SUPPLEMENT: Perspektiven der Neurologie
Forschung: Multiple Sklerose – Monozyten rücken in den Fokus


Bisherige Therapien der multiplen Sklerose (MS) haben sich auf die Funktion von T- und B-Lymphozyten konzentriert. Eine Arbeitsgruppe vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) berichtet nun, dass bestimmte Monozyten am Krankheitsverlauf wesentlich beteiligt sein könnten – und es daher womöglich effektiver ist, ihre Funktion therapeutisch zu beeinflussen.
Autoreaktive T- und B-Zellen, die aufgrund eines Fehlers die Myelinscheiden im ZNS als körperfremd erkennen, wandern in das Gehirn ein und initiieren die Erkrankung. Die jetzt untersuchten Monozyten zirkulieren im Blut, bevor sie ins Gewebe auswandern. Dort verwandeln sie sich in Makrophagen, die körperfremdes Gewebe – oder das, was sie wie bei der MS irrtümlich dafür halten – zerstören.
„In unserem Mausmodell der MS wollten wir die Zellen per Einzelzell-Sequenzierung genauer untersuchen und herausfinden, welche Monozyten bei MS im Gehirn vorhanden sind“, so Forschungsleiter Dr. Alexander Mildner. Gemeinsam mit einem israelischen Team vom Department of Immunology am Weizmann Institute of Science in Rehovot stießen sie auf 6 verschiedene Monozytensubtypen, von denen 4 bisher noch unbekannt gewesen waren.
Die Forscher injizierten den Mäusen Antikörper, die gegen ein spezifisches Oberflächenprotein der Monozyten gerichtet sind. Nur eine bestimmte Form der Monozyten, die Cxcl10+-Zellen, ging durch die Antikörperbehandlung zugrunde. Dieser Zelltyp unterscheidet sich laut den Forschern von den anderen Monozyten in 2 wesentlichen Punkten. Zum einen besitzen Cxcl10+-Zellen besonders viele Rezeptoren für einen von T-Zellen abgegebenen Signalstoff, der in Monozyten gewebeschädigende Eigenschaften hervorruft. Zum anderen produzieren diese Zellen Interleukin-1-Beta, das die Blut-Hirn-Schranke öffnet und somit den Zellübertritt ins Gehirn ermöglicht.
„Unsere Forschung legt nahe, dass T-Zellen als Krankheitsinitiatoren ins zentrale Nervensystem wandern, um dort Monozyten anzulocken, die für den primären Gewebeschaden verantwortlich sind“, so Mildners Überlegung. „Wenn das so wäre, würde es zur Behandlung der allermeisten Formen der MS ausreichen, künftig die Cxcl10+-Monozyten spezifisch auszuschalten, anstatt gegen die T- oder B-Zellen des Immunsystems vorzugehen“, folgert er. hil
Quelle: Giladi A, Wagner LK, Li H, et al.: Cxcl10+ monocytes define a pathogenic subset in the central nervous system during autoimmune neuroinflammation. Nat Immunol 2020; 21: 525–34.