MEDIZIN: Editorial
Bauchaortenaneurysma – Therapiewahl und Mengeneffekte
Abdominal aortic aneurysm—treatment choice and volume effects
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Das Bauchaortenaneurysma (BAA) ist eine der häufigsten Gefäßkrankheiten. In dieser Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes widmen sich zwei Arbeiten den aktuell wichtigsten Aspekten des BAA. Besonderes Augenmerk gilt dabei zum einen der operativen Behandlungsmethode – hier wird die endovaskuläre der offenen Behandlung gegenübergestellt (1) – und zum anderen dem sensiblen Thema der Mindestmengeneffekte (2).
Operative Therapiemöglichkeiten
Während Screening, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Bauchaortenaneurysmas 2018 in einer S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften – unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin – publiziert worden ist (3), liegt der große Wert der Arbeit von Schmitz-Rixen und Co-Autoren (1) in der Beschreibung der derzeitigen operativen Therapieoptionen.
Wie bei fast allen medizinischen Behandlungen müssen wir die jeweiligen Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen und die Therapiewahl der Indikation anpassen: Stichworte wären infrarenales versus juxta-, para- oder suprarenales versus rupturiertes BAA. Aktuell werden circa 80 % aller Patienten mit einem BAA mit einer endovaskulären Aneurysmareparatur („endovascular aortic repair“ [EVAR]) behandelt. Im Vergleich zur offenen Operation eines BAA („open aneurysm repair“ [OAR]) ist die 30-Tages-Letalität bei EVAR statistisch signifikant niedriger (1,2 versus 3,3 %). Aber es bedarf auch der dauerhaften bildgebenden Kontrolluntersuchungen wegen der Gefahr von Endoleaks und Vergrößerungen des Aneurysmasacks. Beides kann erneute Interventionen notwendig machen. Auch gibt es vorläufige Hinweise darauf, dass durch die höhere Strahlenexposition das Risiko für abdominale Tumorerkrankungen geringfügig erhöht sein könnte (4).
Zu berücksichtigen sind auch geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Ergebnissen nach EVAR. So sind die 30-Tages-Letalität und die Rate an Komplikationen bei Frauen gegenüber Männern statistisch signifikant, aber mit Odds Ratios zwischen 1,2 und 1,9 moderat erhöht und das Langzeitüberleben reduziert (5).
Antizipative Indikationsstellung
Langfristig erfolgreiche EVAR-Eingriffe erfordern anatomische Grundvoraussetzungen wie zum Beispiel einen notwendigen Abstand zu den Nierenarterien. Außer einer möglicherweise zu kurzen sogenannten Landezone müssen weitere eventuell ungünstige anatomische Gegebenheiten, wie beispielsweise Angulierungen der Beckengefäße und die Offenheit der Lumbalgefäße oder der Arteria mesenterica inferior, in die Entscheidungsfindung und Planung miteinbezogen werden.
Wie bei vielen anderen klinischen Situationen auch, gehen Kompromisse mit geringeren Erfolgen im Verlauf einher, und oft wird es später doch noch notwendig, mittels Katheter oder letztlich offen chirurgisch zu korrigieren. Nach unserer Erfahrung sind diese Kompromisssituationen bei antizipativer Indikationsstellung vermeidbar und es ist ein dauerhafter Erfolg zu erzielen. Eine wesentliche Komponente stellt die grundsätzliche Verfassung der Patienten dar, weswegen wir den Stellenwert einer präoperativen kompletten kardiovaskulären Abklärung nicht überbetonen.
Besondere Herausforderungen
Bei komplexen abdominalen Aortenaneurysmen, wie zum Beispiel juxta-, peri- oder suprarenalen sowie penetrierten oder rupturierten Aneurysmen, bestehen besondere technische Herausforderungen. Auch in diesen Spezialfällen wurden die Wahl des Operationsverfahrens und deren Ergebnisse in Studien untersucht (6) und vor allem auch die Klinikletalität in Relation zur absoluten Fallzahl des Krankenhauses gesetzt. Hierbei schnitten Krankenhäuser mit hoher Fallzahl sowohl bei EVAR als auch bei OAR besser ab als solche mit niedrigerer Fallzahl.
Trotzdem ist die Situation komplexer, als es auf den ersten Blick scheint, denn viele Faktoren beeinflussen die Ergebnisse. Genannt seien beispielhaft die
- Weiterbildung in EVAR und OAR
- Erreichbarkeit der Klinik
- Komplexität der Fälle
- die Betrachtung von Mindestmengen bei der Therapie des BAA als Charakteristikum eines Krankenhauses oder eines Operateurs.
Daher existieren in Deutschland auch bis heute keine verbindlichen Mindestanforderungen für elektive BAA-Operationen.
Mengeneffekte
Dem brisanten Thema der Mindestmengeneffekte bei der Therapie des BAA gehen Trenner und Co-Autoren in sehr innovativer Weise auf den Grund (2). Methodische Basis dieser Arbeit ist die deutsche DRG-Statistik (DRG, „diagnosis-related groups“) der Jahre 2012–2016 (ICD-10 GM I71.3/4) mit Prozedurencodes für endovaskuläre oder offene chirurgische Behandlungen. Die Autoren finden eine statistisch signifikante Assoziation von hoher jährlicher Fallzahl und niedriger Krankenhausletalität. In einem Ansatz, der über frühere Arbeiten hinausweist, modellieren sie eine sinnvolle Größe für die maximale Entfernung der Abteilungen. So leiten sie aus ihren Ergebnissen die Empfehlung für eine Mindestmenge von 30 BAA-Operationen pro Jahr ab. Das würde bedeuten, dass 17 von 20 Patienten nicht mehr als 100 km transportiert werden müssten. Demgegenüber hatten Nimptsch und Mansky (7) in ihrer Auswertung der Daten von über 22 000 elektiven offen chirurgisch behandelten Patienten noch einen Grenzwert von wenigstens 18 OAR-Fällen pro Jahr empfohlen.
Wie bereits erwähnt, ist die Festlegung von Mindestzahlen für BAA-Eingriffe komplex und vielschichtig. Auf der einen Seite zeigen die meisten Studien eine klare Abhängigkeit zwischen Fallvolumen und Krankenhaussterblichkeit. Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, dass genügend erfahrene Operateure für elektive, komplexe und rupturierte BAA rund um die Uhr zur Verfügung stehen, damit auch in Spezialfällen ein optimales Ergebnis erzielt werden kann. Dies würde sogar für Aortenzentren mit noch weitreichenderen Anforderungen sprechen. Bereits heute müssen Patienten oft über weite Strecken transportiert werden, da oft kein Pflegepersonal oder nicht genügend Intensivkapazität für alle Fälle zu jeder Zeit an allen Orten vorgehalten werden kann. Gleichzeitig gibt es aber auch mittelgroße Krankenhäuser mit exzellent ausgebildeten Gefäßchirurgen- und -chirurginnen, die sehr wohl in der Lage sind, eine gewisse Fallzahl abzudecken.
Fazit
Es wird im deutschen Gesundheitswesen künftig sicher weiter zu einer Konzentration von Krankenhäusern und Eingriffen kommen, schon alleine aus Kostengründen, aus Mangel an pflegerischem und ärztlichem Personal und aus Weiterbildungsmotiven. Wir hoffen und erwarten, dass die Konzentration von Krankenhäusern und Eingriffen und die Weiterentwicklung der chirurgischen Techniken – von maximalinvasiven Operationen in Spezialfällen zu minimalinvasiven, endoskopischen oder robotergestützten Eingriffen – zu besseren Ergebnissen für die Patienten führen werden.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Anschrift für die Verfasser
Prof. med. Dr. Martin Czerny
Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie
Universitäts-Herzzentrum Freiburg – Bad Krozingen
Hugstetter Straße 55, 79106 Freiburg
martin.czerny@universitaets-herzzentrum.de
Zitierweise
Czerny M, Beyersdorf F: Abdominal aortic aneurysm—treatment choice and volume effects. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 811–2.
DOI: 10.3238/arztebl.2020.0811
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
1. | Schmitz-Rixen T, Böckler D, Vogl TJ, Grundmann RT: Endovascular and open repair of abdominal aortic aneurysm. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 813–9 VOLLTEXT |
2. | Trenner M, Salvermoser M, Busch A, Schmid V, Eckstein HH, Kühnl A: The effects of minimum caseload requirements on management and outcome in abdominal aortic aneurysm repair—a secondary analysis of German DRG statistics data. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 820–7. CrossRef |
3. | Debus ES, Heidemann F, Gross-Fengels W, et al.: S3-Leitlinie zu Screening, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Bauchaortenaneurysmas. AWMF-Registernummer 004–14. Stand 07.07.2018. |
4. | Markar SR, Vidal-Diez A, Sounderajah V, et al.: A population-based cohort study examining the risk of abdominal cancer after endovascular abdominal aortic aneurysm repair. J Vasc Surg 2019; 69: 1776–85 CrossRef MEDLINE |
5. | Liu Y, Yang Y, Zhao et al.: Systematic review and meta-analysis of sex differences in outcomes after endovascular aneurysm repair for infrarenal aortic aneurysm. J Vasc Surg 2020; 71: 283–96 CrossRef MEDLINE |
6. | Kontopodis N, Galanakis N, Antoniou SA, et al.: Meta-analysis and meta-regression analysis of outcomes of endovascular and open repair for ruptured abdominal aortic aneurysm. Eur J Vasc Endovasc Surg 2020; 59: 399–410 CrossRef CrossRef |
7. | Nimptsch U, Mansky T: Hospital volume and mortality for 25 types of inpatient treatment in German hospitals: observational study using complete national data from 2009 to 2014. BMJ Open 2017; 7: e016184 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
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Frontiers in Cardiovascular Medicine, 202210.3389/fcvm.2022.1046200
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