THEMEN DER ZEIT
Universelles Aufnahmescreening: Eintragungsrisiko beurteilen
; ; ; ; ; ;


Das Robert Koch-Institut empfiehlt Krankenhäusern, ein universelles Aufnahmescreening auf SARS-CoV-2 in Betracht zu ziehen – unter Berücksichtigung der epidemiologischen Situation. Entscheidungshilfe verspricht eine am Universitätsklinikum Freiburg entwickelte Risikoskala.
Patienten, die bei einer stationären Aufnahme in Krankenhäuser unerkannt mit SARS-CoV-2 infiziert sind, stellen eine besondere Herausforderung im Behandlungskontext dar. Bei einer gemeinsamen Versorgung mit anderen Patienten und bei zufälligen ungeschützten Kontakten besteht ein Infektionsrisiko für Mitpatienten und Mitarbeiter (1, 2). Ferner ist für unerkannt SARS-CoV-2-positive Patienten bei chirurgischen Interventionen eine höhere Rate an perioperativen Komplikationen und Mortalität in Abhängigkeit von der Invasivität des Eingriffs beschrieben worden (3).
Daher gibt das Robert Koch-Institut (RKI) (Stand: 11. August 2020) folgenden Hinweis: „Weiterhin kann es im stationären Bereich sinnvoll sein, Patienten vor/bei Aufnahme … ohne erkennbare Beschwerden nach einem bestimmten Schema hinsichtlich einer SARS-CoV-2 Infektion zu untersuchen, um nosokomiale Übertragungen zu minimieren. Bei der Entscheidung zu einem solchen Vorgehen sollte die jeweils aktuelle epidemiologische Situation berücksichtigt werden“ (4).
Vor diesem Hintergrund wurde am Universitätsklinikum Freiburg eine Entscheidungshilfe für die gefährdungsadjustierte Einführung eines RT-PCR basierten universellen Aufnahmescreenings in Form einer Risikoskala für Krankenhäuser mit unterschiedlichen Aufnahmekapazitäten entwickelt. Dabei wird einer dynamischen epidemiologischen Entwicklung in der regionalen Bevölkerung Rechnung getragen (5).
Ermittlung der Effektivität
Als Grundlage dienen Berechnungen auf Basis des inkrementellen Kosten-Effektivitäts-Verhältnisses (engl. incremental cost-effectiveness ratio, ICER). Damit lässt sich die Zunahme an Wirksamkeit eines universellen Aufnahmescreenings (jeder Patient wird getestet, unabhängig von Anamnese/Risikofaktoren und Symptomen) mit einem durch Symptom- und Risikoabfrage gestützten Testalgorithmus (nur algorithmuspositive Patienten werden bei stationärer Aufnahme getestet – anlassbezogenes Testen) vergleichen. ICER ermittelt die Anzahl zusätzlicher Tests, die anfallen, um den ersten zusätzlichen SARS-CoV-2 positiven Patienten zu erkennen, der einer algorithmusbasierten Testung entgangen wäre (zur Sensitivität und Spezifität der verschiedenen Testoptionen siehe [5]).
Diese Zahl ist abhängig von der Prävalenz infektionsfähiger Menschen in der Bevölkerung, sprich der erwarteten Aufnahmeprävalenz. Die Abhängigkeit ist reziprok – bei niedriger Prävalenz ist die Anzahl an zusätzlichen Test und damit auch der Verbrauch an Testressourcen erheblich, während bei zunehmender Prävalenz das Risiko eines unerkannten Eintrags bei algorithmusbasierter Testung steigt und das Kosten-Effektivitäts-Verhältnis für ein universelles Screening sehr viel günstiger wird.
Da bei einem universellen Screening die Anzahl der täglichen Tests den Patientenaufnahmen entspricht, kann die Wirkungszunahme des universellen Screenings gegenüber der algorithmusbasierten Testung mit der verkürzten Zeitdauer bis zum ersten Eintrag eines ansonsten unerkannt SARS-CoV-2-positiven Patienten erfasst werden. Diese Zeit gilt es in Abhängigkeit von der wöchentlichen Bevölkerungsinzidenz pro 100 000 im Einzugsbereich abzubilden. Für Krankenhäuser mit unterschiedlichen Aufnahmekapazitäten ergeben sich dann bei einer Zunahme von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung verschiedene Wirksamkeitskurven in einem Nomogramm (Grafik). Dabei lässt sich erkennen, dass ein Krankenhaus von der Größe des Universitätsklinikums Freiburg (UKF) mit durchschnittlich 200 Aufnahmen pro Tag bei einer wöchentlichen Inzidenz von 10 gemeldeten Fällen pro 100 000 nach einer Umstellung von algorithmusbasierter Testung auf universelles Screening den ersten zusätzlichen Fall nach 15 Tagen nachweisen würde. Bei der Inzidenz der gemeldeten Fälle für Juni 2020 (1/100 000) im Einzugsbereich des UKF ergibt sich ein Zeitraum bis zum ersten zusätzlich entdeckten Eintrag von 149 Tagen (4,9 Monate). Bei den höheren Inzidenzzahlen im Juli 2020 in der Region Freiburg (2,8/100 000) sinkt die Zeitspanne auf acht Wochen (56 Tage).
Auch lässt sich erkennen, dass bei einer wöchentlichen Meldeinzidenz von 10/100 000 nur große Krankenhäuser mit mindestens 80 täglichen Aufnahmen profitieren würden. Kleine Einrichtungen mit weniger als zehn Aufnahmen pro Tag müssten theoretisch Jahre warten, bis sich ein universelles Screening von Patienten mit negativer Anamnese risikominimierend auswirken würde.
Konservative Einschätzung
Die hier dargestellten Grenzwerte gehen von verschiedenen Annahmen aus (5). So werden für die Erfassung laborbestätigter und durch die Landkreise gemeldeter inzidenter Fälle eine zehnfache Dunkelziffer sowie eine durchschnittliche Übertragungsfähigkeit von acht Tagen für SARS-CoV-2-positive Patienten angenommen. Seroprävalenzuntersuchungen des RKI lassen allerdings vermuten, dass die Zahlen der antikörperpositiven Bewohner in untersuchten Gemeinden die von den Gesundheitsämtern gemeldeten Fälle nur um das Vier- bis Sechsfache übersteigen (6, 7). In Abwesenheit belastbarer empirischer Daten geht die Berechnung von einer durchschnittlichen Dauer der Ansteckungsfähigkeit bei prä- und asymptomatischen Menschen von acht Tagen aus.
Daher sind die zugrunde liegenden Parameter eher konservativ und die in der Grafik dargestellten Werte könnten die tatsächlichen Risiken überschätzen. Auch geht der hier vorgestellte Diskurs nicht auf die Spezifität der PCR-Testverfahren ein. Zweifellos haben RT-PCR-Methoden, die zwei unterschiedliche Zielsequenzen des SARS-CoV-2-Genoms detektieren, eine außergewöhnlich hohe Testspezifität (99,9– 99,99 %). Dennoch ist ein solcher RNA-Nachweis nicht gleichbedeutend mit der Infektionsfähigkeit von Patienten. Auch nach Ende der Virusausscheidung können Tests noch über Tage und Wochen positiv ausfallen. Deshalb ist in der Folge von Infektionswellen oder im Verlauf von hyperendemischen Situationen mit einer nicht unbeträchtlichen Zahl positiver Resultate zu rechnen. Diese gehen jedoch nicht mit einem Infektionsrisiko für Personal und Mitpatienten einher und dürften auch keine Bedeutung für vermehrte postoperative Komplikationen haben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Risiko von Eintragungen von Patienten mit unerkanntem SARS-CoV-2-Übertragungspotenzial für Krankenhäuser mit der Zunahme an Infektionen in der Bevölkerung steigt. Ein universelles Screening bei der stationären Aufnahme von Patienten ist daher eine Abwägung zwischen Risikominimierung und Material-, Personal- und Zeitaufwand und erscheint erst beim Überschreiten definierter Risikoschwellen gerechtfertigt.
Für das Universitätsklinikum Freiburg lässt sich aus diesen Erkenntnissen ableiten, dass in Abwesenheit von besonderen lokalen epidemischen Situationen beziehungsweise Ausbrüchen ein universelles Testen unterhalb einer Meldeinzidenz von 10/100 000 wenig kosteneffektiv und sinnvoll wäre.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Hajo Grundmann
Universitätsklinikum Freiburg, Institut für Infektionsprävention und Krankenhaushygiene
Breisacher Str. 115 B
79106 Freiburg
Interessenkonflikt: Prof. Bürkle, Prof. Grundmann, PD Dr. Hammer, Prof. Hengel und Prof. Wenz erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen. Prof. Kern erklärt, Drittmittel von BMBF, Gilead und Sanofi erhalten zu haben. Von Dr. Donker liegen keine Angaben vor.
Dieser Artikel unterliegt nicht dem Peer-Review-Verfahren.
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit3520
oder über QR-Code.
Universitätsklinikum Freiburg, Institut für Virologie: Prof. Dr. med. Hengel
Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin: Prof. Dr. med. Bürkle
Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie: PD Dr. Hammer
Universitätsklinikum Freiburg: Prof. Dr. med. Wenz, Leitender Ärztlicher Direktor, Vorstandsvorsitzender
Universitätsklinikum Freiburg, Abteilung Infektiologie, Klinik für Innere Medizin II: Prof. Dr. med. Kern
1. | Rickman HM, Rampling T, Shaw K, et al.: Nosocomial transmission of COVID-19: a retrospective study of 66 hospital-acquired cases in a London teaching hospital. Clinical Infectious Diseases 2020 Jun 20; doi: 10.1093/cid/ciaa816 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
2. | Wu ZY, McGoogan JM.: Characteristics of and Important Lessons From the Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) Outbreak in China Summary of a Report of 72 314 Cases From the Chinese Center for Disease Control and Prevention. JAMA 2020; 323 (13): 1239–42 CrossRef MEDLINE |
3. | COVIDSurg Collaborative.: Mortality and pulmonary complications in patients undergoing surgery with perioperative SARS-CoV-2 infection: an international cohort study. Lancet 2020; 396 (10243): 27–38 CrossRef |
4. | Robert Koch-Institut: Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html (last accessed 2020 Aug 19). |
5. | Donker T, Grundmann H, Bürkin F, et al.: Switching from algorithm-based to universal admission screening for COVID-19 in hospital settings. Veröffentlichung auf dem Preprint-Server medRxiv am 11. August 2020; doi: 10.1101/2020.08.07.20170001 CrossRef |
6. | Robert Koch-Institut: Corona-Monitoring lokal: Erste Eckdaten für Kupferzell; https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/cml-studie/Factsheet_Kupferzell.html (last accessed 2020 Aug 19). |
7. | Robert Koch-Institut: Serologische Untersuchungen von Blutspenden auf Antikörper gegen SARS-CoV-2 (SeBluCo-Studie) Zwischenauswertung Datenstand 30.06.2020; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Projekte_RKI/SeBluCo_Zwischenbericht.html (last accessed 2020 Aug 19). |
Jaumann, Michael P.; Lenders, Heinrich