ArchivDÄ-TitelSupplement: PerspektivenSUPPLEMENT: Infektiologie 1/2020Lars Schaade: „Gesamtgellschaft an der Pandemieplanung beteiligen“

SUPPLEMENT: Perspektiven der Infektiologie

Lars Schaade: „Gesamtgellschaft an der Pandemieplanung beteiligen“

Dtsch Arztebl 2020; 117(37): [6]; DOI: 10.3238/PersInfek.2020.09.11.02

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Prof. Dr. med. Lars Schaade, Vizepräsident des Robert Koch-Instituts (RKI)

Was können wir von früheren Pandemien des 21. Jahrhunderts zum Umgang mit SARS-CoV-2 lernen?

Prof. Dr. med. Lars Schaade, Foto: RKI
Prof. Dr. med. Lars Schaade, Foto: RKI

Schaade: Ganz unterschiedliche Infektionserreger können Pandemien auslösen, zum Beispiel SARS-CoV-1 2003, Influenza A H1N1 2009 oder eben derzeit SARS-CoV-2. Dabei unterscheiden sie sich erheblich in ihren Eigenschaften und Auswirkungen – selbst dann, wenn es sich um virale Auslöser von Atemwegserkrankungen handelt, wie bei den genannten Beispielen. Dennoch kann man bei jeder Pandemie etwas Allgemeingültiges dazulernen; so hat man zum Beispiel internationale und nationale Meldewege und Strukturen verbessert, Forschungsprojekte angestoßen und versucht, geeignete Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln beziehungsweise Entwicklungszeiten für künftige neue Erreger zu verkürzen.

Welche Maßnahmen haben sich bewährt?

Schaade: Der Informationsfluss von der lokalen über die nationale bis hin zur internationalen Ebene hat sich enorm verbessert. Allerdings kann er aber nur so transparent sein, wie die einzelnen Nationalstaaten es zulassen. Die Abstimmung von Gegenmaßnahmen bleibt dahinter leider noch zurück.

Es gibt inzwischen nationale und internationale Initiativen, die die Vorbereitungen, wie man im Notfall möglichst zügig an wirksame Medikamente und Impfstoffe gelangt, deutlich beschleunigen. Auch die Überlegungen in den Pandemieplänen zur Vorbereitung von Behandlungskapazitäten auf Intensivstationen waren sehr wichtig und haben sich bewährt.

In der SARS-CoV-2-Pandemie stehen dennoch zunächst die nichtpharmakologischen Interventionen aus den Pandemieplänen, wie Quarantäne, Kontaktbeschränkungen und so weiter, im Mittelpunkt.

Was ist eher zu vernachlässigen?

Schaade: Bei der SARS-CoV-2-Pandemie kommt dem anhaltenden Containment, also der Eingrenzung der Infektionen durch Isolierung, Quarantäne, Kontaktpersonen- und Herdsuche, eine weitaus größere Bedeutung zu, als es bei der Influenza der Fall gewesen wäre. Zum einen lässt es die Dauer des seriellen Intervalls von etwa 4 Tagen zu, dass eine Kontaktpersonensuche gerade noch möglich ist, zum anderen ist der Anteil schwerer Verläufe höher. Es gab daher keinen Übergang von der Eindämmung (Containment) zum Schutz von Risikogruppen und zur Folgenmilderung (Mitigation), sondern eine Gleichzeitigkeit. Ich glaube, dass Deutschland die Notwendigkeit des Umsteuerns früh erkannt und gut umgesetzt hat.

Haben sich die Notfallpandemiepläne bewährt? Gibt es Lücken?

Schaade: Es ist wichtig, dass es nicht nur einen Nationalen Pandemieplan gibt, der sich in erster Linie auf den Gesundheitssektor bezieht. Es sollten sich alle Geschäftsbereiche der Regierungen und die ganze Gesellschaft an der Pandemieplanung beteiligen – bis auf die lokale Ebene, auf der ja am Ende alles umgesetzt werden muss. Diese Notwendigkeit wird im Vorfeld häufig nicht gesehen, andere Dinge scheinen wichtiger. In der aktuellen Situation ist die Bedeutung der Pandemieplanung nun allen deutlich geworden – und ich hoffe, dass diese Erfahrung nicht zu schnell vergessen wird.

Es wäre auch gut, wenn Bund und Länder die Bevorratung von Materialien, Medikamenten und Impfstoffen grundlegender angehen würden.

Kann eine Pandemie zum medizinischen Fortschritt beitragen?

Schaade: Auf jeden Fall! Es hat innerhalb einiger Monate einen riesigen Wissenszuwachs gegeben, auf vielen Gebieten: Virologie, Epidemiologie, Therapie, Prophylaxe et cetera. Sehr viele Arbeitsgruppen aus verschiedenen Bereichen arbeiten an SARS-CoV-2 beziehungsweise COVID-19. Forschungsgelder wurden bereitgestellt. Wichtige Erkenntnisse wurden dadurch bereits gewonnen, weitere sind zu erwarten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es ist möglich, dass bei COVID-19 erstmals ein RNA-Impfstoff auf den Markt kommt.

Welchen Stellenwert haben Impfstoffe bei der Bekämpfung von Pandemien?

Schaade: Ein Impfstoff ist natürlich ein zentrales Element der Pandemiebekämpfung und könnte ein echter „Game Changer“ sein. Dabei kommt es natürlich auch darauf an, welche Eigenschaften der Impfstoff besitzt: Wie viele Geimpfte schützt er vor einer Infektion oder zumindest einer schweren Erkrankung, wie viele Impfungen sind nötig, wie lange hält die Immunität an, verhindert die Impfung auch die Virusausscheidung bei den Geimpften und damit ihre Ansteckungsfähigkeit? Alle diese Fragen entscheiden über die Einsatzmöglichkeiten und die Effizienz eines Impfstoffs. Aber auch ein Impfstoff, der nur einen Teil der Geimpften vor einer Infektion schützt und vielleicht schon nach einem Jahr aufgefrischt werden muss, wäre ein wichtiger Baustein.

Gibt es Lehren der COVID-19-Pandemie für die Zukunft?

Schaade: Es gibt sehr viele Lehren, und zwar aus allen Bereichen, nicht nur aus der Medizin und dem Infektionsschutz. Eine – nicht ganz neue – Lehre ist, dass der öffentliche Gesundheitsdienst sehr, sehr wichtig für die Gesellschaft ist. Er muss dringend strukturell und personell gestärkt und digital besser ausgestattet werden. Eine weitere Lehre – auch vor allem weltweit gesehen – ist, dass Systeme der psychosozialen Betreuung, sozialen Sicherung und wirtschaftlichen Unterstützung nötig sind, um die Folgen einer schweren Pandemie abzupuffern.

DOI: 10.3238/PersInfek.2020.09.11.02

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