THEMEN DER ZEIT
Psychosomatische und Suchtrehabilitation: Psychosoziale Faktoren wirksam


Die Kliniken der Psychosomatischen und Suchtrehabilitation haben unter Pandemiebedingungen Wege gefunden, die einerseits das Infektionsrisiko minimieren und andererseits eine erfolgreiche Therapie für psychisch kranke und suchtkranke Menschen ermöglichen.
Psychische Störungen und Suchterkrankungen sind häufig und werden unter Pandemiebedingungen erwartungsgemäß zunehmen. Deshalb ist es notwendig, die Funktionsfähigkeit der psychosomatischen und Suchtrehabilitation weiter aufrechtzuerhalten. Dies ist unter sorgfältiger Beachtung notwendiger Sicherheitsmaßnahmen und einer Anpassung der Qualitätsmanagementkriterien und Therapiekonzepte möglich.
Während der Phase der exponentiellen Steigerung der Infektionsquote reduzierten die meisten Akutkliniken – um Bettenkapazität für COVID-19-Fälle vorzuhalten – die elektiven Behandlungen im Bereich psychischer und psychosomatischer Störungen sowie der Suchtmittelentgiftungen auf ein Mindestmaß. Außer in hochakuten Fällen fanden Patientinnen und Patienten mit psychischen Störungen häufig keine Aufnahme mehr in das Akutversorgungssystem. Ambulante und ganztägig ambulante Maßnahmen waren zu Beginn der Pandemie nicht mehr möglich. Selbsthilfegruppen konnten nicht mehr im Präsenzmodus stattfinden.
Den Rehabilitationskliniken wurde von den Rentenversicherungsträgern empfohlen, keine neuen Patienten mehr aufzunehmen. Verschiedene Bundesländer untersagten, neue Rehapatienten (ausgenommen Anschlussheilbehandlungen) aufzunehmen. Hinzu kam, dass sich ein nicht unerheblicher Teil der Rehabilitanden aus Angst vor Ansteckung dazu entschloss, die Rehamaßnahme abzubrechen. Dies führte dazu, dass die Rehabilitationskliniken schnell an Belegung verloren. In kürzester Zeit drohte die Rehabilitation in Deutschland in eine existenzielle Krise zu geraten.
Arbeiten mit Infektionsrisiko
Gegenwärtig dürfen die Rehakliniken wieder neue Patienten aufnehmen, müssen jedoch mit den Gesundheitsämtern abgesprochene Hygiene- und Sicherheitskonzepte vorweisen und umsetzen. Durch das Sozialdienstleister-Ersatzgesetz (SodEG) im SGB-VI-Bereich sowie das Krankenhausentlastungsgesetz im SGB-V-Bereich und seit Kurzem auch durch den Coronaaufschlag wurden Hilfen gewährt, die den Rehakliniken ein Überleben sichern sollen. Langsam konnten die meisten Kliniken ihre Belegung wieder erhöhen, bei nicht wenigen wurde allerdings der Stand vor der Coronapandemie noch nicht erreicht. Bis auf Weiteres müssen sich die Kliniken auf Arbeitsbedingungen unter einem potenziellen Infektionsrisiko einstellen.
Psychische Störungen gehören mit zu den häufigsten Krankheiten in Deutschland (1, 2). Bei COVID-19-Betroffenen können Atemnot, körperliches Leiden und intensivmedizinische Behandlungen in Kombination mit mangelnder Unterstützung durch zwischenmenschliche Nähe (bei Besuchsverbot und vermummtem medizinischem Personal) zu Traumatisierungen mit entsprechenden psychischen Folgeschäden führen. Auch die chronischen Folgen dieser Infektion im Bereich verschiedenster Organsysteme können zu psychischen Begleit- und Folgestörungen führen.
Es ist zu erwarten, dass es durch die Pandemie zu einer Zunahme von psychischen Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung kommt: So können zum Beispiel Ängste vor Ansteckung oder wirtschaftlichem Ruin verschiedenste Formen der Angststörungen verschlimmern oder auslösen. Zwangserkrankungen und hypochondrische Störungen können durch die Virus bezogenen Hygienemaßnahmen exazerbieren beziehungsweise entstehen. Lang andauernde soziale Isolation kann Depressionen verstärken oder auslösen. Hinzu kommt, dass psychoprotektive soziale Unterstützung bei den gebotenen Distanzierungsvorschriften in deutlich geringerem Umfang verfügbar ist (3).
Suchterkrankungen führen zu einer Vielzahl körperlicher Erkrankungen und Unfällen sowie zu einer deutlichen Steigerung der Arbeitsunfähigkeitszeiten und vorzeitigen Berentungen. Es ist damit zu rechnen, dass die deutliche Zunahme psychischer Probleme und Symptome, Langeweile, Vereinsamung, wirtschaftliche Probleme sowie mangelnde soziale Kontrolle und reduzierte Terminbindung bei Arbeit im Homeoffice zu einer Zunahme des Suchtmittelkonsums während der Pandemie führen. Gleichzeitig nehmen Hilfsangebote auch im Suchtbereich ab.
Erfolgreiche Therapien möglich
Um der weiteren Chronifizierung psychischer und Suchterkrankungen entgegenzuwirken, ist es erforderlich, das System der psychosomatischen und Suchtrehabilitation auch unter den Bedingungen der Pandemie funktionsfähig zu erhalten. Die Kliniken haben Wege gefunden, die einerseits das Infektionsrisiko minimieren und andererseits eine erfolgreiche Therapie ermöglichen. Je nach den regionalen, räumlichen, organisatorischen und personellen Gegebenheiten einer Rehabilitationsklinik, die in Art und Umfang deutlich differieren können, gibt es erhebliche Unterschiede bei den Schutzmaßnahmen. Trotz aller Differenzen lassen sich grundsätzlich bewährte sowie bei einer bestimmten Problemkonstellation typischerweise bevorzugte Vorgehensweisen erkennen, die teilweise auch von Zipfel beschrieben werden (4). Zur Orientierung wird auch auf die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards für Reha-Kliniken verwiesen (5).
Soziale Distanz kann schädliche Auswirkungen haben (6). Deshalb sollte gerade Patienten in der psychosomatischen Rehabilitation die heilsame Wirkung psychosozialer Nähe nicht vorenthalten werden. Da aus Infektionsschutzgründen – wenn irgend möglich – die Patienten im gleichen Verbund ihre Therapien gemeinsam durchlaufen und auch die betreuenden Therapeuten möglichst dieselben sein sollen, bieten sich Therapien an, die ein breites Spektrum an Vorgehensweisen zulassen, wie gruppentherapeutische Angebote, sowohl in der Psychotherapie als auch bei Sport- und Ergotherapie. Spezifische Angebote wie kognitive Verhaltenstherapie der Depression, Selbstsicherheitstraining oder auch Übungen zur Angstkonfrontation finden auch unter Pandemiebedingungen statt, allerdings meist nicht mehr in diagnostisch vollkommen homogenen Gruppen, sondern eher im Rahmen der Basistherapie. Entsprechendes gilt für den Sport, wo man unter Fitnesstraining ebenso Ausdauertraining sowie Übungen zur Kraft oder Koordination durchführen kann. In der Ergotherapie werden die Therapeuten Patienten einer Kompartmentgruppe mit Aufgaben betrauen, die sie individuell fordern und fördern. So wird man einige eher mit kreativen Angeboten erreichen, während bei anderen ein berufsbezogenes Training erforderlich ist. Die jeweiligen Entwicklungsbedarfe zu erkennen ist eine anspruchsvolle Aufgabe, bei der die Bezugstherapeuten den Ergotherapeuten wertvolle Hinweise geben können.
Die zentrale Aufgabe des internen Qualitätsmanagements der Psychosomatischen und Suchtrehabilitationskliniken ist die Anpassung der zu kontrollierenden Parameter an die oben dargestellten neuen Erfordernisse. Umstellungen vielfältigster Art haben bisherige Flussdiagramme für die Zeit der Pandemie partiell außer Kraft gesetzt. Der Zyklus von Plan-Do-Check-Act behält jedoch auch während der Pandemie seine Gültigkeit. Da die Pandemiebedingungen sich ständig ändern, müssen auch die Maßnahmen der Kliniken immer wieder hinsichtlich ihrer Angemessenheit hinterfragt werden.
Die Deutsche Rentenversicherung hat ihr Verständnis für die Notwendigkeit einer Veränderung der therapeutischen Gegebenheiten während der Pandemie frühzeitig zum Ausdruck gebracht. Sie informierte die Kliniken darüber, dass sie zwar Rückmeldungen über das Niveau der Erfüllung der externen Qualitätsvorgaben geben wird, jedoch von einer Vergabe von Qualitätspunkten in den Bereichen der Reha-Therapiestandards (von Relevanz sind hier die Bereiche der depressiven Störungen und der Alkoholabhängigkeit) sowie den Vorgaben zur Erfüllung des Katalogs therapeutischer Leistungen (KTL) und der Rehabilitandenbefragung absehen will.
Gute Kommunikation wichtig
Dies ist sinnvoll, da unter den Sicherheitsvorkehrungen manche Vorgaben der Reha-Therapiestandards nicht einzuhalten sind. So ist zum Beispiel die Angehörigenarbeit nur noch erheblich reduziert möglich. Hinzu kommt, dass Einrichtungen, die zu einer Aufteilung der Patientengruppen gezwungen sind, mit dem vorhandenen Personal weniger Therapiestunden absolvieren können, was sich negativ hinsichtlich der KTL-Vorgaben bemerkbar machen kann. Auch der Rehabilitandennachbefragungsbogen bezieht sich auf eine Therapie unter Normalbedingungen.
Eine alle Mitarbeiter einbeziehende kontinuierliche interne Kommunikation ist für die Umsetzung der Schutzkonzepte unabdingbar. Ebenso notwendig ist eine gute Kommunikation zum Einrichtungsträger, den Schwestereinrichtungen und Kooperationspartnern. Die Verbindungen zu dem zuständigen Gesundheitsministerium, Gesundheitsamt und Ordnungsamt sollten erprobt und kurz sein. Auch hier gilt, dass man nur mit vertrauensvoller Zusammenarbeit den Weg durch das schwierige Gelände der Pandemie finden kann. Dr. med. Monika Vogelgesang
MEDIAN Klinik Münchwies
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4020
oder über QR-Code.
1. | Alonso J: Prevalence of mental disorders in Europe: results from the European Study of Epidemiology of Mental Disorders (ESEMeD) project. Acta Psychiatr Scand Suppl. 2004; 420: 21–7. |
2. | Wittchen H, Müller N, Pfister N et al.: Affektive, somatoforme und Angststörungen in Deutschland. Erste Ergebnisse eines bundesweiten Zusatzsurveys „Psychische Störungen“. Das Gesundheitswesen 1999; 61: 216–22. |
3. | Schedlich C: Psychosoziale Herausforderungen in der Covid-19-Pandemie. In: Bering R, Eichenberg C, Hrsg. Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise. Stuttgart: Klett-Cotta; 2020: 15–28. |
4. | Zipfel S, Stengel A, Junne F: Psychotherapie in Zeiten der Covid-19-Pandemie – Eine kurze Reflexion. Psychother Psych Med 2020; 70: 269–71 CrossRef MEDLINE |
5. | Bundesgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege. SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard für Reha-Kliniken (2020). Im Internet: www.bgw-online.de. Stand: 6.2020. |
6. | Beck V: Die ungewollte soziale Distanz in Zeiten der Corona-Pandemie: Eine Analyse der Psychischen Auswirkungen. In: Bering R, Eichenberg C, Hrsg. Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise. Stuttgart: Klett-Cotta; 2020: 54–67. |