MEDIZIN: Originalarbeit
COVID-19-Pandemie verändert die subjektive Gesundheit
Erste Ergebnisse der NAKO-Gesundheitsstudie
The impact of the COVID-19 pandemic on self-reported health—early evidence from the German National Cohort
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Hintergrund: Die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste Pandemie und die Gegenmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung wirken sich deutlich auf die Gesundheit der Menschen aus. Erste deutschlandweite Schutzmaßnahmen wurden ab Mitte März für sechs Wochen eingeführt, um die Ausbreitung des Virus während der ersten Welle zu stoppen.
Methode: Die Auswirkungen der Pandemie wurden in der NAKO-Gesundheitsstudie (NAKO) im Mai untersucht. 113 928 Männer und Frauen, die bei der Basisuntersuchung ein bis fünf Jahre zuvor im Alter zwischen 20 und 74 Jahren gewesen waren (53 %), nahmen innerhalb von 30 Tagen an einer Nachbefragung zum SARS-CoV-2-Teststatus, zu COVID-19-assoziierten Symptomen und zum selbsteingeschätzten Gesundheitszustand teil.
Ergebnisse: Ein selbstangegebener SARS-CoV-2-Test lag bei 4,6 % der Probanden vor und 344 Teilnehmende (0,3 %) berichteten ein positives Testergebnis. Depressions- und angstassoziierte Symptome nahmen im Vergleich zur Basisuntersuchung nur bei Teilnehmenden unter 60 Jahren zu, insbesondere bei jungen Frauen. Moderat bis schwer ausgeprägte depressive Symptome erhöhten sich von 6,4 auf 8,8 %. Der wahrgenommene Stress stieg in allen Altersgruppen bei beiden Geschlechtern und ebenfalls vor allem bei jungen Menschen an. Bei den SARS-CoV-2-getesteten Teilnehmenden verschlechterten sich die Skalenwerte für psychische und selbsteingeschätzte Gesundheit im Vergleich zu den Nichtgetesteten. Allerdings verbesserte sich die selbsteingeschätzte Gesundheit auch bei 32 % der Teilnehmenden.
Schlussfolgerung: Die COVID-19-Pandemie und die Schutzmaßnahmen während der ersten Welle hatten Auswirkungen auf die psychische sowie die selbsteingeschätzte allgemeine Gesundheit.


Der erste Fall von COVID-19 in Deutschland wurde am 27. Januar 2020 entdeckt (1). Die deutschen Gesundheitsbehörden isolierten die ersten Fälle, identifizierten und testeten ihre Kontakte. Dennoch verbreitete sich SARS-CoV-2 ab Mitte März innerhalb der Bevölkerung in vielen Regionen. Test-Kapazitäten und spezielle Versorgungsstrukturen wurden aufgebaut, um die Ausbreitung einzudämmen und die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Innerhalb von zwei Wochen wurden nationale Gegenmaßnahmen für einen Zeitraum von sechs Wochen eingeführt. Damit sollten die kurz- und langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen einer Infektion eingedämmt werden. Es wurden allerdings auch potenzielle Folgen für die Gesundheit aufgrund von sozialer Isolation, erhöhtem Stress und negativen sozioökonomischen Konsequenzen diskutiert.
Große bevölkerungsbezogene Kohortenstudien ermöglichen es, das Auftreten neuer Krankheiten und deren Auswirkungen auf die Gesundheit zu untersuchen. Daher sind sie ideal geeignet, um die Verbreitung von COVID-19 in der Bevölkerung abzubilden (2) und die Effekte der Schutzmaßnahmen auf die Gesundheit zu bewerten (3). In der vorliegenden Studie wurden die Daten von mehr als 100 000 Teilnehmenden der NAKO Gesundheitsstudie (NAKO) analysiert (4). Dabei wurden folgende Parameter betrachtet:
- die regionalen Unterschiede der Häufigkeit von COVID-19-Diagnosen bei den NAKO-Teilnehmenden im Vergleich zu den offiziellen Statistiken im Frühjahr 2020
- die Häufigkeit von COVID-19-assoziierten Symptomen
- die Veränderungen der psychischen Gesundheit und des selbsteingeschätzten, allgemeinen Gesundheitszustandes während der ersten Welle im Vergleich zur Basisuntersuchung ein bis fünf Jahre zuvor.
Methode
Zwischen 2014 und 2019 rekrutierte die NAKO-Gesundheitsstudie 205 219 zufällig ausgewählte Personen im Alter von 20–74 Jahren für die Basisuntersuchung in 18 Studienzentren (4). Die Ethikkommissionen aller lokalen Studienzentren hatten ihre Zustimmung gegeben, und alle Teilnehmenden hatten schriftlich ihre Einwilligung zur Teilnahme an der Studie und zur erneuten Kontaktaufnahme erteilt. Die erste Nachuntersuchung begann 2019, musste jedoch Mitte März 2020 wegen der COVID-19-Pandemie und der deutschlandweiten Schutzmaßnahmen unterbrochen werden. Innerhalb kurzer Zeit wurde daraufhin ein zusätzlicher COVID-NAKO-Fragebogen entwickelt, um Informationen zu SARS-CoV-2-Tests und COVID-19-bezogenen Symptomen und psychosozialen Faktoren zu sammeln. Nähere Details sind im eKasten 1 beschrieben. Die aktuellen Ergebnisse beruhen auf den in den ersten 30 Tagen (30. April bis 29. Mai) von 113 928 COVID-NAKO-Teilnehmenden ausgefüllten Fragebögen (Tabelle). Die an der Befragung Teilnehmenden stimmten im Alter mit den Nicht-Teilnehmenden überein (Mittelwert 50 Jahre) und waren geringfügig häufiger Frauen (52 gegenüber 49 % bei Nicht-Teilnehmenden). Die Teilnahmebereitschaft variierte zwischen den Studienregionen und lag zwischen 34 % im Nordosten und 67 % im Südwesten in den ersten 30 Tagen (eTabelle 1 und eTabelle 2).
Die Anzahl der erwarteten COVID-19-Fälle wurde auf der Grundlage der amtlichen Daten des Robert Koch-Instituts und des Statistischen Bundesamtes berechnet, wie im eKasten 2 beschrieben. Die Häufigkeit von COVID-19-bezogenen Symptomen und deren gleichzeitiges Auftreten wurden anhand von Balkendiagrammen und Euler-Diagrammen grafisch ausgewertet.
Die NAKO-Basisuntersuchung umfasste (4):
- körperliche Untersuchungen
- ein standardisiertes persönliches Interview
- selbstausfüllbare Fragebögen und Tests
- die Entnahme von Bioproben.
In die Fragebögen wurden mehrere Module aus der deutschen Version des Patient Health Questionnaire (PHQ) (5, 6) zur Bewertung der psychischen Gesundheit aufgenommen, um den Schweregrad depressiver Symptome (PHQ-9), von Angstsymptomen (GAD-7) und der empfundenen psychosozialen Belastung (PHQ-Stressmodul) zu beurteilen.
Die Bewertung der psychischen Gesundheit im COVID-NAKO-Fragebogen umfasste die gleichen Skalen (PHQ-9, GAD-7 und PHQ-Stress). Summenscores für alle drei Skalen zur psychischen Gesundheit wurden gemäß dem PHQ-Manual berechnet. Die jeweiligen Minimal- und Maximalscores betragen 0–27 Punkte für den PHQ-9, 0–21 Punkte für den GAD-7 und 0–20 Punkte für das PHQ-Stressmodul. Die Test-Retest-Reliabilität für den PHQ-9 und den GAD-7 ist hoch (7, 8). Unterschiede zwischen dem COVID-NAKO-Fragebogen und der Basisuntersuchung wurden für alle Teilnehmenden analysiert, deren Daten für beide Zeitpunkte verfügbar waren. Zur Bewertung der Unterschiede in den Scores zur psychischen Gesundheit zwischen Studienzentren, Altersgruppen und Geschlecht wurde der Student’s t-Test verwendet. Weiterhin kamen multiple lineare Regressionsmodelle zum Einsatz, in denen die Differenz in jedem Score zwischen dem COVID-NAKO-Fragebogen und der Basisuntersuchung als abhängige Variable sowie das Alter zur Basisuntersuchung, das Geschlecht und der Score zur Basisuntersuchung als unabhängige Variablen verwendet wurden.
Die Selbsteinschätzung der Gesundheit wurde mit der ersten Frage des Short Form Health Questionnaire (SF-12) erfasst. Veränderungen des subjektiven Gesundheitszustands in der Zeit zwischen der Basisuntersuchung und der Befragung mittels COVID-NAKO-Fragebogen wurden grafisch und durch adjustierte logistische Regressionsmodelle ausgewertet. Binäre Zielgröße war die Verschlechterung des selbsteingeschätzten Gesundheitszustandes gegenüber der Basisuntersuchung.
Ergebnisse
Kumulative Inzidenz von SARS-CoV-2-positiven Testergebnissen
Insgesamt gaben 4,6 % der NAKO-Teilnehmenden an, seit 1. Februar 2020 auf SARS-CoV-2 getestet worden zu sein. Von diesen 5 245 Getesteten waren 344 (6,6 %) positiv für SARS-CoV-2, das entspricht einer kumulativen Inzidenz von insgesamt 0,3 %. Getestete Teilnehmende waren im Mittel älter verglichen mit nichtgetesteten (50 zu 47 Jahre) und etwas häufiger weiblich (57 % aller Getesteten). Die Zahl testpositiver Fälle in unserer Studie war um 34 % (p = 0,01) höher als die Zahl, die – ausgehend von der offiziellen Statistik – vorhergesagt wurde. Mehr als 80 % der testpositiven Fälle waren bis Mitte April entdeckt worden (eGrafik 1a). Auch fanden sich signifikante Unterschiede zwischen den Studienregionen. Eine höhere kumulative Inzidenz wurde in den stärker betroffenen südlichen Studienzentren (Freiburg, Saarbrücken, Regensburg) beobachtet, verglichen mit dem Norden und Osten (Neubrandenburg, Leipzig, Kiel) (eGrafik 1b und eTabelle 2).
Häufigkeit und Verteilung von Symptomen
Symptome der oberen und untere Atemwege wurden insgesamt von 31 % beziehungsweise 8 % aller Studienteilnehmenden, über alle Regionen hinweg, berichtet (eTabelle 3). Von den 36 609 Teilnehmenden mit Symptomen der oberen oder unteren Atemwege waren 8,3 % auf SARS-CoV-2 getestet worden. Unter allen Getesteten war der Anteil mit Atemwegsymptomen deutlich höher (59 %). Davon gaben 39 % ausschließlich Probleme der oberen Atemwege, 3 % nur Probleme der untere Atemwege und 17 % Symptome in beiden Bereichen an (eGrafik 2). Testpositive machten nur einen kleinen Teil (0,93 %) aller Teilnehmenden mit Atemwegssymptomen aus (eGrafik 2). Allerdings gaben positiv Getestete im Mittel mehr Symptome an – zum Beispiel Abgeschlagenheit, unspezifischen Schmerz, Riech- oder Geschmacksstörungen – verglichen mit testnegativen Teilnehmenden (eGrafik 3). Von 36 % der Testpositiven wurden keinerlei Symptome berichtet.
Änderungen in der psychischen Gesundheit
Grafik 1 und eTabelle 5 veranschaulichen die Veränderungen in den eingesetzten Skalen zur psychischen Gesundheit zwischen der NAKO-Basisuntersuchung und dem Zeitpunkt der Befragung mittels COVID-NAKU-Fragebogen. Grafik 1 zeigt den mittleren Anstieg in den Summenscores für selbstwahrgenommenen Stress (1,14 ± 0,02 Punkte), für die Ausprägung depressiver (im Mittel 0,38 ± 0,02 Punkte) und von Angstsymptomen (im Mittel 0,36 ± 0,02 Punkte), stratifiziert nach Altersgruppe und Geschlecht.
Anstiege beim wahrgenommenen Stress fanden sich über alle Altersgruppen hinweg, während stärkere Ausprägungen depressiver Symptome und von Angstsymptomen auf die Altersgruppen unter 60 Jahre beschränkt waren. Die deutlichsten Anstiege aller 3 Skalen zeigten sich in jüngeren Altersgruppen. Bei Frauen waren deutlich höhere Anstiege zu verzeichnen als bei Männern, zum Beispiel in der Altersgruppe 30–39 Jahre um 1,94 Punkte auf der Stress-Skala (Minimum 0, Maximum 20 Punkte).
In den NAKO-Studienregionen mit einer niedrigen kumulativen Inzidenz war die Differenz zur Basisuntersuchung aller drei Skalen zur psychischen Gesundheit etwas geringer als in Regionen mit einer moderaten oder höheren Inzidenz (eGrafik 4). Dieses Muster ergab sich für alle Skalen, unabhängig vom absoluten Anstieg eines Scores.
Bei Teilnehmenden, die angaben auf SARS-CoV-2 getestet worden zu sein, waren im Vergleich mit nichtgetesteten in allen Skalen zur psychischen Gesundheit stärkere Anstiege zu erkennen, unabhängig davon, ob das Testergebnis positiv oder negativ ausgefallen war (eGrafik 5). Durch den Anstieg in der mittleren Ausprägung von depressiven Symptomen und von Angstsymptomen erhöhte sich der Anteil derjenigen, die oberhalb des Cut-off-Wertes beider Skalen (≥ 10 Punkte) lagen, von 6,4 auf 8,8 % (depressive Symptome) beziehungsweise von 4,3 auf 5,7 % (Angstsymptome). Der Cut-off-Wert zeigt ein mittleres bis schweres Ausmaß einer depressiven beziehungsweise Angststörung mit klinischer Relevanz an (9).
Änderungen im selbsteingeschätzten
Gesundheitszustand
Im Vergleich mit der Basisuntersuchung gaben 32 % der Teilnehmenden eine Verbesserung im selbsteingeschätzten Gesundheitszustand (Grafik 2) an, während 12 % eine Verschlechterung berichteten. Eine Verschlechterung wurde vor allem von denjenigen angegeben, die getestet worden waren (Odds Ratio für Verschlechterung bei Testnegativen 1,68, 95-%-Konfidenzintervall: [1,54; 1,82], Odds Ratio bei Testpositiven 2,38 [1,83; 3,10]), nach Adjustierung für Alter, Geschlecht, Studienzentrum und dem selbstwahrgenommenen Gesundheitszustand zur Basisuntersuchung (eTabelle 6). Darüber hinaus bestand ein Zusammenhang zwischen der Verschlechterung im selbsteingeschätzten Gesundheitszustand und einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit (eGrafik 6).
Diskussion
Die Ergebnisse dieser großen, populationsbasierten Kohortenstudie zeigen – in Übereinstimmung mit den offiziellen Zahlen der Gesundheitsämter – einen geringen Anteil selbstberichteter Infektionen mit SARS-CoV-2 bis Ende Mai 2020 (0,3 %). Dennoch wurden in der NAKO-Studie 34 % mehr Testpositive beobachtet als – basierend auf der offiziellen Meldestatistik – prognostiziert worden waren. Möglicherweise liegt hier ein Selektions-Bias vor, da Menschen, die positiv getestet wurden, eher dazu neigten, an der Befragung teilzunehmen. Die Daten umfassen den Zeitraum vom Beginn der Pandemie bis zum Erreichen des Höhepunkts in Europa (10). Anfangs wurde die Epidemie vor allem durch Menschen verbreitet, die aus dem Ausland zurückgekommen waren. Diese Menschen hatten eher einen höheren sozioökonomischen Status, der auch in der NAKO überrepräsentiert ist. Darüber hinaus könnte die höhere kumulative Inzidenz auch durch ein größeres Gesundheitsbewusstsein der NAKO-Probanden erklärt werden. Die Implementierung einer testbasierten Identifikationsstrategie könnte gemeinsam mit Gegenmaßnahmen wie Abstand halten („social distancing“) dazubeigetragen haben, dass SARS-CoV-2-Neuinfektionen in den Studienregionen der NAKO, wie hier in der Stichprobe beobachtet, abgeklungen sind (11, 12, 13).
Von den meisten positiven Fällen wurden milde Symptome angegeben, 36 % berichteten keinerlei Symptome und 12 % benötigten einen Krankenhausaufenthalt. Unsere Daten bestätigen, dass der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für einen positiven SARS-CoV-2-Test einhergeht (14, 15).
Die Teilnehmenden berichteten im Zeitraum der Pandemie über mehr wahrgenommenen Stress sowie mehr Symptome von Depression und Angst im Vergleich zur Basisuntersuchung, die ein bis fünf Jahre zuvor durchgeführt wurde. Obwohl mehrere Ursachen zu dieser Änderung über die Zeit beigetragen haben können, wird ein Zusammenhang mit der Pandemie und ihren Gegenmaßnahmen dadurch bekräftigt, dass NAKO-Teilnehmende, die in einer Region mit niedriger SARS-CoV-2-Inzidenz wohnten, weniger mentale Probleme berichteten als jene, die aus einer Region mit einer höheren Inzidenz stammten. Die stärkere Ausprägung von Depressions- und Angstsymptomen beschränkte sich jedoch auf die Gruppe der unter 60-Jährigen, mit einem Fokus auf junge Erwachsene zwischen 20 und 39 Jahren. Dies wurde kürzlich auch in Großbritannien (16) sowie in einer im April 2020 von der Johns Hopkins Universität durchgeführten, kleinen Follow-up-Erhebung berichtet. In dieser Erhebung wurde im Vergleich zu einer im Jahr 2018 durchgeführten Untersuchung ein klarer Anstieg schwerer psychologischer Belastung insbesondere bei jungen Erwachsene im Alter zwischen 18 und 29 Jahren gefunden (17).
Eine Studie mit niederländischen Studierenden zeigte, dass der Lockdown im März 2020 die Fähigkeit der Studenten, ihre Stimmung durch gewohnte Aktivitäten zu stabilisieren, negativ beeinträchtigt hat (18). Junge Erwachsene und Erwachsene mittleren Alters standen unter besonderem Druck, verschiedene Aufgaben in einer Zeit mit eingeschränkt verfügbaren Dienstleistungen und umfangreichen Empfehlungen, wie etwa der, zu Hause zu bleiben („stay-at-home”), bewältigen zu müssen. Dazu zählten zum Beispiel die Koordination von Homeoffice oder geänderten beruflichen Bedingungen mit Homeschooling, Kinderbetreuung oder Altenpflege.
In neueren Stellungnahmen und Empfehlungen (3, 19) wird dringlich gefordert, hochqualitative Daten zu den Effekten der COVID-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit für die gesamte Bevölkerung aber auch für vulnerable Gruppen zu erheben (3). Zudem wird darauf hingewiesen, dass die Pandemie große Auswirkungen auf die individuelle und die allgemeine Gesundheit sowie auf emotionale und soziale Funktionen haben kann (19). Außerdem wird die Notwendigkeit angesprochen, eine psychische Gesundheitsversorgung anzubieten, die auf die Befriedigung der gesundheitlichen Bedürfnisse von Patienten und die Reduktion von (sozialen) Unterschieden abzielt (20).
Die Selbsteinschätzung der Gesundheit verschlechterte sich bei Teilnehmenden, die getestet wurden, vor allem bei denjenigen mit einem positiven Testergebnis. Allerdings verbesserte sich die Selbsteinschätzung der Gesundheit auch bei einer beträchtlichen Anzahl an NAKO-Teilnehmenden. Da es sich hierbei um den selbstwahrgenommenen Gesundheitszustand handelt, ist es möglich, dass eher subjektive Änderungen im Gesundheitsbewusstsein als objektivierbare Verbesserungen für diese Beobachtung verantwortlich sind. Während der Zeit der Kontaktbeschränkungen ab Mitte März 2020 waren in den NAKO-Studienregionen notwendige Einkäufe, der Zugang zum Arbeitsplatz (falls nicht Kurzarbeit oder Arbeiten im Homeoffice bestand) oder Sport im Freien zu jeder Zeit erlaubt. Die Bundesregierung und die Länder führten eine Vielfalt an Unterstützungsangeboten ein, um sozioökonomische Lasten zu reduzieren.
Während sich die Arbeitsbedingungen für einige Beschäftigte, beispielsweise im Gesundheitssektor, deutlich verschlechterten, bekamen andere Bevölkerungsgruppen zusätzliche Freizeit und erlebten ein langsameres Tempo im Alltag, ein gesteigertes Gesundheitsbewusstsein und die Unterstützung durch ihre Nachbarschaft. Die Ergebnisse wurden nicht für individuelle sozioökonomische Faktoren adjustiert, künftige Analysen sollten ihre potenzielle Rolle als Modifikatoren gezielt untersuchen.
Eine wesentliche Stärke der vorgestellten Daten besteht darin, dass sie auf einer großen, bevölkerungsbezogenen Kohorte mit einer definierten Grundgesamtheit aus 16 geografischen Regionen Deutschlands basieren. Die Ergebnisse der Basisuntersuchung ermöglichen eine detaillierte Charakterisierung des Gesundheitszustands der Teilnehmenden vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie. Die Befragung mit dem COVID-NAKO-Fragebogen bot ein zeitnahes, longitudinales Follow-up und enthielt mehrere Fragen und Skalen, die auch zuvor in der Basisuntersuchung verwendet worden waren. Dadurch bestand die Möglichkeit, Veränderungen der Gesundheitsscores im Zeitverlauf zu analysieren. Limitationen des Fragebogens bestehen darin, dass alle Antworten auf Selbstangaben beruhen. Veränderungen in den Scores zur psychischen Gesundheit könnten auf die Pandemie, auf die Gegenmaßnahmen oder auf andere, virusunabhängige Ursachen zurückzuführen sein. Die Scores zur psychischen Gesundheit wurden nur auf der dimensionalen Skala analysiert, das heißt, es wurden keine (Subtyp-)Diagnosen, zum Beispiel einer Major Depression, angewendet. Die berichteten SARS-CoV-2-Testergebnisse spiegeln die Situation zum Zeitpunkt der Beantwortung des Fragebogens wider und stellen lediglich eine Momentaufnahme dar.
Die Verschlechterung der Ergebnisse zur psychischen Gesundheit fiel in Regionen mit einer höheren kumulativen Hintergrundinzidenz stärker aus. Sie verlief zudem etwas stärker bei Teilnehmenden, die an der Basisuntersuchung erst 1–2 Jahre zuvor teilgenommen hatten. Dies spricht für einen Zusammenhang zwischen einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit und der Pandemie. Da die Bevölkerung mit sich ständig ändernden Vorschriften bezüglich der Gesundheit und des allgemeinen Verhaltens konfrontiert war, müssen die Ergebnisse im Kontext der Pandemiedynamik diskutiert werden. Um festzustellen, ob die Folgen der Gegenmaßnahmen über längere Zeiträume anhalten, sind wiederholte Bewertungen erforderlich.
Fazit
Die kumulative Inzidenz der nachgewiesenen SARS-CoV-2-Infektionen war im Frühjahr 2020 auf der Bevölkerungsebene in Deutschland gering. Jedoch beobachteten wir in der gesamten NAKO-Kohorte unabhängig vom Test- oder Infektionsstatus eine Verschlechterung der psychischen Gesundheitswerte während der bundesweiten sechswöchigen Gegenmaßnahmen. Unsere Ergebnisse deuten auf gesundheitliche Auswirkungen auf der Bevölkerungsebene hin, die deutlich über die direkten gesundheitlichen Auswirkungen von COVID-19 hinausgehen.
Finanzierung und Förderung
Die NAKO-Gesundheitsstudie (www.nako.de) wurde finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Referenznummern: 01ER1301A/B/C und 01ER1511D), den Bundesländern und der Helmholtz-Gemeinschaft, mit zusätzlicher finanzieller Förderung durch die beteiligten Universitäten und Institute der Leibniz-Gesellschaft und Helmholtz-Gemeinschaft.
Danksagung
Wir danken allen Mitarbeitenden in den NAKO-Studienzentren, dem NAKO-Datenmanagement und der NAKO-Geschäftsstelle, die diese Studie möglich gemacht haben. Zudem danken wir Maren Albrecht und Dr. Barbara Bohn für ihren Einsatz und ihre wertvollen Beiträge bei der Implementierung des Fragebogens.und Dr. Susanne Göttlicher für ihre Unterstützung bei der Fertigstellung des Manuskripts.
Interessenkonflikt
Prof. Lieb hält Aktien der Firma Biontech.
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 6. 10. 2020, revidierte Fassung angenommen: 18. 11. 2020
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. rer. biol. hum. Annette Peters
Institut für Epidemiologie, Helmholtz Zentrum München
Deutsches Zentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Neuherberg
peters@helmholtz-muenchen.de
Zitierweise
Peters A et al.: The impact of the COVID-19 pandemic on self-reported health—early evidence from the German National Cohort.
Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 861–7. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0861
Dieser Beitrag erschien online bereits am 25. 11. 2020 (online first) auf www.aerzteblatt.de
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de
Zusatzmaterial
eGrafiken, eTabellen, eKästen:
www.aerzteblatt.de/20m0861 oder über QR-Code
Institut für Epidemiologie, Helmholtz Zentrum München: Prof. Dr. rer. biol. hum. Annette Peters, Dr. rer. biol. hum. Susanne Rospleszcz, Dr. rer. nat. Marco Dallavalle
Lehrstuhl für Epidemiologie, Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München: Prof. Dr. rer. biol. hum. Annette Peters, Dr. rer. biol. hum. Susanne Rospleszcz
Department of Environmental Health, Harvard T. H. Chan School of Public Health, Boston, MA, USA: Prof. Dr. rer. biol. hum. Annette Peters
Abteilung Epidemiologie von Krebserkrankungen, Deutsches Krebsforschungszentrum, (DKFZ), Heidelberg: Dr. med. Karin H. Greiser
Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin, Universität Münster: Prof. Dr. med. Klaus Berger
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