ArchivDeutsches Ärzteblatt45/2020Atraumatische atlantoaxiale Subluxation – Das Grisel-Syndrom
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Ein 5-jähriges Mädchen erhielt eine Parotidektomie bei einer zystisch formierten, atypischen Infektion mit Mykobakterien (Mycobacterium malmoense). Am zweiten postoperativen Tag entwickelte das ansonsten gesunde Mädchen trotz Orthesentherapie einen progredienten Schiefhals, zu dessen Behandlung sie sich vorstellte. Klinisch ließ sich zwar die Seitneigung des Kopfes passiv und aktiv verbessern, die Fehlrotation jedoch nicht. Eine elektrophysiologische Untersuchung war unauffällig. Bei suspekter auswärtiger Kernspintomografie mit zervikaler Myelonschwellung wurde eine Computertomografie mit 3-D-Rekonstruktion angefertigt, die eine atlantoaxiale Subluxation zeigte. Die Befundkombination führte zur Diagnose eines Grisel-Syndroms. Die in diesem Fall erfolgreiche Behandlung wurde typengerecht (Typ 3 nach Fielding und Hawkins) durch mehrwöchige Halo-Traktion mit anschließender Halo-Weste vorgenommen. Begleitend erhielt die Patientin eine antibiogrammgerechte Dreifachtherapie zur Behandlung der atypischen Mykobakterieninfektion. Die seltene atraumatische atlantoaxiale Subluxation betrifft typischerweise Kinder nach Atemwegsinfektion oder Operation von Augen, Nase oder Hals. Weitere Assoziationen zu hereditären Erkrankungen, Chromosomenaberrationen (Trisomie 21) oder Autoimmunerkrankungen sind beschrieben. Selbstlimitierende und operationspflichtige Verläufe sind bekannt. Die atraumatische atlantoaxiale Subluxation ist eine wichtige Differenzialdiagnose bei unklarem Schiefhals.

Dr. med. Martin Schwarze, Dr. med. Stefan Hemmer, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Zentrum für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie,
Universitätsklinikum Heidelberg, martin.schwarze@med.uni-heidelberg.de

Prof. Dr. med. Michael Akbar, Clinic für Wirbelsäulenerkrankungen und -Therapien, MEOCLINIC GmbH

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Zitierweise: Schwarze M, Hemmer S, Akbar M: Atraumatic atlantoaxial subluxation—Grisel syndrome. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 773. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0773

►Vergrößerte Abbildung und englische Übersetzung unter: www.aerzteblatt.de

  • Frühzeitige Diagnose wichtig
    Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 227; DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0122
    Ruf, Michael
  • Schlusswort
    Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 227; DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0123
    Schwarze, Martin; Hemmer, Stefan; Akbar, Michael

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.
Avatar #592134
GroshevaM
am Samstag, 14. November 2020, 09:05

Wertvoller Schnappschuss

Sehr geehrte Autoren,
Vielen Dank für Ihren wertvollen klinischen Beitrag.
Jedes Kind vor einer Adenotomie wird durch HNO-Fachärzte über das Risiko eines Grisel-Syndroms aufgeklärt, ohne dass ein*e HNO-Arzt*in die Klinik des Syndroms je in ihrer / seiner Karriere gesehen hat. Der häufigste Risikoeingriff ist nach dem zuletzt publizierten Review von Al-Driweesh et al. tatsächlich die Adenotonsillektomie. (1)
Interessant ist jedoch das klinische Erscheinungsbild des Syndrom mit einem Schiefhals, weil hier zwei ganz andere sehr häufige Differentialdiagnosen in Erscheinung treten. Aus HNO-ärztlicher Sicht sollen vor allem ein Halsabszess und ein Bezold-Abszess als eine Komplikation einer Mastoiditis oder einer akuten Otitis media ausgeschlossen werden.

Maria Grosheva (Köln)

1. Al-Driweesh T, Altheyab F, Alenezi M, Alanazy S, Aldrees T. Grisel's syndrome post otolaryngology procedures: A systematic review. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2020 Oct;137:110225. doi: 10.1016/j.ijporl.2020.110225. Epub 2020 Jun 27. PMID: 32658805.
  • Ruf, Michael
    Deutsches Ärzteblatt international, 2021
    10.3238/arztebl.m2021.0122
  • Schwarze, Martin; Hemmer, Stefan; Akbar, Michael
    Deutsches Ärzteblatt international, 2021
    10.3238/arztebl.m2021.0123

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote