MEDIZIN: Korrespondenz
Effekte von COVID-19-Pandemie und Lockdown auf die Versorgung von Krankenhauspatienten
The effects of the COVID-19 pandemic and lockdown on routine hospital care for other illnesses
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Die COVID-19-Pandemie stellt alle Gesundheitssysteme vor große Herausforderungen. Die Zahl der Patienten mit COVID 19 per se wie auch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben weitreichende Folgen für die Patientenversorgung. Aus allen Teilen der Welt wird berichtet, dass deutlich weniger medizinische Notfälle gesehen werden. Wir berichten über das Ausmaß der geänderten Versorgungsrealität an 310 Kliniken der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) während der Phase des Lockdown.
Methode
Es wurden die Abrechnungsdaten von 310 IQM-Kliniken analysiert, die freiwillig ihre Daten unmittelbar im Anschluss an den Untersuchungszeitraum bereit stellten. Die Daten wurden entsprechend der bei IQM bestehenden Routine durch 3M nach den Definitionen der „German In-Patient Quality Indicators“ (GIQI) in der aktuellen Version aus dem Abrechnungsdatensatz der Krankenhäuser nach § 21 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) aufgearbeitet, der strukturierte Angaben zu „International Classification of Diseases“ (ICD), Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS), Alter, Geschlecht, Aufnahme- und Entlassungsgrund beinhaltet (1, 2).
Zusätzlich wurden die Codes U07.1 für COVID 19 mit Nachweis des SARS-CoV-2 als auch U07.2 für den klinischen COVID-19-Verdacht ohne Virusnachweis ausgewertet.
3M agiert auch bei der standardmäßigen Auswertung der IQM-Kliniken als Datentreuhänder und Auswertestelle, sodass alle Datenschutzaspekte auch für die vorliegende Analyse durch 3M gewährleistet sind. Alle teilnehmenden Krankenhäuser erhalten die sie betreffende Analyse zurück und haben der Nutzung der aggregierten Daten zugestimmt.
In Deutschland galten in der Zeit vom 1. 1.–12. 3. 2020 keine Einschränkungen des öffentlichen Lebens, während vom 13. 3.–19. 4. 2020 durch vielfältige Regulationen das öffentliche Leben und der Routinebetrieb des Gesundheitswesens zum Zwecke der Pandemieeindämmung eingeschränkt war. Diese beiden Perioden wurden jeweils mit dem Vorjahr verglichen. Angaben in Prozent beziehen sich auf die Fallzahl der Periode 2020 zu der jeweiligen Periode 2019.
Ergebnisse
Die Analyse bezieht sich auf 310 IQM-Kliniken mit 1 283 190 stationär aufgenommenen Patienten des Jahres bis zum 19. 4. 2020. Aus den unterschiedlichen Trägergruppen beteiligten sich folgenden Kliniken (in Klammern ist die Zahl der eingeschlossenen Patienten angegeben): 12 Universitätskliniken (158 282), 50 freigemeinnützige (165 458), 103 öffentlich-rechtliche (460 201) und 145 private (499 249). Neben den 12 Universitätskliniken, umfassten die Versorgungstufen 25 Fachkliniken (25 672), 238 Grund- und Regelversorger (797 840) und 35 Maximalversorger (301 396).
Im Untersuchungszeitraum wurden 16 614 Patienten mit COVID 19 behandelt, von denen bei 5 837 der Virusnachweis und bei 10 777 der klinische Verdacht auf COVID codiert war.
In der Zeit vor dem Lockdown war die Fallzahl im Jahr 2020 kaum verändert zum selben Zeitraum in 2019 (985 491 versus 990 153). In der Tabelle sind Fallzahlen und Verweildauer der Patienten für die Phase des Lockdown im Vergleich zum Vorjahr dargestellt, wobei aus dem IQM-Standardbericht eine Auswahl relevanter und repräsentativer GIQI-Indikatoren aufgelistet ist. In der Phase des Lockdown lagen die Krankenhausfälle in 2020 bei 57,3 % der Vorjahresperiode. Als Limitation wird darauf hingewiesen, dass es in wenigen Kliniken bei Versorgung vieler Patienten mit COVID 19 zum kurzfristigen Stopp anderer Aufnahmen kam.
Diskussion
Die vorliegende Routinedatenanalyse zeigt an einer großen, Träger- und Versorgungsstufenübergreifenden Zahl von Kliniken das Ausmaß der COVID-19-Pandemie.
Während der Lockdown-Phase kam es zu einer maßgeblichen Abnahme der Patientenzahl, die sich über alle Leistungsbereiche der Krankenhausversorgung erstreckte. Diese Beobachtung ist selbsterklärend für die elektiven Bereiche der Medizin, in denen entsprechende Regularien erlassen waren. Dass allerdings auch Notfallbehandlungen, etwa wegen Herzinfarkt oder Schlaganfall, ebenso wie zeitkritische Behandlungen im Bereich der Onkologie deutlich abnahmen, erschließt sich nicht von selbst. Auch in anderen Teilen der Welt wurde das Phänomen beschrieben und vermutet, dass viele Patienten aus Angst vor Infektion dem Gesundheitswesen auch im Notfall fernbleiben. Aus Kalifornien wurde berichtet, dass in dieser Zeit die außerklinischen Reanimationen deutlich zunahmen, weil Notfallpatienten zu spät die Rettungskette alarmieren (3). Es wäre auch möglich, dass wegen der Kontaktbeschränkungen die Inzidenz von Notfällen abnahm, da andere Infektionserkrankungen oder sonstige Trigger von Herz-, Kreislauf-, oder Lungenerkrankungen weniger häufig vorkamen. Auch könnte aufgrund geschlossener Praxen und Krankenhausbereiche nicht durchgeführte Diagnostik zu weniger Einweisungen auch bei dringlichen Indikationen geführt haben. Es wird eine Aufgabe der weiteren Versorgungsforschung sein, die genauen Gründe und Konsequenzen dieser Beobachtung für die Versorgungsqualität als Ganzes zu analysieren. Uns ist bewusst, dass die vorliegende Analyse von 310 Kliniken der IQM nicht die Versorgungssituation für ganz Deutschland repräsentieren kann, hierzu wäre die Analyse der Abrechnungsdaten von allen Krankenhäusern notwendig. Diese Kurzmitteilung zeigt aber, dass mittels Routinedaten eine verlässliche und zeitnahe Analyse des Leistungsgeschehens zur weiteren Steuerung der Pandemiemaßnahmen möglich ist.
Es fällt auf, dass bei nur 36 % der stationären COVID-Fälle die Codierung auf einem Virusnachweis beruhte. Auch wenn nachgewiesene COVID-19-Fälle mit Polymerasekettenreaktion-negativem Nasen-Rachen-Abstrich in bis zu 30 % beschrieben sind (4), liegt die Vermutung nahe, dass die COVID-Codierung noch nicht einheitlich gehandhabt wurde. Dieser Befund muss detailliert analysiert werden, bevor mit Routinedaten verlässliche COVID-19-Analysen erstellt werden können. Da eine solche Analyse den Rahmen der Kurzmitteilung sprengen würde, berichten wir hierüber gesondert.
Ralf Kuhlen, Daniel Schmithausen, Claudia Winklmair; Jens Schick, Peter Scriba für die Initiative Qualitätsmedizin (IQM)
IQM Wissenschaftlicher Beirat (Kuhlen, Schick, Scriba), Ralf.kuhlen@helios-health.com
3M Health Information Systems Deutschland (Schmithausen)
IQM Geschäftsstelle (Winklmair)
Interessenkonflikt
Jens Schick unterhält persönliche Beziehungen zu den SANA Kliniken AG.
Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 18. 5. 2020, revidierte Fassung angenommen: 15. 6. 2020
Zitierweise
Kuhlen R, Schmithausen D, Winklmair C, Schick J, Scriba P: The effects of the COVID-19 pandemic and lockdown on routine hospital care for other illnesses.
Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 488–9. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0489.
Dieser Beitrag erschien online am 2. 6. 2020 (online first) auf www.aerzteblatt.de.
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
1. | 3M Health Information Systems: German Inpatient Quality Indicators. G-IQI Version 5.2.2019. www.initiative-qualitaetsmedizin.de/fileadmin/user_upload/GIQI_V52_2019_190626.pdf (last accessed on 18 June 2020). |
2. | Mansky T, Nimptsch U. G-IQ Version 3.2: German Inpatient Quality Indicators (G-IQI) – Qualitätsmessung in der Initiative Qualitätsmedizin. In: Kuhlen R, Rink O, Zacher J (eds.): Jahrbuch Qualitätsmedizin 2010. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2010; 17–31. |
3. | Wong LE, Hawkins JE, Langness S, Murrell KL, Sammann A: Where are all the patients? Addressing COVID-19 fear to encourage sick patients to seek emergency care. NEJM Catal. 2020. May 14, 2020 DOI: 10.1056/CAT.20.019 CrossRef |
4. | Wang W, Xu Y, Gao R, et al. Detection of SARS-CoV-2 in different types of clinical specimens. JAMA. 2020; 323: 1843–4 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
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Böhringer, Daniel; Gruber, Markus; Reinhard, Thomas
Kuhlen, Ralf