Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig, die Ärztin und Medizinethikerin Dr. med. Christiane Woopen (2012 bis 2016) und von 2016 bis April dieses Jahres der Theologe Prof. Dr. Peter Dabrock.

Zu den Aufgaben des Deutschen Ethikrates gehören insbesondere die Information der Öffentlichkeit und die Förderung der Diskussion in der Gesellschaft, die Erarbeitung von Stellungnahmen sowie von Empfehlungen für politisches und gesetzgeberisches Handeln für die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag und darüber hinaus die Zusammenarbeit mit nationalen Ethikräten und vergleichbaren Einrichtungen anderer Staaten und internationaler Organisationen.

Kommentare

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Avatar #633205
drdrburke
am Mittwoch, 24. Juni 2020, 19:57

Besetzung des Ethikrates

Obwohl ich keinerlei Sympathie für die AfD empfinde empört mich die Nichtwahl der beiden Kandidaten Prof. Bauer und Prof. Hahn. Mit dieser Art des Demokratieverständnisses diskreditieren sich die anderen Parteien selbst. Es bleibt der Vergleich mit Heranwachsenden, die sich diebisch über ihre Streiche freuen. Mal wieder nur peinlich...

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