BRIEFE
Digitalisierung: Potemkinsche Dörfer


Von den potemkinschen Dörfern, die jetzt wohl auch entlang der Datenautobahn errichtet werden sollen, möchte ich mich hier nur mit dem elektronischen Medikationsplan befassen. Der Medikationsplan scheitert jetzt schon an mindestens vier Gegebenheiten:
1. Viele Ärzte können nicht ausreichend geschickt mit ihrer Software umgehen. Wenn man nachfragt, handelt es sich dabei nicht nur um halbtags angestellte Ärztinnen und Ärzte, sondern auch um selbstständig niedergelassene Kollegen. Viele Softwarehäuser, wenn Sie einmal den Vertrag an Land gezogen haben, sind nicht in der Lage oder willens, effektive Schulungen oder sonstige ausreichende Hilfestellungen anzubieten.
2. Selbst wenn eine Software ein durchgängiges Konzept für den elektronischen Medikationsplan aufweist, wird es durch die beim einzelnen Patienten ständig wechselnden Artikelbezeichnungen bei eigentlich hinsichtlich der Zusammensetzung identischem Produkt konsequent ausgehebelt. Dies sogar noch vorsätzlich durch die Rabattverträge. Eine Rückkopplung zwischen Arzt und Apotheke bei beinahe durchgängig stattfindendem Austausch des auf dem Rezept vorgesehenen Produkts durch ein gleichartiges ist im Alltag weder machbar noch vorgesehen.
3. Ebenso wenig findet eine ausreichende Kommunikation hinsichtlich der Medikationsabstimmung statt zwischen Facharzt und Hausarzt und zwischen a) Klinik und b) Bereitschaftsdienstzentralen und c) Niedergelassenen.
4. Den Patienten einzubeziehen, ist äußerst schwierig! Er (und damit sein Passwort bzw. sonstiger Code) ist oft selbst nicht vor Ort, gerade dann nicht, wenn er am dringendsten auf die Ausfertigung von Formularen angewiesen ist und es darum geht, schnell (typischerweise kurz vor Feierabend) etwas zu seinen Gunsten zu organisieren. Oft erkennt er im Alltag auch nicht, wie wichtig es ist, seine Begleit- oder Selbstmedikation (z. B. das ASS, Johanniskraut) mitzuteilen. Manchmal erfährt man erst nach mehrmaligem Nachfragen bei neuen Patienten, dass eine weitere bedenkenswerte Erkrankung (MS, Glaukom, Diabetes ...) mit vielleicht kritischer Co-Medikation besteht. Schlicht und einfach greift der Patient oft gar nicht auf einen aktuellen Einnahmeplan zu, sondern verharrt auf gewohnten Abläufen. Wie kann man da elektronisch weiterhelfen?
Ich bin jetzt noch gar nicht auf die eigentlichen datentechnischen Raffinessen eingegangen. Diese stellen eine enorme Herausforderung für die Praxisorganisation dar. ...
Dr. med. Hans Eichinger, 64584 Biebesheim