ArchivDeutsches Ärzteblatt47/2020Digitalisierung: Umdenken bei Datenstrukturen

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Digitalisierung: Umdenken bei Datenstrukturen

Beerheide, Rebecca; Reichhard, Alina

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Die derzeit laufende Einführung von Konnektoren ist in Praxen und Kliniken sowie in der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen oftmals ein Ärgernis. Wenige Wochen vor Start der elektronischen Patientenakte gibt es nun Pläne, die Datensystematik grundsätzlich neu zu organisieren.

Auf einen – sicheren – Klick sollen künftig Daten zusammengefügt und abgerufen werden können. Foto: ipopba/iStock
Auf einen – sicheren – Klick sollen künftig Daten zusammengefügt und abgerufen werden können. Foto: ipopba/iStock

Kurz vor dem Start mehrer Anwendungen im deutschen digitalen Gesundheitsnetzwerk gibt es bereits Überlegungen, wie man den bisherigen Zugang zur Datenautobahn, der Telematikinfrastruktur (TI), verbessert und auf den heutigen technologischen Stand bringt. Auf einer digitalen Konferenz des Handelsblattes Mitte November stellte der Chef der zuständigen gematik, Dr. med. Markus Leyck Dieken, seinen neuen Sechs-Punkte-Plan für die Zukunft der TI vor: Da die Idee des Zugangs zur digitalen Autobahn des Gesundheitswesens auf den Architekturüberlegungen von vor 20 Jahren beruht, können diese den heutigen Standards der Datenverarbeitung nicht mehr nachkommen. Die möglichen Veränderungen, die Arztpraxen und Kliniken in Zukunft einige Erleichterungen bringen könnten, bedeuten aber auch deutliche Veränderungen: So sollen die bisherigen Chipkarten wie beispielsweise der elektronische Heilberufeausweis (eHbA) sowie der Konnektor in den kommenden Jahren durch ein „föderiertes Identitätsmanagement“ ersetzt werden. Damit gibt es eine persönliche Identifikationsnummer, die für mehrere Digitalsysteme genutzt werden kann. Leyck Dieken erklärte, dass er plane, bis 2023 die föderierten IDs einzuführen. Damit würden Chipkarten und Konnektor obsolet. Bislang allerdings hatte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gefordert, dass der Zugang zum digitalen Austausch von Daten im Gesundheitswesen nur über einen Konnektor als physische Box stattfinden könne. Ideen, dass es virtuelle Boxen geben soll, gibt es schon länger – wurden aber wegen Sicherheitsbedenken bisher vom BSI abgelehnt.

Zentrale Datenhaltung

Außerdem will Leyck Dieken eine „universelle Erreichbarkeit“ für die digitalen Gesundheitsdienste erreichen, mit der ebenfalls die Funktion des Konnektors als Box zum Zugang zur TI nicht mehr benötigt wird. Mit einer „modernen Sicherheitsstruktur“ soll es künftig möglich sein, dass viel mehr Dienste und Anbieter sich mit ihren Produkten in der TI bewegen können.

Neu bei der gematik ist auch die Idee der dezentralen „Datenhaltung“: Dabei sollen die immer größer werdenden Datenmengen nicht mehr zentral auf Servern der TI zur Verfügung gestellt werden, sondern an unterschiedlichen Speicherorten. Das garantiere mehr Sicherheit beispielsweise bei Genomdaten, so Leyck Dieken. Auch bei den immer größer werdenden Datenmengen wie OP-Videos oder hochauflösende Röntgenbilder, die künftig vermehrt zwischen Praxen, Kliniken, aber auch Patienten über das System verschickt werden sollten, sei dies sinnvoll. Mit der momentanen zentralen Datenhaltung werde dies nicht gelingen. „Wir glauben nicht, dass wir damit langfristig zurechtkommen“, so Leyck Dieken. Die TI soll damit eher einen Schlüssel bereitstellen, damit sich mit entsprechender Zugangsberechtigung Ärztinnen und Ärzte die Daten aus verschiedenen Quellen ansehen können. Mit dieser deutlichen Ausweitung will die gematik ebenso erreichen, dass die Interoperabilität der strukturierten Daten ein höheres Niveau erreicht. Damit sollen Datenstandards für alle Anbieter gelten – aber auch bei der Datenerfassung sollen internationale Standards genutzt werden. Dies sei auch für den Datenaustausch auf europäischer Ebene wichtig, so Leyck Dieken.

Diesen Sechs-Punkte-Plan soll die Gesellschafterversammlung der gematik in den kommenden Wochen beschließen. In vielen Punkten wäre das eine Abkehr von bisherigen Überlegungen. Zu den Gesellschaftern gehören mit einer 51-prozentigen Stimmenmehrheit das Bundesgesundheitsministerium, mit 22,05 Prozent der GKV-Spitzenverband und zu 24,5 Prozent die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer: die Bundesärztekammer (BÄK), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, die Bundeszahnärztekammer, der Deutsche Apothekerverband und die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Seit März 2020 ist auch der Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) mit 2,45 Prozent der Anteile wieder ein Teil der gematik. 2012 war die PKV aus dem Gesellschafterkreis der gematik ausgestiegen.

Insgesamt aber steht die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens noch am Anfang, wie Laura Richter und Tobias Silberzahn von der Unternehmensberatung McKinsey im ersten sogenannten E-Health-Monitor aus ihrem Hause darstellen. Ein solcher Bericht solle von nun an jährlich erscheinen.

Kommunikation auf Papier

Dem aktuellen Report zufolge kommunizierten 93 Prozent der niedergelassenen Ärzte im vergangenen Jahr noch überwiegend in Papierform mit Krankenhäusern. 44 Prozent der Gesundheitseinrichtungen nutzten demnach untereinander digitale Datenübermittlung. Rund 59 Prozent der ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie Physiotherapeuten hätten ihren Patienten keinerlei administrative digitale Gesundheitsservices, wie etwa Onlineterminbuchung, angeboten.

Für ihren Bericht ließen die Autoren eine eigene Erhebung mit knapp 580 Befragten durchführen, und zogen vorangegangene Eigenanalysen und Daten aus anderen Quellen wie dem Praxisbarometer Digitalisierung 2019 der KBV oder Analysen des Digitalverbands Bitkom heran. Die Autoren zeigten sich optimistisch, dass sich schon beim nächsten Bericht Fortschritte zeigen könnten. „In den letzten Jahren gab es viele vielversprechende Gesetzentwicklungen, die werden in den nächsten Jahren Früchte tragen“, erklärte Richter. Bis dato seien aber viele Bereiche noch nicht so weit, wie sie sein könnten.

Als großes Hemmnis der Digitalisierung führen im in diesen Tagen erschienenen Praxisbarometer 2020 der KBV mehr als 80 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte die Fehleranfälligkeit der EDV-Systeme an. Ein knappes Drittel der Praxen bemängelte demnach monatlich technische Fehler der Telema-tikinfrastruktur, bei einem weiteren Drittel treten diese wöchentlich und bei nahezu jedem Zehnten täglich auf. „Die hohe Fehleranfälligkeit der TI ist alarmierend und führt zu Skepsis vor der Einführung weiterer digitaler Anwendungen“, erklärte KBV-Vorstandsmitglied Dr. rer. pol. Thomas Kriedel.

Rebecca Beerheide, Alina Reichhard

Digitalisierung im Gesundheitsdienst

Digitalisierung im Gesundheitswesen soll auch im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) schneller voranschreiten. Neben dem Pakt für den ÖGD mit insgesamt vier Milliarden Euro für den Aufbau digitaler Systeme wirbt auch das Robert Koch-Institut bei den Ämtern, die digitalen Möglichkeiten zu nutzen. Man wisse, wie schwierig die aktuellen Systeme oftmals seien. Aber die Chancen der Digitalisierung müssten mit aller Kraft genutzt werden. Damit werde Arbeitszeit für die „Kernfragen“ frei. Auf einer virtuellen Veranstaltung warb auch der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dafür, die neuen digitalen Anwendungen in den rund 400 Ämtern einzusetzen und damit für eine Entlastung zu sorgen. So wurde das digitale Symptomtagebuch der Firma Climedo Health vorgestellt, das in den vergangenen Monaten in 20 Gesundheitsämtern in acht Bundesländern getestet wurde. Mit der Webanwendung können, so Firmengründer Sascha Ritz, bis zu 400 Quarantänen von einem ÖGD-Mitarbeiter gleichzeitig betreut werden. Für die Gesundheitsämter übernehme das Bundesgesundheitsministerium bis Ende 2021 die Lizenzkosten, versicherte Spahn. Das Symptomtagebuch kann in die neue Kontaktmanagementanwendung SORMAS integriert werden: In diesem Programm, das am Zentrum für Infektionsforschung am Helmholzzentrum in Braunschweig entwickelt wurde, soll die Verfolgung von Kontaktpersonen besser gelingen, ebenso kann ein örtliches Netzwerkdiagramm von Krankheiten dargestellt werden.

Auch bei der bundesweiten Datenbank DEMIS geht es offenbar voran: Nachdem der Aufbau seit zehn Jahren nicht zügig vorangeht, seien inzwischen über 90 Prozent der Ämter sowie 200 Labore angeschlossen. bee

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