MEDIZIN: Originalarbeit
Tumorinzidenz bei Patienten mit nichtalkoholischer Fettlebererkrankung
Tumor incidence in patients with non-alcoholic fatty liver disease
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Hintergrund: Weltweit nimmt die Inzidenz von Tumorerkrankungen zu, wobei unklar ist, inwieweit Komorbiditäten hierbei eine Rolle spielen. Ziel der Studie war es, die Bedeutung der nichtalkoholischen Fettleberkrankheit (NAFLD) in Bezug auf die Inzidenz unterschiedlicher Tumorarten in Deutschland zu untersuchen.
Methoden: Zwischen 2000 und 2015 wurden die Daten von 31 587 Patienten mit diagnostizierter NAFLD in die Analyse einbezogen. Zum Vergleich wurde eine Kontrollgruppe (n = 31 587) ausgewählt, die vergleichbar in Bezug auf Geschlecht, Alter, behandelnden Arzt und Charlson-Komorbiditäts-Index (CCI) ist.
Ergebnisse: Zehn Jahre nach dem Indexdatum wurde bei 15,3 % der Patienten mit NAFLD und 13,4 % der Patienten in der Kontrollgruppe eine Tumorerkrankung diagnostiziert (p < 0,001). Patienten mit NAFLD zeigten eine höhere Rate an Tumorerkrankungen der männlichen Genitalorgane (Hazard Ratio [HR]: 1,26; 95-%-KonfidenzintervalI: [1,06; 1,5]; p = 0,008), der Haut (HR: 1,22 [1,07; 1,38]; p = 0,002) und der Mamma (HR: 1,2 [1,01; 1,43]; p = 0,036). In dieser Analyse blieb die Rate an hepatozellulären Karzinomen zwischen Patienten mit und ohne NAFLD ohne statistisch signifikanten Unterschied (0,19 % versus 0,12 %; p = 0,204).
Schlussfolgerung: Die NAFLD erhöht das Risiko für Brustkrebs bei Frauen, Genitalkrebs bei Männern und Hautkrebs unabhängig vom Geschlecht leicht. Somit kann die NAFLD als ein Indikator für eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, Krebs zu entwickeln, angesehen werden.


Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) ist eine der Hauptursachen für eine chronische Lebererkrankung mit einer geschätzten Prävalenz von 24 % in der Allgemeinbevölkerung (1, 2). Insbesondere metabolisch vorbelastete Patienten mit Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2 haben ein erhöhtes Risiko. Aufgrund der zunehmenden Prävalenz dieser Risikofaktoren wurde eine steigende Inzidenz von NAFLD in den USA und den europäischen Ländern Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Großbritannien vorhergesagt (3, 4). Die NAFLD umfasst ein Erkrankungsspektrum, das von der einfachen Leberverfettung (Steatosis hepatis; [NAFL]), über die nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH) bis hin zur Leberzirrhose mit der Entwicklung assoziierter Komplikationen sowie einem hepatozellulären Karzinom reicht. Die NASH ist die am schnellsten wachsende Indikation für Lebertransplantationen in den USA (5). Die häufigste Todesursache bei NAFLD sind kardiovaskuläre Erkrankungen, gefolgt von extrahepatischen Malignomen (6, 7, 8). Patienten mit fortgeschrittener NAFLD (histologische Fibrose im Stadium F3 und F4) weisen im Vergleich zu Menschen ohne chronische Lebererkrankung ein siebenfach erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms auf (9). Zudem ist das hepatozelluläre Karzinom auf dem Boden einer NAFLD die zweithäufigste Indikation zur Lebertransplantation bei Patienten mit hepatozellulärem Karzinom in den USA (10).
Weltweit nehmen sowohl die Inzidenz als auch die Mortalität von Krebserkrankungen rapide zu (11). Für das Jahr 2018 wurden 18,1 Millionen neue Krebsfälle und 9,6 Millionen Krebstodesfälle geschätzt (11). In Deutschland erkrankten im Jahr 2014 fast 480 000 Menschen an Krebs, dies verursachte 22 % aller Todesfälle bei Frauen und 28 % bei Männern (12). Aufgrund der demografischen Entwicklung wird erwartet, dass die Zahl der neuen Krebsfälle in Deutschland zwischen 2010 und 2030 um mehr als 20 % zunehmen wird (12).
Bei Patienten mit NAFLD könnte die metabolisch bedingte Inflammation ein relevanter Faktor für ein erhöhtes Risiko hinsichtlich der Entwicklung einer Krebserkrankung sein (13). Über die spezifischen Krebsarten bei Patienten mit einer NAFLD ist wenig bekannt.
Ziel dieser Studie war es, das Risiko und die Inzidenz der häufigsten Krebsarten bei NAFLD zu untersuchen. Dabei wurden Patienten aus einer großen Datenbank der Grundversorgung in Deutschland mit insgesamt 7,49 Millionen Patienten innerhalb von 15 Jahren vergleichend untersucht (14).
Material und Methoden
Datenbank
Die Studiendaten basieren auf der „Disease Analyzer“-Datenbank (IQVIA) (14). In der Analyse wurde ein Datensatz von 7,49 Millionen Patienten über einen Zeitraum von 15 Jahren untersucht (Grafik 1). Bezogen auf einen Zeitraum von einem Jahr sind das 1,5 bis 2 Millionen Patienten, was ungefähr 3 % aller ambulanten Praxen in Deutschland entspricht. Ausführliche Informationen zur verwendeten Datenbank finden sich im eMethodenteil.
Studienpopulation
Die retrospektive Kohortenstudie umfasst erwachsene Patienten (≥ 18 Jahre) mit einer Erstdiagnose von NAFLD (ICD-10: K75.8, K76.0) in 1 262 Grundversorgungspraxen in Deutschland zwischen Januar 2000 und Dezember 2015 (Indexdatum; Grafik 1). Es wurden nur Fälle mit einer Beobachtungszeit von mindestens zwölf Monaten vor dem Indexdatum eingeschlossen. Patienten mit einer Krebsdiagnose (ICD-10: C00–C99) vor dem Indexdatum wurden ausgeschlossen. Abweichungen von diesem diagnostischen Muster wurden durch das Matching für die Arztpraxen berücksichtigt. NAFLD-Patienten wurden gepaart nach Alter, Geschlecht, Arzt, Indexjahr, Charlson-Komorbiditäts-Index (CCI) und jeweils in der gleichen Grundversorgungspraxis mit Nicht-NAFLD-Patienten verglichen. Die Eigenschaften der Kontrollgruppe vor dem Matching sind in eTabelle 1 dargestellt. Der CCI basierte auf den Diagnosen, die innerhalb von zwölf Monaten vor oder am Indexdatum dokumentiert wurden.
Der CCI ist ein gewichteter Index, der die Anzahl und den Schweregrad von Komorbiditäten berücksichtigt und ein breites Spektrum von Komorbiditäten umfasst, einschließlich makrovaskulärer Erkrankungen, Lungenerkrankungen, Magen-Darm- und Nierenerkrankungen, Diabetes, Tumore und HIV-Infektionen (15). Für die Kontrollen wurde das Indexdatum anhand eines zufällig ausgewählten Besuchs zwischen Januar 2000 und Dezember 2015 definiert (Grafik 1).
Fragestellung und Kovariaten
Die primäre Fragestellung der Studie war die Gesamtinzidenz von Krebs (ICD 10: C00–C99) sowie die Inzidenz einer Krebserkrankung verschiedener Organe, einschließlich Leber (ICD 10: C22), Lippe, Mundhöhle und Rachen (ICD 10: C00–C14), Verdauungsorgane ohne Leber (ICD 10: C15–C26 ohne C22), Atmungsorgane (ICD 10: C30–C39), Haut (ICD 10: C43, C44), Brust (ICD 10: C50), weibliche Geschlechtsorgane (ICD) 10: C51–C58), männliche Geschlechtsorgane (ICD 10: C60-C63), Harnwege (ICD 10: C64–C68) und lymphoides und hämatopoetisches Gewebe (ICD 10: C81–C96) als Folge von NAFLD.
Ethik
Die „Disease Analyzer“-Datenbank beinhaltet anonymisierte elektronische Patientenakten. Patientendaten wurden in aggregierter Form analysiert, ohne dass individuelle Gesundheitsdaten verfügbar waren. Eine individuelle Einverständniserklärung wurde nicht eingeholt.
Statistische Analysen
Unterschiede in den Probenmerkmalen zwischen Patienten mit und ohne NAFLD wurden unter Verwendung von Chi-Quadrat-Tests für kategoriale Variablen und Wilcoxon-Tests für kontinuierliche Variablen getestet. Cox-Regressionsanalysen wurden vorgenommen, um den Zusammenhang zwischen NAFLD und der Krebsinzidenz zu untersuchen. Die Tumorinzidenz leitet sich aus der Kaplan-Meyer-Analyse in Bezug auf die unter Beobachtung stehenden Fälle ab. Die Analysen wurden getrennt für die verschiedenen Krebsarten durchgeführt und hinsichtlich dem Vorliegen von Bluthochdruck (ICD-10: I10), Dyslipidämie (ICD-10: E78), Diabetes mellitus (ICD-10: E10–E14) und Adipositas (ICD-10: E66) adjustiert. Da Regressionsmodelle für Krebs insgesamt sowie für zehn verschiedene Krebsarten berechnet wurden, wurde eine Bonferroni-Korrektur für den p-Wert gerechnet und ein p-Wert von < 0,004 (berechnet als < 0,05 / 11) als statistisch signifikant angesehen. Die Analysen wurden mit SAS Version 9.4 durchgeführt.
Ergebnisse
Grundlegende Merkmale der Stichprobe
Die Studie umfasste 31 587 Patienten mit NAFLD und 31 587 Patienten ohne NAFLD. Die Grundcharakteristika der Studienpatienten sind in Tabelle 1 aufgeführt. Das Durchschnittsalter betrug 58,0 (± 14,0) Jahre; 48,0 % waren Frauen. Der mittlere CCI betrug in beiden Kohorten 0,9 (± 1,0) ohne signifikanten Unterschied. Im Vergleich zur Kontrollgruppe hatten Patienten mit NAFLD einen höheren Anteil an Adipositas (5,0 % vs. 2,4 %), Diabetes mellitus Typ 2 (11,4 % vs. 6,9 %), Dyslipidämie (19,8 % vs. 12,8 %) und Bluthochdruck (26,8 % vs. 18,4 %) (Tabelle 1).
Assoziation von NAFLD und Inzidenz von Krebs
Innerhalb von zehn Jahren nach dem Indexdatum wurde bei 15,3 % der Patienten mit NAFLD und bei 13,4 % der Patienten ohne NAFLD eine Krebserkrankung diagnostiziert (Log-Rank: p < 0,001) (Grafik 2). Die Inzidenzraten beziehen sich auf die Zahl der Patienten unter Beobachtung. Insgesamt wurden 2 431 Krebsfälle (1 597 bei NAFLD-Patienten und 834 in der Kontrollgruppe) registriert. Die drei häufigsten Krebsarten in beiden Gruppen waren Hautkrebs, Krebs der Verdauungsorgane (ohne hepatozelluläre Karzinome) und Krebs des lymphoiden und hämatopoetischen Gewebes. In der Regressionsanalyse zeigte sich eine signifikante Assoziation zwischen NAFLD und der Krebsinzidenz (Hazard Ratio [HR]: 1,15; 95-%-Konfidenzintervall: [1,08; 1,21]; p < 0,001). Das höchste Risiko bei NAFLD wurde bei männlichem Genitalkrebs (HR: 1,26; [1,06; 1,5]; p = 0,008), gefolgt von Haut- (HR: 1,22; [1,07; 1,38]; p = 0,002) und Brustkrebs beobachtet (HR: 1,20; [1,01; 1,43]; p = 0,036). Die Assoziation mit Hautkrebs war unabhängig vom Geschlecht, wobei Frauen ein höheres HR (HR: 1,42; [1,03; 1,95]; p = 0,03) als Männer (HR: 1,35; [1,06; 1,73]; p = 0,0146) aufwiesen; dies war jedoch statistisch nicht signifikant. Nach der Bonferroni-Korrektur zeigte sich ein statistisch signifikant höheres Risiko für Krebs im allgemeinen sowie für Hautkrebs. Die Inzidenz von Leberkrebs wurde bei Patienten mit NAFLD mit 0,19 % und bei Patienten ohne NAFLD mit 0,12 % ohne statistisch signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen (p = 0,204) angegeben (Tabelle 2).
Diskussion
Dies ist die erste Untersuchung zur Inzidenz von Krebserkrankungen bei NAFLD basierend auf einer gut abgestimmten Kohorte eines großen Datensatzes aus der Grundversorgung in Deutschland. Nach der Diagnose einer NAFLD konnte im Vergleich zu einer übereinstimmenden Kontrollkohorte ein um 15 % höheres Risiko nachgewiesen werden, an Krebs zu erkranken. Dies steht im Einklang mit Daten aus einer großen Kohorten-Längsschnittstudie in den USA mit 4 722 NAFLD-Patienten und 14 441 alters- und geschlechtsangepassten Kontrollpersonen, die über einen Zeitraum von acht Jahren nachbeobachtet wurden. NAFLD war hier mit einem fast zweifach erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Krebserkrankung verbunden, insbesondere Krebserkrankungen des Magen-Darm-Trakts, der Leber und der Gebärmutter (6). In der vorliegenden Studie konnten wir eine erhöhte Inzidenz von männlichem Genitalkrebs (einschließlich Penis-, Prostata- und Hodenkrebs), Hautkrebs einschließlich malignem Melanom der Haut sowie Brustkrebs bei Patienten mit NAFLD zeigen. In einer kürzlich durchgeführten Analyse einer bevölkerungsbezogenen italienischen Kohorte mit 23 358 Patienten mit Diabetes und 383 799 Patienten ohne Diabetes, ohne Berücksichtigung weiterer Komorbiditäten, betrug die Gesamtinzidenzrate für Krebs bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 1,22 [1,15; 1,29] und war damit im Vergleich zu Patienten ohne Diabetes signifikant höher (16). Eine Metaanalyse zum Zusammenhang zwischen Diabetes und Krebsrisiko umfasste 121 Kohortenstudien und ergab ein gepooltes angepasstes relatives Risiko für alle Tumorentitäten von 1,27 [1,21; 1,32] bei Frauen und 1,19 [1,13; 1,25] bei Männern (17). Interessanterweise hatten Frauen mit Diabetes ein um etwa 6 % höheres Risiko als Männer mit Diabetes (17). In der vorliegenden Studie erfolgte kein explizites Matching für Diabetes. Jedoch zeigte sich nach Kontrolle des CCI eine unabhängige Assoziation zwischen Haut-, Brust- und Genitalkrebs und NAFLD.
Ein beachtliches Ergebnis der aktuellen Analyse ist das Fehlen eines erhöhten Risikos für maligne Lebererkrankungen. In der NAFLD-Kohorte entwickelten 24 Patienten Leberkrebs im Vergleich zu 11 Patienten in der Nicht-NAFLD-Kohorte (Tabelle 2). Dies entspricht einer kumulativen Inzidenz von 0,19 % gegenüber 0,12 % unter Verwendung der Kaplan-Meier-Methode ohne signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen (eGrafik).
In einer koreanischen Analyse, die Patienten mit nichtzirrhotischer NAFLD untersuchte, wurde eine 15-fach höhere Inzidenz von hepatozellulärem Karzinom, eine 2-fach höhere Inzidenz von Darmkrebs bei Männern und eine 1,9-fach höhere Inzidenz von Brustkrebs bei Frauen beobachtet (18). Während das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, in unserer Studie mit der koreanischen Studie vergleichbar ist, konnten die Ergebnisse für das hepatozelluläre Karzinom und Darmkrebs in der aktuellen Analyse nicht bestätigt werden. Eine mögliche Erklärung könnten die Unterschiede der Studienpopulationen sowie das stringente Matching für Komorbiditäten in unserer Studie sein. Zudem ist es wahrscheinlich, dass Unterschiede in der Intensität des Screenings auf Leberkrebs vorliegen, da im Vergleich zur koreanischen Studie, mit Rekrutierung der Patienten in einem Krankenhaus der Maximalversorgung, die aktuelle Kohorte aus Daten der Grundversorgung rekrutiert wurde.
Weltweit liegt die Inzidenz von hepatozellulären Karzinomen bei NAFLD-Patienten bei 0,44 pro 1 000 Personenjahre (19) und bei NASH bei 5,29 pro 1 000 Personenjahre (1) und damit im Vergleich zur chronischen Hepatitis B (1) signifikant niedriger. Das Stadium der Lebererkrankung beeinflusst sowohl die Inzidenz für das hepatozelluläre Karzinom als auch für das cholangiozelluläre Karzinom. Im Vergleich zu Personen ohne Lebererkrankung haben NAFLD-Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung – definiert als histologische Fibrosestadien F3 oder F4 – ein 7-fach erhöhtes Risiko, ein hepatozelluläres Karzinom zu entwickeln (9). In der aktuellen Studienkohorte waren jedoch keine Daten zum Stadium der Fibrose verfügbar.
Ein weiterer Unterschied zur Literatur besteht darin, dass unsere Studie die beschriebene erhöhte Inzidenz von Darmkrebs nicht reproduzieren konnte (20). Dies kann wiederum auf den höheren Grad der Übereinstimmung für Komorbiditäten in unserer Studie zurückzuführen sein. Publizierte Daten geben die jährliche altersstandardisierte Inzidenzrate für den fortgeschrittenen Darmkrebs mit 21,5 bei Männern und 14,9 bei Frauen pro 100 000 in Deutschland für das Jahr 2014 an (21). Darüber hinaus sind in der Disease-Analyzer-Datenbank keine Daten zum Lebensstil der Patienten verfügbar, sodass eine Exposition gegenüber Faktoren in der Karzinogenese wie zum Beispiel Tabakkonsum nicht nachvollzogen werden kann. Da sich Atemwegserkrankungen zwischen den beiden Gruppen jedoch nicht unterschieden, ist anzunehmen, dass kein wesentlicher Unterschied im Hinblick auf den Tabakkonsum in den untersuchten Gruppen bestand.
NAFLD wird häufig bei Patienten mit Diabetes diagnostiziert und es gibt eine große Überlappung zwischen diesen beiden Populationen. In der aktuellen Analyse wurden die mittels CCI erfassten Komorbiditäten in den Gruppen abgeglichen, wodurch eine spezifische Betrachtung des Einflusses der NAFLD möglich war.
Die Codierung für Adipositas in der Disease-Analyzer-Datenbank war niedrig, wodurch es zu einer Unterschätzung der Prävalenz kam, die in der Literatur mit 23–35 % angegeben wird (22). Eine mögliche Erklärung hierfür ist das Fehlen eines erstattungsrelevanten Codes in der Grundversorgung und die fehlende Definition als eigenständige Krankheit (23). Dennoch stellt die viszerale Adipositas einen anerkannten Risikofaktor für die Entwicklung verschiedener Krebsarten dar, und es liegen zahlreiche Daten zum Zusammenhang mit NAFLD und Krebs vor (20). Eine kürzlich durchgeführte Studie konnte zeigen, dass die NAFLD und nicht die Adipositas an sich mit einem höheren Krebsrisiko verbunden ist. Die Autoren folgerten, dass NAFLD bei Adipositas-assoziiertem Krebs einen kritischen Faktor darstellt (6).
Die vorliegende Analyse weist Limitationen auf, die dem Charakter einer Datenbank mit Diagnosen basierend auf ICD-10-Codes zuzuschreiben sind. Hierdurch sind Fehlklassifizierungen im Zusammenhang mit Fehlcodierungen oder unzureichender Codierung möglich. Die NAFLD stellt eine asymptomatische Erkrankung dar, weshalb das Risiko einer fehlenden Diagnosestellung und damit einer Nicht-Codierung besteht. Darüber hinaus ist eine klare Unterscheidung zwischen überwiegend alkoholischer und nichtalkoholischer Lebererkrankung schwierig, und es kann zu Überschneidungen kommen. Daher unterscheidet sich die hier untersuchte Kohorte der Grundversorgung wahrscheinlich von Kohorten, in denen eine Leberbiopsie zur Definition des Krankheitsstadiums und der Krankheitsaktivität verwendet wurde (24). Die Daten der aktuellen Analyse aus der Grundversorgung zeigen jedoch, dass die NAFLD-Population ein leicht erhöhtes Krebsrisiko aufweist. Darüber hinaus erfasst die Disease-Analyzer-Datenbank keine detaillierten Labordaten. Daher fehlen Informationen zur Schwere der Erkrankung und insbesondere zu Fibrosestadien. Folglich können wir keine Aussage bezüglich eines möglichen Zusammenhangs zwischen fortgeschrittener Lebererkrankung und der Inzidenz von Krebs machen.
Da der retrospektive, beobachtende Charakter der Analyse eine potenzielle Verzerrung mit sich bringt, sind prospektive Register erforderlich, um die aktuellen Ergebnisse zu validieren. Letztlich ist die Disease-Analyzer-Datenbank, welche kürzlich validiert wurde, eine ambulante Datenbank (14). Dadurch kann es zu einer systematischen Unterschätzung von Krebspatienten kommen, die sich in einem späten Stadium befinden und das Krankenhaus nach der Diagnose nicht mehr verlassen. Auf der anderen Seite ist dies die größte Population, die im Zusammenhang mit der Inzidenz des Krebsrisikos bei NAFLD in Deutschland analysiert wurde, und bietet daher eine nützliche Orientierungshilfe zur Bestimmung von Best-Practice-Mustern für Patienten mit NAFLD (zum Beispiel intensive Beratung von NAFLD-Patienten, an Krebsvorsorgeprogrammen teilzunehmen). Die Diagnose einer Krebserkrankung stellt in der Anamnese eine zentrale Rolle dar, sodass davon auszugehen ist, dass deren Codierung exakt durchgeführt wurde.
Zusammenfassend trägt die NAFLD zu einem kleinen Anstieg des Risikos für Brustkrebs bei Frauen, Genitalkrebs bei Männern und Hautkrebs unabhängig vom Geschlecht in einer großen Grundversorgungspopulation in Deutschland bei, nachdem Komorbiditäten kontrolliert wurden.
Interessenkonflikt
PD Wörns wurde für Beratertätigkeiten honoriert von Abbvie, BMS, Bayer, Ipsen, Roche und Eisai. Teilnahmegebühren für Kongresse oder eine Fortbildungsveranstaltung wurden ihm erstattet von Abbvie, BMS, Bayer, Gilead Sciences und Ipsen. Er wurde für die Vorbereitung von Fortbildungsveranstaltungen honoriert von Abbvie, BMS, Bayer, Gilead, Sciences Ipsen und MSD.
Prof. Galle wurde für Beratertätigkeiten honoriert von Bayer, BMS, MSD, Lilly Roche, Astra Zeneca, Sirtex und Ipsen. Er erhielt Honorare für die Durchführung von klinischen Studien von Intercept, Gilead, Novartis, Galmed, Madrigal, Celgene, Enanta, NGMbio, Allergan, AbbVie, BMS, Dr. Falk Pharma, Sanofi, Pilantes, Genfi, Intercept, Inventiva, Novo Nordisk, Jansen Easthorn, Cyamabay, Tobira Therapeutics, Böhringer Ingelheim, Roche und Takeda.
Prof. Schattenberg wurde für Beratertätigkeiten honoriert von BMS, Echosens, Genfit, Gilead Sciences, Intercept Pharmaceuticals, Madrigal, Novartis, Pfizer und Roche. Erstattung für Teilnahmegebühren für Kongresse sowie Reise- und Übernachtungskosten wurden ihm zuteil von Gilead Sciences.
Dr. Labenz erhielt Publikationshonorare von Norgine und Nordmark. Teilnahmegebühren für Kongresse sowie Reise- und Übernachtungskosten wurdem ihm erstattet von Merz. Er erhielt Research Grants von Merz und Norgine.
Prof. Kostev ist beschäftigt bei IQVIA.
Die übrigen Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 18. 12. 2019, revidierte Fassung angenommen: 27. 5. 2020
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Jörn M. Schattenberg
Schwerpunkt Metabolische Lebererkrankungen
I. Medizinische Klinik, Universitätsmedizin Mainz
Johannes Gutenberg-Universität
Langenbeckstrasse 1
55131 Mainz
joern.schattenberg@unimedizin-mainz.de
Zitierweise
Huber Y, Labenz C, Michel M, Wörns M-A, Galle PR, Kostev K, Schattenberg JM: Tumor incidence in patients with non-alcoholic fatty liver disease. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 719–24.
DOI: 10.3238/arztebl.2020.0719
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial
eMethodenteil, eGrafik, eTabelle:
www.aerzteblatt.de/20m0719 oder über QR-Code
PD Dr. med. Marcus-A. Wörns, Prof. Dr. med. Peter R. Galle
Schwerpunkt Metabolische Lebererkrankungen, I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsmedizin Mainz: Dr. med. Yvonne Huber, Dr. med. Christian Labenz, Maurice Michel, Prof. Dr. med. Jörn M. Schattenberg
Epidemiologie, IQVIA, Frankfurt: Prof. Dr. rer. med. Karel Kostev
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