ArchivDeutsches Ärzteblatt47/2020Coronastrategie: Den Lockdown nutzen

SEITE EINS

Coronastrategie: Den Lockdown nutzen

Maibach-Nagel, Egbert

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Egbert Maibach-Nagel, Chefredakteur
Egbert Maibach-Nagel, Chefredakteur

Trotz im Detail diverser Diskussionen werden die jüngsten Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Coronapandemie von weiten Teilen der Bevölkerung wie auch der Expertenwelt befürwortet. Ob Teil II der Coronaabwehr erfolgreich wird, werden die nächsten Wochen beweisen. Zu Redaktionsschluss berieten die Ministerpräsidenten der Bundesländer.

Innerhalb des Gesundheitswesens, dessen Mitarbeiter jetzt wieder bis zum Anschlag gefordert sind, ist das größte Hindernis benannt: Es fehlt an fachkundigem Personal. Das ist auch kurzfristig nicht zu beschaffen. Der Mangel zerstört viele der vornehmlich als Materialschlachten gestarteten taktischen Schritte: Tests, so viele man auch beschaffen mag, brauchen Menschen, die vorbereiten und auswerten. Intensivbetten können nur belegt werden, wenn das nötige Personal da ist.

Die Politik scheint willens, die Mittel zur Verfügung zu stellen, getrieben von der bangen Hoffnung, dass der zweite, gemäßigtere Lockdown die Zahlen zurücktreibt. Selbst wenn diese akute Reaktion einen Teilerfolg bringt, ist es bis zur als greifbar nah dargestellten Impflösung noch ein langer Weg.

Sinnstiftend wäre jetzt, nicht auf das Aufgehen dieser Taktik zu starren, vielmehr jetzt die Zeit zu nutzen, eine abgestimmte Langfriststrategie zu entwickeln. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) will jetzt durchstarten, trotz der seitens ihres Vorsitzenden Dr. med. Andreas Gassen eingestandenen „prozeduralen Kritik“ an der Genese ihres jüngsten Positionspapiers. Die KBV will eine breite Fachdiskussion über das weitere Vorgehen. Die Bundesärztekammer (BÄK) forderte von der Politik schon im Frühjahr, einen ständigen interdisziplinären Expertenbeirat aus Wissenschaftlern und Praktikern in die Anticoronamaßnahmen von Bund und Ländern einzubinden. Ein solches Gremium, so betonte BÄK-Präsident Dr. med. (I) Klaus Reinhardt jetzt wieder, kann „mit fester Besetzung aus unterschiedlichen Disziplinen wie Ärzten, Soziologen, Volkswirtschaftlern, Psychologen, Ethikern und Juristen wissenschaftlicher Anker“ der Politik sein. So ein Beirat könne angesichts der noch zu überwindenden Zeitspanne auch dazu beitragen, „die Akzeptanz der Schutzmaßnahmen bei den Bürgerinnen und Bürger zu stabilisieren und zu stärken“.

Für die akut bis aufs Letzte geforderten Pflegerinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte sind solche Vorgehen auf den ersten Blick keine praktische Hilfe. Aber gerade mit solcher Expertise ausdiskutierte Maßnahmen können grobe Fehler und daraus entstehende politische Zick-Zack-Kurse vermeiden, die vornehmlich darauf fußen, mal den einen, mal den anderen Kontakt in die Fachwelt zur Ausgestaltung konkreter Maßnahmen zu nutzen. Bedarf dafür gibt es für die kommenden Monate, wie Gassen und Reinhardt immer wieder betonen: Wie ist ein konsequenter, praktikabler und funktioneller Schutz für Risikopatienten zu gestalten? Wie muss eine den jeweiligen Bedarfen und Notwendigkeiten angepasste und flexibilisierbare Teststrategie aussehen? Welche Werkzeuge können wir schaffen, um uns mit Plan und nicht nur auf Sicht durch diese Pandemie zu bewegen?

Bis ein Impfstoff oder die Natur Entlastung schafft, werden die Räder sicherlich nicht neu erfunden. Aber eine weit- und umsichtig geführte Expertendiskussion kann dazu beitragen, die in der Bevölkerung verhassten politischen Schlingerkurse weitgehend abzustellen.

Egbert Maibach-Nagel
Chefredakteur

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote