MEDIZIN: Korrespondenz
Ambulantes Management von COVID-19 durch das Gesundheitsamt
The ambulatory management of COVID-19 via the German Department of Health
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Ein Großteil der Infektionen mit SARS-CoV-2 verläuft mit milden oder moderaten Symptomen, die keine stationäre Behandlung erforderlich machen (1). Die betroffenen Patienten werden in Deutschland durch niedergelassene Ärzte und die Gesundheitsämter ambulant versorgt, wobei der Umfang des personellen Aufwands bislang nicht bekannt ist. Wir berichten von der systematischen Überwachung von an COVID-19 erkrankten Patienten durch das Gesundheitsamt Mainz-Bingen. Ziel der Arbeit war es, den Anteil der ambulant zu versorgenden Patienten sowie den personellen Aufwand zur Fall- und Kontaktverfolgung zu ermitteln.
Methoden
Zwischen dem 2. 3. 2020 und 5. 4. 2020 wurden in der Stadt Mainz und dem Kreis Mainz-Bingen 507 Personen positiv auf SARS-CoV-2 getestet und dem Gesundheitsamt namentlich gemeldet. Die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes traten im Rahmen der Fallerfassung, der Kontakt- und der Fallverfolgung jeweils telefonisch mit den betroffenen Personen in Verbindung (Grafik). Es wurden alle vom Indexpatienten genannten Kontaktpersonen angerufen. Während der gesamten Zeit der häuslichen Quarantäne wurde mit allen positiv getesteten Patienten zunächst ein tägliches, bei unkompliziertem Verlauf ein zweitägliches Beratungsgespräch mit Ärzten des Gesundheitsamtes geführt. Bei schwerem Krankheitsverlauf wurde eine stationäre Einweisung veranlasst. Alle Informationen wurden in einer fortlaufenden Exceltabelle gesammelt. Hospitalisierungen wurden bis zum 12. 4. 2020 registriert. An drei Werktagen wurde die Arbeitszeit aller 38 Mitarbeiter des Gesundheitsamtes erfasst. Bei 131 Indexpatienten konnte die Anzahl der Kontaktpersonen nachträglich ermittelt werden. Die Daten zu Soziodemografie und Hospitalisierungen wurden mit Microsoft Excel für Mac ausgewertet (Version 16.16.11). Mit IBM SPSS Statistics (Version 25) wurde ein t-Test für unabhängige Stichproben mit den Variablen Hospitalisierung und Alter durchgeführt. Das relative Risiko wurde anhand der Variablen Hospitalisierung und Geschlecht bestimmt.
Ergebnisse
Es wurden 507 Fälle von COVID-19 in die Analyse eingeschlossen (51,9 % weiblich; medianes Alter 46 Jahre, Interquartilsabstand [IQR]: 30–58, Range [R]: 1–97). Bei 450 Patienten (88,8 %) war eine vollständig ambulante Versorgung möglich. Die stationär behandelten Patienten (n = 57) waren im Median 69 Jahre alt (IQR: 56–81, R: 24–96), 62,5 % waren männlich. Die Gruppe der hospitalisierten Patienten war signifikant älter als die der nichthospitalisierten Patienten (mittlere Differenz 24,5 Jahre, 95-%-Konfidenzintervall [KI]: [19,7; 29,2]; p < 0,001), zudem wurden Männer häufiger stationär behandelt (relatives Risiko 1,9; 95-%-KI: [1,1; 3,1]; p = 0,017). Die mediane Zeit zwischen dem Symptombeginn und der Krankenhauseinweisung lag bei 5,5 Tagen (IQR: 1–9). Während des Beobachtungszeitraums (Median 17 Tage, IQR: 11–23) verstarben 1,4 % der Patienten (n = 7; medianes Alter 81 Jahre, R: 66–91). Die Erstsymptomatik konnte bei 480 Personen dokumentiert werden. Sie umfasste
- Husten (48,5 %)
- Fieber (38,1 %)
- Halsschmerzen (21,5 %)
- Geruchs-/Geschmacksstörungen (21,5 %) und
- Kopfschmerzen (20,8 %).
Ein asymptomatischer Verlauf wurde bei 51 Patienten (10,6 %) berichtet. Das Erfassen neuer Fälle und das Ermitteln ihrer engen Kontakte nahmen durchschnittlich 47,6 ± 6,6 Minuten in Anspruch. Der Zeitaufwand der Kontaktverfolgung betrug 20,2 ± 4,7 Minuten pro Kontaktperson. Im Median mussten hierbei sieben Personen (IQR: 3–10, R: 1–68) kontaktiert werden. Für die Fallverfolgung war ein täglicher Arbeitsaufwand von 6,2 ± 1,2 Minuten pro aktivem Indexfall erforderlich.
Diskussion
Ziel dieser Studie war es, den Anteil von ambulant zu behandelnden Patienten sowie den Personalbedarf des Gesundheitsamtes während des Ausbruchs mit dem Virus SARS-CoV-2 zu ermitteln. Der Beobachtungszeitraum deckt den bisherigen Gipfel an Neuerkrankungen in der Region ab. Hierbei reichte für die meisten Patienten eine ambulante Versorgung aus, die durch die vorhandenen Personalressourcen des Gesundheitsamtes Mainz-Bingen umsetzbar war.
Der hohe Anteil an ambulant behandelbaren Verläufen wurde dadurch begünstigt, dass unsere Kohorte mit einem medianen Alter von 46 Jahren im Vergleich zur Gesamtheit aller Fälle in Deutschland (50 Jahre) etwas jünger war (2). Ein höheres Alter und das männliche Geschlecht konnten auch in anderen Untersuchungen als Risikofaktoren für einen schweren Verlauf identifiziert werden (1). Da eine verzögerte Krankenhauseinweisung bei COVID-19 mit einer ungünstigen Prognose assoziiert ist (3), sollte hier die Behandlungsstratifizierung besonders engmaschig und sorgsam erfolgen.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Anzahl der zu ermittelnden Kontaktpersonen den Arbeitsaufwand für das Gesundheitsamt erheblich beeinflusst. Ein Beschluss der Bundesregierung enthält die Empfehlung, dass pro 20 000 Einwohner ein Kontaktnachverfolgungsteam aus fünf Personen etabliert werden soll (4). Die Ergebnisse unserer Studie können dazu beitragen, die Personalplanung für die Gesundheitsämter dynamisch zu gestalten. Hierbei könnte der kurzfristige Personalbedarf unter Berücksichtigung der lokalen Ausbruchsaktivität und der geltenden Hygienerichtlinien kalkuliert werden.
Limitierend ist anzumerken, dass unsere Daten zum Arbeitsaufwand stichprobenhaft erhoben wurden und die Zeiten aufgrund personeller oder infrastruktureller Aspekte in anderen Gesundheitsämtern abweichen können.
Bei begrenzten Personalressourcen ist es wichtig, die digitale Infrastruktur zu optimieren. So bietet die App-basierte Kommunikation eine zeiteffektive Alternative zum Telefonat für Patienten mit mildem Krankheitsverlauf sowie für Sammelerfassungen in Altenheimen. Diese Vorgehensweise wird im Gesundheitsamt Mainz-Bingen seit dem 20. 4. 2020 erprobt. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist wesentlich daran beteiligt, die Pandemie einzudämmen, und muss auch bei einem Wiederanstieg der Erkrankungsfälle handlungsfähig sein.
Benjamin Christopher Schmidt, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, 1. Medizinische Klinik und Poliklinik, ben.schmidt@uke.de
Visvakanth Sivanathan, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 1. Medizinische Klinik und Poliklinik
Stefan Schmiedel, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, 1. Medizinische Klinik und Poliklinik
Wolfgang Kohnen, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Abteilung für Hygiene und Infektionsprävention
Dietmar Hoffmann, Gesundheitsamt der Kreisverwaltung Mainz-Bingen
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 29. 4. 2020, revidierte Fassung angenommen: 16. 6. 2020
Zitierweise
Schmidt BC, Sivanathan V, Schmiedel S, Kohnen W, Hoffmann D: The ambulatory management of COVID-19 via the German Department of Health. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 507–8.
DOI: 10.3238/arztebl.2020.0507
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
auf www.aerzteblatt.de
1. | Wu Z, McGoogan JM: Characteristics of and important lessons from the coronavirus disease 2019 (COVID-19) outbreak in China: summary of a report of 72 314 cases from the Chinese Center for Disease Control and Prevention. JAMA 2020; 323: 1239–42 CrossRef MEDLINE |
2. | Robert Koch-Institut: SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19). www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText2 (last accessed on 13 April 2020). |
3. | Liang WH, Guan WJ, Li CC, et al.: Clinical characteristics and outcomes of hospitalised patients with COVID-19 treated in Hubei (epicenter) and outside Hubei (non-epicenter): a nationwide analysis of China. Eur Respir J 2020; 55: 2000562 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
4. | Die Bundesregierung: Telefonschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 15. April 2020, Vereinbarung 3. www.bundesregierung.de/breg-de/suche/bund-laender-beschluss-1744224 (last accessed on 29 April 2020). |
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Journal of Medical Internet Research, 202110.2196/27348