POLITIK
World Health Summit: Kooperation ist die einzige Chance
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Der diesjährige digitale World Health Summit stand ganz im Zeichen der Coronapandemie: Betont wurde die Notwendigkeit internationaler Kooperation bei der Erforschung des Virus, aber auch das Zusammenhalten der Staatengemeinschaft bei der gerechten Verteilung eines Impfstoffes.
Während am verwaisten Tagungsort im Berliner Stadtteil Friedrichshain Coronaskeptiker demonstrierten, schalteten sich weltweit Wissenschaftler und Gesundheitsexperten online zusammen, um über die weitere Bekämpfung der Coronapandemie zu diskutieren. Große Hoffnungen ruhen dabei auf den Impfstoffen gegen SARS-CoV-2, die sich derzeit in der Entwicklung befinden. Einheitlich wurde deshalb in der Eröffnungsveranstaltung appelliert, gemeinsam an einem Impfstoff zu arbeiten und ihn dann weltweit gerecht aufzuteilen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte in seiner Eröffnung vor einem „Impfstoff-Nationalismus“ und forderte die US-amerikanische und die chinesische Regierung auf, sich an der COVAX-Initiative zu beteiligen und einzubringen.
Kongressgründer und Organisator Prof. Dr. med. Detlev Ganten sprach sich für eine bessere Aufklärung der Bevölkerung aus. Wissen sei ebenfalls eine wichtige „Impfung gegen die Pandemie“, denn falsche Informationen verbreiteten sich schnell. Doch gerade das Wissen über das Virus sei derzeit wichtig, um bessere Präventionsmaßnahmen für die Bevölkerung ergreifen zu können.
Bedrohung für alle Staaten
Für UN-Generalsekretär António Guterres sind die mangelnde Vorbereitung und Prävention in allen Gesellschaften ein Teil der aktuellen globalen Krise. Auch für den Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, stellt die Pandemie für jeden Staat die gleiche Bedrohung dar, selbst wenn es Unterschiede in den Gesundheitssystemen gebe. Für ihn ist klar, dass Prävention, Hygiene und Schutz der Mitarbeitenden im Gesundheitswesen auch in den kommenden Monaten die wichtigsten Bausteine zur Bekämpfung der Pandemie sein werden. „Wir sind weltweit an einem gefährlichen Punkt“, so der WHO-Chef.
Auch für die Europäische Union (EU) ist die Pandemie eine große Herausforderung – gerade auch bei der Beschaffung von Schutzausrüstung, Material und Medikamenten. Um diese besser organisieren zu können, habe die EU mittlerweile Distributionswege übernommen, berichtete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Es muss eine globale Kooperation für die Gesundheit geben, keinen globalen Wettbewerb“, ergänzte sie.
Dass der diesjährige World Health Summit überhaupt stattfinden konnte, ist allein den heute zur Verfügung stehenden digitalen Möglichkeiten zu verdanken. Dass auch die Gesundheitssysteme von einer Digitalisierung profitieren, war schon lange vor COVID-19 Thema bei diversen früheren World Health Summits und anderen Gesundheitskongressen gewesen.
Doch obwohl sich Gesundheitsexperten aus aller Welt stets einig über die Vorteile einer stärkeren digitalen Vernetzung für die globale Gesundheit gewesen waren, folgten darauf kaum konkrete Maßnahmen. Das habe sich unter dem Eindruck der Pandemie drastisch geändert, erklärte die für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides in einer Diskussionsrunde darüber, wie digitale Zusammenarbeit Gesundheit für alle erreichbar werden lässt.
Die Zahl der Videosprechstunden sei sprunghaft angestiegen und vielerorts überhaupt erst möglich gemacht worden, so Kyriakides, die als eine von acht Expertinnen an der Runde teilnahm. Telemedizinische Anwendungen seien vermehrt genutzt, Forschungsdaten weltweit geteilt, Corona-Tracing-Apps in Rekordzeit entwickelt und mittlerweile unter anderem von Deutschland auch grenzüberschreitend nutzbar gemacht worden. „COVID-19 hat uns gezwungen, zu überdenken, wie wir leben. Wir sollten diese Herausforderung annehmen“, sagte sie.
Noch verlaufe die Digitalisierung des Gesundheitssektors jedoch fragmentiert und unkoordiniert, kritisierte Bernardo Mariano Jr., Direktor der Abteilung Digitale Gesundheit und Innovation der WHO. Und: Nicht alle Länder hätten die entsprechenden Ressourcen, um die digitale Infrastruktur entsprechend auszubauen. Viele Entwicklungsländer würden bereits Milliarden investieren, allerdings nicht immer zielführend. „Wir müssen solche Investitionen weltweit besser koordinieren, um alle positiven Aspekte der Digitalisierung ausschöpfen zu können“, so Mariano.
Pandemien schneller erkennen
Ein zukunftsweisendes Digitalisierungsprojekt stellte Dr. Rajiv Shah, Präsident der Rockefeller-Stiftung in New York, vor. In der SARS-CoV-2-Pandemie habe es vor allem an Daten gefehlt, um die bereits vorhandenen digitalen Instrumente auch nutzen zu können. Die Stiftung arbeite nun an einem System, das in der Lage sei, Diagnosedaten aus privaten und öffentlichen Datenbanken zu erfassen und so zusammenzuführen, dass es Muster frühzeitig erkennen und warnen könne, etwa wenn eine Viruserkrankung drohe, sich zu einer neuen Pandemie zu entwickeln.
Die leitende Wissenschaftlerin der WHO, Dr. Soumya Swaminathan, warnte allerdings vor zu viel Vertrauen in die Möglichkeiten der Digitalisierung: „Nicht alles Digitale wird den Gesundheitssektor zwangsläufig verbessern, wir müssen im Auge behalten, was wir wollen.“ Das Motto der WHO, niemanden zurückzulassen, müsse auch bei der Digitalisierung gelten. Lobend erwähnte die aus Indien stammende Kinder- und Jugendmedizinerin an dieser Stelle die EU, die in der Pandemie eine Vorreiterrolle beim Teilen von Daten und bei der internationalen Zusammenarbeit eingenommen habe.
Starke Rolle der EU
Dass die EU an diesem Vorgehen auch künftig festhalten will, bestätigte Sabine Weiss (CDU), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium. Sie vertrat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der kurz vor dem Kongress an COVID-19 erkrankt war. „Die Pandemie hat die globale Gesundheit in den Vordergrund gerückt und die EU will ihre führende Rolle in diesem Zusammenhang ausbauen“, so Weiss. Dabei betonte sie die wichtige Rolle der WHO, die als weltweiter Koordinator eine unverzichtbare Rolle spiele. Auch WHO-Kabinettschef Dr. med. Bernhard Schwartländer bekräftigte die Rolle der EU: Sie habe sich als einer der verlässlichsten Partner in der Krise erwiesen und wichtige Meilensteine wie den Access to COVID-19 Tools (ACT) Accelerator mit auf den Weg gebracht. Das Projekt soll Impfungen, Medikamente und Diagnoseinstrumente im Rahmen von COVID-19 weltweit zugänglich machen.
Der aus New York zugeschaltete Public-Health-Experte Dr. Tom Frieden bekräftigte, was Bundespräsident Steinmeier bereits bei der Eröffnungsveranstaltung hervorgehoben hatte: „Ein Impfstoff-Nationalismus kann nur nach hinten losgehen.“ Nur eine globale Antwort auf das Virus könne zu einer globalen Erholung führen, betonte der ehemalige Direktor der US Centers for Disease Control an Prevention (CDC) und heutiger Präsident der Initiative „Resolve to Save Lives“.
WHO soll stärker werden
Die WHO sei in diesem Zusammenhang essenziell und notwendig, „auch wenn sie Fehler gemacht hat“, wie Frieden einräumte. Sie habe China berechtigterweise für seine intensiven Eindämmnungsmaßnahmen ab Ende Januar gelobt, habe sich aber zu dem schwerwiegenden Problemen bei der frühzeitigen Antwort ausgeschwiegen. Insgesamt sei die Leistung der WHO in der Pandemie aber gut gewesen. Frieden kritisierte, dass die von der WHO schon frühzeitig ausgesprochenen Warnungen nicht beachtet worden seien. „Die Welt braucht die WHO, und sie muss noch stärker werden“, betonte er.
Dieser Meinung sind offenbar auch die EU-Gesundheitsminister. Sie gaben unabhängig vom World Health Summit bekannt, dass die EU die Kooperation mit der WHO künftig intensivieren will. Man strebe eine Reform der Weltgesundheitsorganisation an, erklärte Jens Spahn, der das Treffen der EU-Minister aus der Quarantäne leitete.
Die WHO soll demnach effektiver und transparenter werden, auch die finanzielle Ausstattung soll sich verbessern. Die aktuelle und vergangene Pandemien hätten gezeigt, dass die Anforderungen der globalen Gesundheit die Kapazitäten der WHO derzeit überstiegen, heißt es in einem ersten gemeinsamen Positionspapier der 27 EU-Mitglieder. Die EU wolle dies als treibende Kraft verändern und suche dafür nach Partnern etwa unter den G7 und den G20, erklärte Spahn.
Rebecca Beerheide, Nadine Eckert,
Alina Reichardt