BÜCHER
Krebskranke Menschen: Psychische Wandlungen nach der Erkrankung


Das Buch gewährt einen tiefen Einblick in das Leben von erwachsenen, ehemals an Krebs erkrankten Menschen. Am Beispiel von zwölf sehr ausführlichen Interviews wird versucht zu ergründen, wie es den ehemaligen Patienten heute geht, wie sie die lebensbedrohliche Erkrankung und einschneidenden invasiven Behandlungen erlebt haben, welchen Einfluss diese Erfahrungen auf ihr heutiges Leben genommen haben und inwieweit psychotherapeutische Unterstützung ihnen geholfen hat.
Elmar Reuter zieht aus mehr als 20 Jahren psychotherapeutischer Arbeit mit Schwerkranken ein Fazit und spannt auf sehr gelungene Weise den Bogen vom Erkennen der Krankheit bis hin zu ihrer Überwindung und zum Leben danach: „Die Arbeit mit Krebspatienten, besonders mit Schwerkranken, packt das Gegenüber. Die Todesangst reißt alles weg, schafft gleichzeitig Freiheit, alles neu zu denken. Die Persönlichkeitsstrukturen, die Einstellungen, die Werte und Wichtigkeiten, die Beziehungen verändern sich. (...) Und dann kann etwas passieren. Es beginnen ganz neue Gedanken zu kommen, die Sinne sind geschärft, die Suche nach Sinn beginnt, wie die Suche nach Freiheit und Selbstbestimmung“ (Seite 3).
Gudrun Haarhoff, Mitautorin des Buches, die ihre Begegnungen mit den Betroffenen in deren vertrautem Umfeld durchführte, fasst ihren Gesamteindruck zusammen: „Der Kern der Person ist sesshaft geworden im eigenen Leben. Das macht jede Begegnung aufrichtig, intensiv und vertraut.“
Das Buch wird abgerundet durch Interviews mit drei wissenschaftlich und klinisch tätigen Fachleuten, der Hämatologin Elke Jäger, dem Neurowissenschaftler Joachim Bauer und dem Psychoneuroimmunologen Christian Schubert, die um eine wissenschaftliche Abgleichung des Individuellen, Subjektiven der Narrative der Interviewten mit dem evidenzbasierten, wissenschaftlichen Kenntnisstand gebeten wurden. Alle drei Experten sehen die von den zwölf ehemaligen Patienten von sich aus geschilderten neuen Lebensperspektiven und den daraus geschöpften Hoffnungen als plausibel an im Hinblick auf mögliche günstige Auswirkungen auf deren Organismus und damit auf das Tumorgeschehen. Fazit: Psychotherapeutische Unterstützung bei Krebserkrankungen kann zum Zusammenführen von seelischen und körperlichen „Selbstheilungskräften“ führen. Das Buch erzählt von psychischen Wandlungen, die ohne die Erkrankung und die erfahrene therapeutische Hilfe wohl nicht angestoßen worden wären. Ein höchst eindrucksvolles Buch, das jedem Onkologen und Psychotherapeuten sehr empfohlen werden kann. Volker Tschuschke
Elmar Reuter, Gudrun Haarhoff, Yosh Malzon-Jessen: Mehr Jahresringe als erwartet – Überlebensgeschichten nach schwerer Krebserkrankung. Schattauer Verlag, Stuttgart 2020, 290 Seiten, gebunden, 25,00 Euro
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