

Am Anfang steht das Wort, darauf folgt die Tat, und sie formt die Realität. An diesen unumstößlichen Dreiklang musste ich unwillkürlich denken, als ich auf Bildern von Demoteilnehmern gegen die coronabedingten Restriktionen ein Schild entdeckte: ‚Ende der Pandemie!‘ Ja, wie wunderbar ist das denn?! Dieser Mensch, der voller Inbrunst sein Plakat der neugierigen Kameralinse entgegenstreckte, hat den Schlüssel gefunden, die Welt nicht nur ein bisschen besser zu machen, sondern gleich zu retten! Indem er nicht nicht einfach fordernd sagt: ‚So geht es nicht mehr!‘ sondern uns unmissverständlich mitteilt: ‚Ich habe beschlossen: Es ist jetzt Schluss damit, Ende, aus, basta, und ob ihr das wollt oder nicht, das ist jetzt so, das ist Realität!‘ Ist das nicht fantastisch? So einfach ist jegliches Ungemach, alles Unglück zu beenden!
Ich werde mir ein Beispiel daran nehmen und Kraft meines Medizinerdaseins als Speerspitze antreten, als endlich erfolgreicher Kämpfer gegen Krankheiten und Siechtum, gegen Gebrechen und Leid. Indem ich eine Demonstration anmelde, und zwar mit dem Ziel, die gesamte Menschheit von den ihr innewohnenden gesundheitlichen Makeln, von der Knechtschaft der Krankheiten zu befreien!
Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon meine völlig begeisterten Mitstreiter ihre Plakate in die Höhe strecken, die ein neues Zeitalter der Menschheit, eine Ära des Glücks und der Zufriedenheit einleiten: ‚Keine Macht dem Herzinfarkt!‘ und ‚Schlaganfall auf keinen Fall!‘, ‚Nie wieder Fieber!‘, ‚Viren verlieren!‘ und ‚Knochenbrüche waren gestern, darüber können wir heute nur lästern!‘ Ich werde Geschichte schreiben, mein Name wird in die Annalen der Ewigkeit eingehen.
Vollkommen im Rausch darüber versunken bemerke ich gar nicht, dass mir die Beste aller Ehefrauen über die Schulter guckt. „Was schreibst Du denn da?“ Ich schreibe nicht, ich rette die Welt! „Soso. Bist Du Dir sicher, dass Viren, Schlaganfälle und Herzinfarkte auch lesen können?“ Auf solche kleinlichen Kleinigkeiten kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen, ich bin zu Großem berufen! „Woher willst Du denn die Teilnehmer für die Demo herbekommen?“ Ach, das ist ganz einfach, ich werde das Deutsche Ärzteblatt bitten, dies hier umgehend zu veröffentlichen, und alle werden begeistert mitmachen! „Sicher?“ Ja, sicher, wir sind doch Ärzte, wir sind für die Menschen da.
„Dir ist schon klar, wenn Du mit Deiner Demo wirklich den gewünschten Erfolg haben solltest, dass Du dann arbeitslos bist?“ Ach, für wirklich Großes muss man auch Opfer bringen!
„Sag’ mal, dieser Mensch, der das Ende der Pandemie verkündigt hat, war der eigentlich schon erfolgreich?“ Äh ... das habe ich noch nicht überprüft, ich habe aber gerade keine Zeit dazu. „Die Infektionszahlen steigen wieder rapide an.“ Ja, wie blöd ist das denn!
Dr. med. Thomas Böhmeke
ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.