

Ein Präparat aus den Cannabis-Inhaltsstoffen CBD und THC ist bislang nur zur Begleitbehandlung der Multiplen Sklerose zugelassen. Erste Studien deuten nun darauf hin, dass auch Patienten mit neuropathischen Schmerzen von der Kombinationstherapie profitieren könnten.
Bereits seit der Antike werden Cannabis-Präparate in der Medizin eingesetzt. Dennoch ist die Forschungslage in Sachen Analgetikatherapie eher dürftig. 1925 wurde Cannabis in das internationale Opiumabkommen aufgenommen, das die Anwendung der Opiate reglementierte. 1961 wurden Hanfprodukte im internationalen Abkommen zu Betäubungsmitteln den Opiaten gleichgestellt. Danach beschäftigte sich kaum noch jermand ernsthaft wissenschaftlich mit der Pflanze.
Erst in den 1960er-Jahren wurden die Inhaltsstoffe Cannabidiol (CBD) und Tetrahydrocannabinol (THC) isoliert und ihre Struktur aufgeklärt. In den 1990er-Jahren wurde das Endocannabinoid-System erforscht: Cannabinoid-Rezeptoren (CB) liegen in 2 Varianten vor: CB1 hat Einfluss auf das ZNS und in der Peripherie auf Leber und Gastrointestinaltrakt, CB2 wirkt vor allem auf das Immunsystem.
Seit März 2017 können Cannabis-Präparate in Deutschland verordnet und auf Antrag auch von den Krankenkassen erstattet werden. Allerdings ist bei dieser Zulassung einiges anders geregelt, als es im Zeitalter der evidenzbasierten Medizin üblicherweise gefordert wird: Die Indikationen sind bei der Zulassung nicht genau umrissen worden. Es obliegt der Einschätzung des behandelnden Arztes, ob sich eine Cannabis-Therapie positiv auf Symptome oder Krankheitsverlauf auswirken würde.
Dürftige Datenlage
Ebenfalls ungewöhnlich bei der Zulassung der Verschreibungsfähigkeit von Medizinalhanf: Die Standards der Europäischen Arzneimittel-Agentur (mindestens 2 ausreichend gepowerte kontrollierte Studien mit einer Dauer von mindestens 12 Wochen) wurden nicht berücksichtigt – für PD Dr. med. Michael A. Überall vom Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie und Pädiatrie in Nürnberg ein Tabubruch in der evidenzbasierten Medizin.
Insgesamt lässt die Datenlage zu wünschen übrig. Prof. Dr. rer. nat. Burkhard Hinz vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universitätsmedizin Rostock berichtete über einen Review von 2015. Darin wurden 79 klinische Studien mit insgesamt 6 462 Teilnehmern zur Cannabistherapie bei unterschiedlichen Indikationen bewertet. Hierbei stellte sich eine wenigstens moderate Evidenz bei chronischen Schmerzen und bei Spastik infolge einer Multiplen Sklerose oder Paraplegie heraus. Eine nur geringe, aber durchaus vorhandene Wirkung wurde außerdem bei Übelkeit unter Chemotherapie und zur Appetitsteigerung bei AIDS-Patienten gezeigt.
Überall und sein Team wollen diese Wissenschaftslücke füllen. Sie machten sich den Umstand zunutze, dass sich die verschiedenen Inhaltsstoffe – THC und CBD – gegenseitig beeinflussen. THC ist ein partieller Agonist an den Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 und wirkt somit vor allem antiemetisch, appetitanregend, analgetisch und muskelrelaxierend − aber auch psychoaktivierend. CBD ist ein Antagonist am CB1Rezeptor und wirkt ebenfalls analgetisch, zudem auch anxiolytisch, neuroprotektiv sowie antikonvulsiv. Durch seine antipsychotischen Eigenschaften wirkt CBD den psychoaktivierenden Effekten von THC entgegen.
THC und CBD werden mit dem gemeinsamen Substanznamen Nabiximols belegt. Dieses ist als Oromukosalspray (Sativex®, Almirall) als Begleitbehandlung bei Multipler Sklerose zugelassen. Dass Nabiximols auch bei Patienten mit schweren, therapierefraktären Schmerzen wirkt, konnte Überall in einer einfach verblindeten Studie nachweisen. Hier profitierten vor allem die Patienten mit neuropathischen Schmerzen, von denen über 50 % von einer sehr deutlichen Schmerzlinderung berichteten.
THC und CBD bei Schmerzen
In einer aktuellen, noch unveröffentlichten Studie erforschte das Team um Überall, ob Nabiximols besser wirkt als THC allein. Jeweils 377 Patienten mit neuropathischen Schmerzen wurden entweder mit dem Nabiximols-Spray oder THC oral über 6 Monate behandelt. Über einen Beschwerderückgang um mehr als 50 % berichteten 64 % der Patienten unter Nabiximols und nur 23 % unter THC. Ebenfalls bemerkenswert: 42 % der Teilnehmer mit dem Cannabis-Kombinationspräparat brauchten kein weiteres Basisschmerzmittel, in der Vergleichsgruppe konnten nur 12 % auf weitere Analgetika verzichten. Wie Überall berichtete, schnitt das Kombinationspräparat auch bei den Nebenwirkungen besser ab: So wurden unter THC bei 39,8 % der Patienten Nebenwirkungen festgestellt, unter Nabiximols waren es 23,7 %. Vor allem neurologische und psychiatrische Nebenwirkungen waren unter Nabiximols signifikant seltener. Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Symposium „Tabubruch Cannabis – das Ende der evidenzbasierten Medizin!?“ anlässlich des virtuellen Deutschen Schmerz- und Palliativtages, 21. Juli 2020; Veranstalter: Almirall