ArchivDeutsches Ärzteblatt37/2020Coronaskeptiker: Zu einfache Antworten

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Coronaskeptiker: Zu einfache Antworten

Schmedt, Michael

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Michael Schmedt, Stellv. Chefredakteur
Michael Schmedt, Stellv. Chefredakteur

Als der erste Coronafall im Januar dieses Jahres in Deutschland auftrat, hätte wohl kaum jemand damit gerechnet, dass man im jetzt beginnenden Herbst über Meinungsfreiheit, Grundrechtseingriffe bis hin zu einer vermeintlichen Coronadiktatur diskutiert. Das Politikum Maskenpflicht ist zu einem Sinnbild dieser Auseinandersetzung geworden, bei der es vonseiten der eingefleischten Coronaskeptiker weniger um die Zweifel an den Maßnahmen geht, als darum, es besser zu wissen. Die Gegner der Coronamaßnahmen, Medien und Politiker spielen die Hauptrollen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte bereits im April im Bundestag eingeräumt, es werde Zeiten geben, an denen man einander verzeihen müsse. Vergangene Woche las man dann die Bild-Schlagzeile „Spahn: Man hätte Friseure und Altenheime nicht schließen müssen.“ Suggeriert wird, dass der Minister sich der Meinung der sogenannten Querdenker annimmt, die seit Wochen mit diesem Argument gegen die Coronapolitik der Großen Koalition protestieren. Der richtige Zusammenhang fand sich auf Seite drei der Boulevardzeitung. Der verkürzten Schlagzeile fehlte der Zusatz „mit dem Wissen von heute“. Spahn hatte auf einer Wahlkampfveranstaltung in Nordrhein-Westfalen gesagt, dass man mit diesem Wissen heute einen so rigorosen Lockdown nicht mehr beschließen würde.

Die Bild-Zeitung gehört sicher nicht zu den sogenannten Qualitätsmedien, eine journalistische Verantwortung sollte sie dennoch haben. Denn die Schlagzeile verbreitet die Stimmung „der Lockdown war unnötig, denn SARS-CoV-2 ist ja nur eine Grippe“. Diese Argumentation machen sich nicht nur die Anhänger der „Querdenker 711“ zunutze, sondern erst recht diejenigen, die solche Demonstrationen wie Ende August in Berlin für sich instrumentalisieren wollen: Rechtspopulisten samt der rechtsextremen „Identitären Bewegung“. Sie geben einfache Antworten auf schwierige Fragen. Damit kann man in der Bevölkerung punkten und dafür sind einfache Schlagzeilen geeignet.

Eine noch größere Verantwortung als die Medien tragen daher in dieser gereizten Anti-Corona-Stimmung sowohl die Regierungs- als auch die Oppositionspolitiker. Umso schlimmer ist es, wenn ein Bundestagsabgeordneter wie Robby Schlund (AfD) – neben weiteren Fraktionsmitgliedern – auf der Querdenker-711-Demo in Berlin mitläuft. Und nicht nur das: Er posiert auf einem Bild in den sozialen Medien mit drei Plakaten in der Hand, auf denen der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und der Virologe Prof. Dr. med. Christian Drosten in Sträflingskleidung mit dem roten Schriftzug „Schuldig“ zu sehen sind. Fast noch schlimmer ist, dass Schlund Arzt ist. Das macht erschreckend deutlich, dass er (und seine Partei) weder am politischen noch am wissenschaftlichen Diskurs interessiert sind.

Künftig wird es daher noch wichtiger sein, dass die Politik klare Entscheidungen trifft und diese ohne Panikmache erklärt: Man sagt, was man weiß und was man eben nicht weiß und erläutert notwendige Korrekturen. Denn ist ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 erst da, werden viele der Querdenker, die schon heute die Ängste vor Impfschäden schüren, erst recht demonstrieren und die sozialen Medien mit ihren Ansichten fluten. Circa 70 Prozent der Bundesbürger halten die derzeitigen Proteste nicht für gerechtfertigt. Es gilt also, das Vertrauen der Bevölkerung weiter zu pflegen, damit diese nicht den einfachen und damit gefährlichen Antworten der Besserwisser aufsitzen.

Michael Schmedt
Stellv. Chefredakteur

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