BRIEFE
Coronapandemie: Eigenes Denken wieder erlaubt


Dass „gewählte Volksvertreter“ per se eine Garantie gegen das Entstehen einer Diktatur seien, ist keine Lehre aus der Zäsur am 24. März 1933, die formal-demokratisch zustande kam. Formal-demokratisch durften unsere heutigen Volksvertreter sich Entscheidungen zur Coronalage anhören, durften sich äußern. Aber mitentscheiden?
Sehr wohl kochte in mir eine Wut hoch über „seeeehr“ einseitige Berichterstattung bis weit über die ersten Coronamo-nate hinaus. Da war nichts, gar nichts mit „in den Medien darüber breit diskutiert“. Da war vielmehr hochprominenter Verdruss über befürchtete „Diskussions-Orgien“. Seit Herr Reinhardt und Herr Gassen sich gegen diesen rigide-beschwörenden, verurteilenden Mainstream geäußert haben, ist bei mir „viiiiiel“ Druck draußen: Endlich ist eigenes Denken wieder erlaubt!
Bezüglich „konstruktiver Lösungen“ haben Palliativmediziner – so sie denn zu Wort kommen durften – … sehr wohl alternative Perspektiven aufgezeigt, die mich einfach noch daran glauben ließen, dass ich nicht völlig in „irre (Meinungs-)Isolation“ geraten bin: Dass die Frage, ob – durch Naturgegebenheit gebildete „Fronten“ – eine Gruppe („die Jungen“) gezwungen werden darf, zum Vorteil einer statistisch dadurch begünstigten Gruppe (die Risikokandidaten, bes. „die Alten“) eigene vitale Interessen (so isses!) aufgeben zu müssen, nicht nur diskussionswürdig, sondern diskussionspflichtig ist.
Dass Intensivpfleger/-innen fehlen und nicht einfach per Geschrei zu bekommen sind, ist freilich Fakt. Aber dabei kannʼs nicht belassen werden. Solche Fakten … sind Ergebnis und Folge von früheren Entscheidungen. Sonst sind wir mit der Situation bei Hebammen, Kitas, vielen sozialen Berufen (die in der Krise bei Hungerlohn, Balkonapplaus und Verantwortungsüberladung plötzlich systemrelevant sind) ebenso schnell fertig.
Ich bin kein Geschichtspessimist, Verschwörungstheorien waren nicht mein Credo. Aber monatelang saß ich erstarrend vor Nachrichten und Politik. Deutungsterror z. B. darüber, wem die Solidarität mit den Schwächsten konkret zu gelten hat, fühlt sich schon nach (kommender) Diktatur an; so bestätigten es auch DDR-Erfahrene. Die Verharmlosung solcher Situation beschleunigt sie.
Übrigens: Altershalber bin ich „Risikokandidat“, möchte meine Haut aber nicht auf Kosten meiner Kinder, Enkel und der zwingend zukunftsnotwendigen Volkswirtschaft gerettet wissen. Leben und Zukunft der Enkel sind mir wichtiger als meines und meine! Naturgegebene Endlichkeit ist nicht nur Fluch, sondern auch Segen.
Dr. med. Alexander Ulbrich, 70599 Stuttgart
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