ArchivDeutsches Ärzteblatt PP7/2020Gruppenpsychotherapie: Bereicherung der Einzelarbeit

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Gruppenpsychotherapie: Bereicherung der Einzelarbeit

Bühring, Petra

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Gruppenbehandlungen werden in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung selten angeboten, trotz hoher Wirksamkeit und Effizienz. Bei einem Symposium befassten sich Experten mit den Gründen hierfür und stellten die Vorteile dieses Settings heraus.

Das soziale Setting der Gruppe ist für einige psychische Störungen dem Einzelsetting überlegen. Foto: RFBSIP/stock.adobe.com
Das soziale Setting der Gruppe ist für einige psychische Störungen dem Einzelsetting überlegen. Foto: RFBSIP/stock.adobe.com

Obwohl die Gruppenpsychotherapie für viele Patienten Vorteile bietet und ihre Wirkung wissenschaftlich belegt ist, wird sie zwar im stationären Bereich häufig eingesetzt, im ambulanten Bereich jedoch eher selten. Das will die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) ändern, indem sie dieses therapeutische Setting in den Mittelpunkt ihrer aufgrund der Coronakrise diesmal virtuell durchgeführten Jahrestagung gesetzt hat. „Gruppentherapie ist vielfältig und hat einen hohen Evidenzgrad bei Angsterkrankungen, depressiven Störungen, Bulimie, Schizophrenie, somatoformen Störungen und Persönlichkeitsstörungen. Die Gruppe dient dem Patienten als Spiegel, was in der Einzeltherapie nur schwer zu erlangen ist“, sagte Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der DPtV.

Einen Einblick in Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie (GP) gab Martin Pröstler, Gruppenanalytiker und psychodynamisch arbeitender Gruppenpsychotherapeut. „Ich möchte den Kollegen Mut machen, den Schritt in die Gruppenbehandlung zu wagen. Sie bereichert die Einzelarbeit, und lebenslanges Lernen ist garantiert“, sagte er. Für einige Störungsbilder sei die Psychotherapie im sozialen Kontext der Gruppe dem Einzelsetting überlegen. Trotz der Vorteile bieten nach Pröstlers Angaben nur 300 Psychotherapeuten aktuell GP an, obwohl 8 500 Psychotherapeuten über die Berechtigung zur Ausübung innerhalb der kassenärztlichen Versorgung verfügten. Entsprechend würden nur ein bis drei Prozent aller Psychotherapien als Gruppenbehandlung abgerechnet. In vielen Landkreisen werde überhaupt keine GP angeboten. Besonders gering sei das Angebot für Kinder und Jugendliche. „Dabei hat der Gesetzgeber bereits eine Reihe von Erleichterungen für die Erbringung der GP in Kraft gesetzt“, betonte Pröstler (Kasten). Die Ursachen für das geringe Angebot untersucht gerade die BARGRU-Studie (Barrieren bei Gruppenpsychotherapeuten gegenüber der ambulanten Gruppentherapie für die GKV), ein Innovationsfondsprojekt, das an der Sektion für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster durchgeführt wird. Erste Ergebnisse werden laut Pröstler Ende des Jahres erwartet.

Der Gruppenpsychotherapeut gab eine Reihe von Empfehlungen zur Zusammensetzung von Gruppen mit Erwachsenen. So sollten alle Teilnehmer die Fähigkeit besitzen, Angst zu tolerieren, Feedback zu geben und auch zu akzeptieren. Heterogenität bezüglich der Lebenserfahrung und der Persönlichkeitseigenschaften der Teilnehmer hält Pröstler für wünschenswert. Auch eine „heterogene Balance bezüglich verbaler Aktivität und Passivität ist vorteilhaft“. Nach dem „Arche-
Noah-Prinzip“ sollte man immer mindestens zwei Patienten einladen, die eine Ähnlichkeit miteinander erkennen könnten.

In Bezug auf die Frage aus dem virtuell zugeschalteten Publikum, ob offene oder geschlossene Gruppen besser seien, antwortete der Psychoanalytiker, dass er gute Erfahrungen mit halboffenen Gruppen beziehungsweise „Slow-open-Gruppen“ gemacht habe: „Wenn ein Teilnehmer geht, darf ein neuer kommen.“ So habe jeder Patient die Möglichkeit, Anfang und Ende einer Gruppenbehandlung zu erleben. Auf die Frage, wie man Patienten überzeugt, an einer GP teilzunehmen, hatte Pröstler eine klare Antwort: „Indem man selbst überzeugt ist, dass Gruppentherapie hilfreich ist.“ Einzige Kontraindikationen seien akute psychotische Störungen, hirnorganische Störungen sowie paranoide, schizoide und dissoziale Persönlichkeitsstörungen.

Vorteile für Heranwachsende

Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (KJP) Sabine Maur stellte die Vorteile der Gruppentherapie für psychisch kranke Heranwachsende heraus. „In der Gruppe werden soziale, emotionale und kognitive Anforderungen an die Kinder gestellt – das schafft für uns einen Transfer in ihr Lebensumfeld Schule, der in der Einzeltherapie schwieriger zu erlangen ist“, erklärte Maur, die auch Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz ist. Kinder und Jugendliche unterstützten sich in der Gruppe gegenseitig, verarbeiteten belastende soziale und emotionale Erlebnisse und könnten soziale Ängste und aggressives Verhalten besser abbauen lernen. „Selbstwert und Selbstwirksamkeit werden positiv beeinflusst“, erklärte Maur. Sie warb für die störungsübergreifende GP bei externalisierenden und internalisierenden Problemen. Diese zeichneten sich durch hohe Anwendbarkeit und Flexibilität aus. Gruppenregeln erarbeitet die KJP grundsätzlich mit den Kindern zusammen. Sinnvoll sei es, vor Beginn einer neuen Gruppe einen Elternabend zu veranstalten, um das Gruppenkonzept vorzustellen und zur Psychoedukation.

Hilfreich und wirksam sind nach Maurs Erfahrungen auch Gruppentherapien mit den Eltern der psychisch kranken Kinder. In psychoedukativen Gruppen etwa lernten Eltern gemeinsam die Erkrankung ihres Kindes kennen und wie sie damit in Familienalltag und Schule umgehen sollten. „Die psychotherapeutische Unterstützung und den Austausch in der Gruppe mit anderen Betroffenen schätzen Eltern sehr“, sagte die KJP.

Warum so wenige Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten Gruppentherapien anbieten, begründet Maur, die selbst in einer Gemeinschaftspraxis arbeitet, so: In Einzelpraxen sei es schwierig, genügend Teilnehmer für passende Gruppen zu finden, ebenso fehlten ausreichend große Räume. Ganztagsschulen und Hobbys der Kinder am Nachmittag erschwerten es zudem, Termine für regelmäßige Gruppen zu finden. In der Gruppe gebe es zudem mehr Ausfälle als in der Einzeltherapie. Der Aufwand sei viel größer, weil dieses Setting einer intensiven Vor- und Nachbereitung bedürfe. Doch grundsätzlich ist die KJP überzeugt: „Gruppen mit Kindern und Jugendlichen machen Spaß.“

Pädagogisch sinnvoll ist nach Maurs Erfahrungen darüber hinaus die Leitung einer Gruppe durch zwei Psychotherapeuten, beispielsweise wenn Kinder oder Jugendliche darunter seien, die die Gruppe sprengen. „Das ist aber in der Richtlinien-Psychotherapie nicht realisierbar beziehungsweise wird nicht vergütet“, bedauert Maur. Auch intensive Blocktherapien an mehreren Tagen hintereinander, zum Beispiel in den Ferien, seien im ambulanten Bereich nicht vorgesehen. „Hier gibt es noch Verbesserungspotenzial, um die Gruppenpsychotherapie zu fördern“, betonte die Landeskammerpräsidentin.

Probatorik im Gruppensetting

Verbesserungspotenzial sieht auch der DPtV-Bundesvorsitzende Hentschel im Hinblick auf die Durchführung der Gruppentherapie bei Erwachsenen. „Fachlich nicht nachvollziehbar ist die Vorgabe der Psychotherapie-Richtlinie, dass die probatorischen Sitzungen zu Beginn einer neuen Behandlung ausschließlich im Einzelkontakt stattfinden müssen“, kritisierte Hentschel. Patienten sollten die Probatorik direkt im Setting der Gruppentherapie erfahren können. Im laufenden Praxisbetrieb sei es darüber hinaus schwierig, nachträglich eine Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung für die Erbringung der Gruppentherapie zu erhalten, die an nachgewiesene Kenntnisse gebunden ist. „Die KVen sollten solche Nachqualifizierungen fördern und entsprechende Finanzmittel bereitstellen“, forderte Hentschel.

Gute Erfahrungen werden nach Angaben des Berufsverbands außerdem mit supportiven Gruppen gemacht, zum Beispiel mit Psychoedukationsgruppen, Skills-Gruppen und Angehörigengruppen. Im Rahmen von einzelnen Projekten, wie beispielsweise dem NPPV-(Neurologisch-Psychiatrisch-Psychotherapeutischen Versorgungs-)Projekt in Nordrhein würden diese Gruppen stark nachgefragt. „Es sollte überlegt werden, solche Angebote in der Regelversorgung zur Verfügung zu stellen, mindestens aber für die neue Richtlinie nach § 92 Abs. 6 b SGB V, die insbesondere für schwer psychisch kranke Menschen eine bessere Versorgung ermöglichen soll“, forderte der DPtV-Vorsitzende. Petra Bühring

Gruppen in Coronazeiten

Aufgrund der Coronapandemie ergeben sich für Psychotherapeuten große Herausforderungen, Gruppenpsychotherapie anzubieten. „Es fehlen zurzeit sichere Peer-to-Peer-Verschlüsselungen für Videobehandlungen zwischen allen Gruppenteilnehmern“, erläuterte der DPtV-Bundesvorsitzende Hentschel. Aufgrund des fehlenden Datenschutzes haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband darauf verständigt, die Gruppenpsychotherapie nicht als Videobehandlung zuzulassen. „Damit sind wir konform“, so Hentschel.

Während der Coronapandemie wurden Gruppentherapien zum größten Teil als Einzeltherapie oder in geteilten Gruppen angeboten. Um ein Quartal, also bis Ende September, verlängert wurde die Sonderregelung, nach der genehmigte Leistungen einer Gruppenpsychotherapie ohne gesonderten Antrag in eine Einzeltherapie umgewandelt werden können.

Erleichterungen für die Gruppentherapie

Mit der Reform der Psychotherapie-Richtlinie zum 1. April 2017 wurden Gruppengrößen von drei bis neun Teilnehmern ermöglicht; ebenso die Kombination von Einzel- und Gruppenpsychotherapie. Etabliert wurde eine transparente und lukrativere Vergütungsstruktur.

Mit dem Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz vom 23. November 2019 wurde das Gutachterverfahren in der ambulanten Gruppenpsychotherapie abgeschafft und der bürokratische Aufwand des Antragsverfahrens reduziert. Seitdem reicht ein formalisierter Antrag der Psychotherapeuten an die Krankenkasse.

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