EDITORIAL
Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt: Notwendiger Kraftakt


Die erschütternden Fälle von vielfacher sexualisierter Gewalt an Kindern zuletzt in Münster, Bergisch Gladbach, Lüdge und Staufen führen vor Augen, welch immenser gesamtgesellschaftlicher Anstrengungen es noch bedarf, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Die große Koalition plant nun immerhin mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder (19/23707) deutliche Verschärfungen des Strafrechts. Ob bloße Strafandrohungen genügen, um Täter abzuschrecken, ist jedoch die Frage. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Missbrauchs, Johannes Wilhelm Rörig, hat diese Frage vor Kurzem bei der Vorstellung seines Positionspapiers mit Nein beantwortet. Ebenso wie die Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen, die parallel zu dem Gesetzentwurf einen Antrag (19/23676) vorgelegt haben, der weitergehende Forderungen enthält.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der am 30. Oktober in erster Lesung im Bundestag beraten wurde, sieht unter anderem Folgendes vor: Künftig soll als Straftatbestand nicht mehr von „sexuellem Missbrauch“ gesprochen werden, sondern von „sexualisierter Gewalt“. Diese Begriffsklärung geht auf Forderungen der Betroffenen zurück. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder soll künftig bereits im Grundtatbestand als Verbrechen geahndet werden. Auch wer Videos und Fotos verbreitet oder besitzt, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder zeigen, macht sich künftig eines Verbrechens schuldig. Das Inverkehrbringen und der Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild soll künftig unter Strafe gestellt werden. Die Strafverfolgungsbehörden erhalten weitergehende Ermittlungsbefugnisse, wozu Anpassungen der Straftatenkataloge der Telekommunikationsüberwachung, der Onlinedurchsuchung sowie bei der Erhebung von Verkehrsdaten gehören. Für Fälle schwerer sexualisierter Gewalt soll darüber hinaus die Anordnung der Untersuchungshaft erleichtert werden sowie in der Strafprozessordnung ein Beschleunigungsgebot in Strafverfahren mit minderjährigen Opferzeugen ausdrücklich verankert werden. Für den besseren Schutz soll auch die Frist für Eintragungen geringfügiger Verurteilungen wegen besonders kinder- und jugendschutzrelevanter Straftaten in erweiterte Führungszeugnisse erheblich verlängert werden. Schließlich schlägt der Entwurf spezifische Qualifikationsanforderungen an Familienrichter sowie Jugendrichter und -staatsanwälte vor.
All diese Gesetzesänderungen sind wichtig und doch muss der Schutz vor sexualisierter Gewalt auch in Bezug auf Prävention und Intervention gesetzlich verankert werden. Es braucht verbindliche Schutzkonzepte in allen Einrichtungen, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten, auch in Praxen und Kliniken. Spezialisierte Fachberatungsstellen sollten flächendeckend ausgebaut werden. Das Land braucht mehr Traumaambulanzen und mehr traumaspezifische psychotherapeutische Angebote insbesondere für Kinder und Jugendliche. Das Thema Kinderschutz sollte verstärkt auch in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung verankert werden. Es braucht mehr Personal in den Jugendämtern. Und, und, und ... Es ist ein Kraftakt, alles Notwendige zu etablieren, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Sie sollten es uns wert sein.
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