ArchivDeutsches Ärzteblatt42/2020Berühmte Entdecker von Krankheiten: Philippe Gaucher erkennt als junger Mediziner eine seltene Krankheit

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Berühmte Entdecker von Krankheiten: Philippe Gaucher erkennt als junger Mediziner eine seltene Krankheit

Schuchart, Sabine

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Am 1. Oktober 2020 fand zum 7. Mal der Internationale Morbus-Gaucher-Tag statt. Er lenkt weltweit den Blick auf eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung, bis zu deren Diagnose oft lange Zeit vergeht. Erstmalig beschrieben wurde sie von einem französischen Medizinstudenten in seiner Doktorarbeit.

Dass Philippe Gaucher in die Medizingeschichte eingehen würde, war nicht zu erwarten. Seine wissenschaftliche Karriere begann mit einem Misserfolg: Eigentlich wollte er Naturwissenschaften studieren, er fiel aber bei der Aufnahmeprüfung durch und versuchte es dann in der Medizin. Sein wissenschaftlicher Nachruhm gründet zudem auf der Beschreibung des Falls einer einzigen Patientin, bei dem er zudem noch in der Ursachenanalyse falsch lag. Trotzdem ist er aus der Medizingeschichte nicht wegzudenken: An der seltenen Erbkrankheit Morbus Gaucher (s. Kasten) leidet weltweit etwa einer von 50 000 Menschen, bei den Juden ost- und zentraleuropäischer Herkunft liegt der Anteil mit etwa 1:450 wesentlich höher. Die Zahl der von Morbus Gaucher Betroffenen in Deutschland wird auf circa 2 000 geschätzt. Aber nur bei etwa 400 Patienten ist die Krankheit aktuell diagnostiziert, weil sie trotz der Schwere der Symptome häufig nicht erkannt wird.

Geboren wird Philippe Charles Ernest Gaucher am 26. Juli 1854 in der kleinen Gemeinde Champlemy im Burgundischen. Sein Vater ist Architekt, seine Mutter verstirbt früh, und er wächst bei der Familie eines Onkels, eines Allgemeinmediziners, im nahen Varzy auf. Gaucher zeigt früh einen Hang zur Armee, seine militärische Ausbildung macht er in Militärkliniken in Paris. Dort studiert er auch Medizin, noch als Praktikant beschreibt er in seiner Doktorarbeit 1882 bei einer 32-jährigen Patientin erstmalig und detailliert die Symptome der Krankheit, die später seinen Namen tragen soll. Als Ursache vermutet er fälschlich einen Milztumor. Tatsächlich liegt bei der Krankheit, wie heute bekannt ist, zu 95 Prozent eine Milzbeteiligung vor. Die postmortale Untersuchung von Gauchers Patientin ergibt denn auch, dass das etwa faustgroße Organ bei ihr auf das Zwanzigfache angewachsen ist und die Zellen in der roten Pulpa vergrößert sind. Die wirkliche Ursache für diese Proliferation zu erkennen, ist zu Gauchers Zeit nicht möglich.

In der Medizin macht der ehrgeizige Mann schnell Karriere. Nach einigen Jahren als Assistent im histologischen Labor der Pariser Medizinischen Fakultät wird er Leiter der Klinik des Necker-Hospitals in Paris, dann Laborchef des Charité-Hospitals und später Leiter der Klinikabteilung beim Hospital Saint-Antoine. Er unterrichtet Histologie und Dermatologie an diversen Kliniken und wird 1902 auf den Lehrstuhl für Dermatologie und Syphiliskunde der Pariser Universität berufen. Für sein Engagement während des Ersten Weltkriegs wird er 1917 zum Offizier der Ehrenlegion ernannt. Gaucher hat sich auf Venerologie spezialisiert und schreibt zahlreiche Fachartikel über Geschlechtskrankheiten. Diese werden ihm zu einer fixen Idee, er sieht sie als Ursache vieler Krankheiten wie etwa Polio, Appendizitis und angeborenen Missbildungen.

Zeitgenossen bescheinigen ihm einen schwierigen, autoritären Charakter und aggressive Züge. Das von Paul Ehrlich entdeckte Salvarsan zur Behandlung der Syphilis denunziert er im aufgeheizten Kriegsklima Frankreichs als „deutsches Gift“. Gaucher heiratet nicht. Sein Beruf ist ihm alles, ein soziales Leben kennt er nicht. Einem Freund gesteht er: Sein Leben sei traurig, er würde weder Literatur noch Malerei oder Musik schätzen, seine einzige Freude sei, Geld zu verdienen, das er nicht ausgibt. An Lungenentzündung erkrankt, stirbt Gaucher Ende Januar 1918 im Alter von 63 Jahren. Sabine Schuchart

Foto: Wikipedia
Foto: Wikipedia

1882 identifizierte der Medizinstudent und spätere Dermatologe Philippe Charles Ernest Gaucher (1854–1918) bei histopathologischen Untersuchungen einer 32-jährigen Patientin mit Splenomegalie große, bis dahin unbekannte Zellen und beschrieb diese als Erster detailliert. Danach tauchten ähnliche Fälle auf und die Begriffe „Gaucher-Zellen“ und „Morbus Gaucher“ etablierten sich. Dabei handelt es sich um eine seltene, vererbbare Stoffwechselstörung mit Hepatosplenomegalie, Knochenmarkschäden, Anämie, Thrombozytopenie und zum Teil neurologischen Komplikationen. Wegen der unspezifischen Symptome wie Müdigkeit, Knochenschmerz, Oberbauchbeschwerden, Nasenbluten und Hämatomen wird sie oft erst spät erkannt. Die Patienten akkumulieren intrazellulär ein Lipid (Glucocerebrosid), wie 1934 entdeckt wurde. Die genetische Ursache konnte erst 1965 ermittelt werden: ein Defekt des Enzyms Beta-Glucocerebrosidase.

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