ArchivDeutsches Ärzteblatt44/2020Metastasiertes Urothelkarzinom: Therapiekonzepte im Wandel

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Metastasiertes Urothelkarzinom: Therapiekonzepte im Wandel

Krampe-Scheidler, Anne

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Checkpoint-Inhibitoren stellen für Patienten mit metastasiertem Urothelkarzinom, für die Cisplatin in der Zweitlinie nicht infrage kommt, eine wirksame Alternative dar. Aber auch Kombinationen aus Chemotherapie und Immuntherapie könnten künftig eine neue Option darstellen.

Erst im März dieses Jahres wurde die aktualisierte S3-Leitlinie Harnblasenkarzinom publiziert. Vor allem die Zulassung von Immuntherapien mit Checkpoint-Inhibitoren hatte ein Update erforderlich gemacht. Ein halbes Jahr später zeigt sich, dass demnächst möglicherweise eine erneute Anpassung ansteht. Der Grund sind aktuelle Daten vom ESMO Virtual Congress 2020 zu einer Kombinationstherapie aus Immun- und Chemotherapie in der Erstlinienbehandlung des metastasierten Uro-thelkarzinoms.

PD Dr. med. Günter Niegisch von der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Düsseldorf konstatierte, dass sich die Therapie des metastasierten Urothelkarzinoms in den letzten Jahren wesentlich geändert habe. Chemotherapien sind in der Zweitlinie mittlerweile komplett von Checkpoint-Inhibitoren verdrängt worden. In der Erstlinie bleibt die Unterscheidung der Patienten hinsichtlich ihrer Eignung für eine Cisplatin-basierte Therapie bestehen. Diese hängt unter anderem vom Allgemeinzustand, der Nierenfunktion und Begleiterkrankungen ab.

Cisplatin-Eignung entscheidend

„Wir sollten uns die Entscheidung, ob ein Patient Cisplatin-fit oder -unfit ist, nicht zu leicht machen“, betonte Niegisch. So sei es bei einer mäßig eingeschränkten Nierenfunktion beispielsweise möglich, die Cisplatin-Dosen aufzuteilen. Für Patienten, die nicht für Cisplatin infrage kommen, stehen mit Atezolizumab (Tecentriq®, Roche) und Pembrolizumab wirksame Alternativen zur Verfügung. Beide Substanzen erfordern standardmäßig eine PD-L1-Testung, wobei unterschiedliche Scores und Grenzwerte angewendet werden: Für Atezolizumab gilt ein IC (Immune Cells; PD-L1-Expression auf tumor-infiltrierenden Immunzellen) ≥ 5 % als PD-L1-positiv, für Pembrolizumab ein kombinierter Positivitäts-Score (CPS) ≥ 10.

„Bei positivem Ergebnis ist ein Checkpoint-Inhibitor die Therapie der Wahl“, erläuterte Niegisch. Beide Substanzen wurden auf Basis einarmiger Phase-II-Studien zugelassen. Das erreichte mediane Gesamtüberleben (mOS) betrug bei PD-L1-positiven Patienten unter Atezolizumab 19,1 und unter Pembrolizumab 18,5 Monate.

In der Zweitlinie sind unabhängig vom PD-L1-Status Pembrolizumab, Atezolizumab und Nivolumab als Standard etabliert, wobei nur Pembrolizumab vs. Chemotherapie in einer Phase-III-Studie untersucht wurde. Daten aus der klinischen Praxis weisen allerdings darauf hin, dass Checkpoint-Inhibitoren generell noch zu wenig eingesetzt werden. „Das größte Problem ist, dass nur ein Drittel der Patienten überhaupt eine zweite Therapielinie erreicht“, betonte Niegisch.

Wie rasant die Entwicklung beim metastasierten Urothelkarzinom ist, zeigen mittlerweile bereits publizierte Daten vom ESMO-Kongress, die Prof. Dr. med. Margitta Retz vom Universitätsklinikum rechts der Isar, München, vorstellte. In der Phase-III-Studie IMvigor130 verlängerte sich durch die Kombination von Atezolizumab mit Platin/Gemcitabin das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) signifikant von 6,3 auf 8,2 Monate (HR 0,82 [95-%-KI 0,70–0,96]; p = 0,007). Beim Gesamtüberleben (OS) war die Interimsgrenze des p-Werts für eine statistische Signifikanz von 0,007 noch nicht erreicht (16 vs. 13,4 Monate; HR 0,83 [95-%-KI 0,69–1,00]; p = 0,027) (2). Besonders stark profitierten Patienten, deren Chemotherapie Cisplatin enthielt (mOS 21,7 vs. 13,4 Monate). Dies seien „starke Daten“, betonte Retz.

Toxizität und Lebensqualität

Hinsichtlich der Raten an Toxizitäten vom Grad 3–4 zeigten sich kaum Unterschiede zwischen den beiden Therapiearmen. Unter der Kombinationstherapie mit Checkpoint-Inhibitor wurden häufiger Hautausschlag (30 % vs. 19 %), Leberwerterhöhungen (18 % vs. 13 %) und endokrine Störungen beobachtet. Die Lebensqualität blieb bis zum Eintritt von Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen, Schlaflosigkeit oder Dyspnoe unter der Kombination ähnlich lang erhalten wie unter der alleinigen Chemotherapie.

Auf Grundlage dieser Daten zeichne sich ab, dass in Zukunft Cisplatin-haltige Kombinationen – entweder mit Gemcitabin oder mit Atezolizumab – in der Erstlinie gleichwertige Standards darstellen werden, schlussfolgerte Retz. Allerdings fehlen momentan noch die Langzeitdaten zum Gesamtüberleben und die Zulassung der Immuntherapie-Kombination.

Auch in der Zweitlinie schreitet die Entwicklung beim metastasierten Urothelkarzinoms voran. Hier befinden sich vielversprechende neue Substanzen wie Erdafitinib oder Enfortumab Vedotin in der klinischen Prüfung. Anne Krampe-Scheidler

Quelle: Digitales Symposium Best-of DGU 2020 „Neue Therapiestandards des Urothelkarzinoms – Einblick und Ausblick“, 26. September 2020; Veranstalter: Roche Pharma

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