ArchivDeutsches Ärzteblatt39/2020Welttag für Patientensicherheit: Mehr Schutz für Gesundheitspersonal

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Welttag für Patientensicherheit: Mehr Schutz für Gesundheitspersonal

Reichardt, Alina

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Die Coronapandemie hat den psychischen Druck auf Behandelnde verschärft, viele sind traumatisiert. Das gefährdet auch Patienten. Experten fordern nun Hilfsprogramme für die Fachkräfte.

Erschöpfung. Viele Behandelnde mussten in der Pandemie über ihre Kräfte hinausgehen. Die Folgen für sie selbst werden oft nicht richtig aufgearbeitet. Foto: picture allianceZdpaZMAXPPP/Pierre Destrade
Erschöpfung. Viele Behandelnde mussten in der Pandemie über ihre Kräfte hinausgehen. Die Folgen für sie selbst werden oft nicht richtig aufgearbeitet. Foto: picture allianceZdpaZMAXPPP/Pierre Destrade

Mach dich stark für die Sicherheit des Gesundheitspersonals – so lautete übersetzt das Motto des Welttags für Patientensicherheit am 17. September. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte den Gedenktag, der in diesem Jahr erst zum zweiten Mal stattfand, kurzfristig umgewidmet. Ursprünglich sollte es um die Sicherheit neugeborener Kinder gehen. Doch die Coronapandemie habe die Aufmerksamkeit auf ein Thema gelenkt, das in regulären Zeiten zu oft in Vergessenheit gerate, so die Organisatoren.

„Kein Land, Krankenhaus und keine Klinik kann seine Patienten gesund erhalten, wenn es nicht auch das Gesundheitspersonal gesund hält“, schrieb WHO-Generaldirektor Ph. D. Tedros Adhanom Ghebreyesus auf der Internetseite der Organisation. Die Pandemie habe gezeigt, wie wichtig das Personal für ein funktionierendes Gesundheitssystem sei.

Weltweiter Gedenktag geht auf deutsche Initiative zurück

Darauf machte auch das deutsche Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) aufmerksam, auf dessen Initiative der mittlerweile globale Gedenktag zurückgeht. Das Bündnis ist ein Zusammenschluss aller relevanten Schnittstellen des Gesundheitssystems – von Patienten- und Berufsverbänden über Fachgesellschaften und Selbstverwaltung bis hin zu Krankenhäusern, Kassen, Landes- und Bundespolitik. Im Rahmen eines umfangreichen Veranstaltungsprogramms zum Welttag der Patientensicherheit stellten das APS und seine Kooperationspartner neue Untersuchungen, Problemfelder und Lösungsansätze im Bereich der Patientensicherheit vor.

Viele der Punkte orientierten sich dabei an fünf Handlungsempfehlungen der WHO. Die Organisation veröffentlichte sie anlässlich des Gedenktags auf ihrer Internetseite. So sollen zwischen Strategien für Patientensicherheit und Personalgesundheit mehr Synergien geschaffen werden. Beispielsweise könnten von kombinierten Standards für Qualitätsmanagement oder Infektionsschutz beide Gruppen profitieren. Darüber hinaus müsse Gesundheitspersonal am Arbeitsplatz vor körperlicher Gewalt sowie vor anderen physischen und biologischen Gefahrenquellen geschützt werden.

Die Voraussetzungen für die mentale Gesundheit der Mitarbeiter müssen laut WHO über faire Bedingungen, wie eine angemessene Bezahlung und Anzahl von Arbeitsstunden sowie ausreichende Pausenzeiten und Entlastung von administrativen Tätigkeiten geschaffen werden. Führungskräfte sollten darüber hinaus ein gesundes Arbeitsklima ohne Schuldzuweisungen schaffen, das durch Hilfsangebote zur psychologischen Unterstützung in Krisen unterstützt wird. Um all diese Punkte nachhaltig in Gesundheitssystemen zu etablieren, rät die WHO nationalen Regierungen, entsprechende Programme aufzulegen.

In diesem Sinne beteiligte sich auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) an der Veranstaltung des APS. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte per Videobotschaft an, langfristig auf eine noch bessere Sicherheitskultur sowohl für Patienten als auch für Personal im Gesundheitswesen hinzuarbeiten. „Patientensicherheit soll zu einem tragenden Prinzip der Ausbildungen in allen bundesrechtlich geregelten Gesundheitsberufen werden“, so Spahn.

Belastungen ansprechen und Hilfsangebote machen

Auf die enorme körperliche und psychische Belastung von Gesundheitsberufen, die sich in der Krise noch einmal verschärft hätten, wies die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Prof. Dr. med. Claudia Schmidtke, hin. Sie sprach allen Mitarbeitenden des Gesundheitswesens ihren Dank aus und appellierte an Vorgesetzte und Leitungen aller Gesundheitseinrichtungen, Vorbild zu sein. „Sprechen Sie Belastungen offen an und machen Sie Hilfsangebote“, so Schmidtke.

„Eine gute Patientenversorgung setzt einen wirksamen Gesundheitsschutz für die Beschäftigten in Kliniken und Praxen voraus“, bekräftigte Bundesärztekammer-Präsident Dr. med. Klaus Reinhardt. „Das gilt für die tagtägliche Patientenversorgung und das gilt ganz besonders für Pandemiezeiten, wenn Ärzte und andere Gesundheitsberufe über ihre Belastungsgrenzen hinausgehen müssen.“

Gelungen sei das während der Pandemie vielfach nicht, erklärte Prof. Dr. med. Reinhard Strametz, Generalsekretär des APS. „Derzeit verbrennen wir Gesundheitspersonal regelrecht. Man kann nicht immer nur neues Personal gewinnen, sondern muss sich bemühen, das vorhandene zu halten“, so Strametz.

Dies müsse vor allem auch über ein besseres Auffangsystem für sogenannte Second Victims gelingen. Diese Mitarbeiter seien in Ausübung ihres Berufs traumatisiert worden. Etwa durch unvorhergesehene Zwischenfälle mit Patienten oder medizinische Fehler, für die sie sich selbst die Schuld geben.

Als unvorhergesehener Zwischenfall könne aber auch die Coronapandemie angesehen werden, in der medizinisches Personal aufgrund mangelnden Wissens über SARS-CoV-2 zu Beginn vielfach hilflos und überfordert war, in manchen Teilen der Welt gar entscheiden musste, welche Patienten eine potenziell lebensrettende Beatmung erhalten und welche nicht.

Unbehandelt blieben bei solchen Second Victims teils psychische Narben zurück. Erhebungen aus den letzten 15 Jahren zeigten, dass bis zu zwei Drittel der Befragten die Ursache ihrer Traumatisierung dysfunktional verarbeitete. Sie litten unter Schlafstörungen, Schuldgefühlen und Depressionen, flüchteten sich teils in Medikamenten- und Alkoholkonsum und verlören den Glauben in die eigenen Fähigkeiten. „Dadurch können Sie Patientinnen und Patienten nicht so professionell behandeln, wie Sie es vielleicht wollen“, so Strametz. „Das zeigt: Patientensicherheit ist Mitarbeitersicherheit.“

Nach Ereignissen wie dem Terroranschlag am 11. September 2001 in den USA oder der ersten SARS-Epidemie ab 2002 hätten 50 Prozent der Behandelnden sich selbst als traumatisiert bezeichnet. „Es ist davon auszugehen, dass eine systemrelevante Anzahl von Behandelnden durch die aktuelle Situation auch in Deutschland bereits Traumatisierungen erfahren hat oder von dieser akut bedroht ist“, heißt es in einer Handlungsempfehlung (s. Kasten), die das APS im April veröffentlichte und laufend aktualisiert.

Suizidserien wie in Italien oder New York vermeiden

Damit es nicht zum schlimmsten Szenario komme, wie etwa ganzen Suizidserien unter Behandelnden wie im Frühjahr dieses Jahres in Italien oder New York, müssten Mitarbeiter des Gesundheitssystems dauernd verfügbare Hilfsangebote wahrnehmen können. „Dazu zählt kollegiale Hilfe, aber auch integrierte und ritualisierte Möglichkeiten, darüber zu sprechen, was einen bewegt“, forderte Strametz. Für den Einzelfall müssten zudem jederzeit Spezialisten greifbar sein, die notfalls auch um vier Uhr morgens intervenieren könnten.

Das Hauptaugenmerk müsse nun auf Resilienz liegen. „Wir müssen unser System krisenfest machen, sonst sind wir irgendwann mit der Kraft am Ende“, befürchtet Strametz. Behandelnde müssten dafür sensibilisiert werden, dass sie auch Bedürfnisse haben und artikulieren dürfen. Dies geschehe auch zum Wohle der Patienten.

Führungspersönlichkeiten müssten eine Kultur etablieren, bei der nicht nach Schuldigen gesucht würde, sondern kritische Ereignisse zeitnah und lösungsorientiert aufgearbeitet würden. Alina Reichardt

Widerstandsfähigkeit der Behandelnden stärken

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS) hat eine Handlungsempfehlung für Führungskräfte in klinischen und administrativen Bereichen der Gesundheitsversorgung veröffentlicht, die Second Victims, also durch Zwischenfälle mit Patienten traumatisierten Behandelnden, Hilfe bieten soll.

Sie empfehlen darin, regelmäßige kollegiale Gespräche, die Möglichkeit des Austauschs nach belastenden Situationen oder Schichten sowie auch bei Personalknappheit kurze Auszeiten von der klinischen Tätigkeit anzubieten. Das APS rät dabei zu einer einfühlsamen, aber eindeutigen Sprache sowie zur Bestätigung der fachlichen Kompetenz und Stärkung des Selbstwertgefühls der Betroffenen. Darüber hinaus sollte stets verfügbare fachliche Unterstützung im klinischen Alltag angeboten werden, durch die im Ernstfall auch eine Überleitung in ein professionelles Hilfsnetzwerk möglich ist. Bei Behandlungsfehlern sollten Behandelnde laut Empfehlung in die Fehleranalyse einbezogen werden. Schuldzuweisungen oder Mobbing gelte es dringend zu vermeiden.

Die Experten raten, die Maßnahmen im Rahmen von Programmen fest zu etablieren. Flächendeckende und niederschwellig erreichbare Angebote für Behandelnde gebe es in Deutschland bisher nicht. Link zur Handlungsempfehlung: http://daebl.de/DK71

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