

Die Krankenkassen finanzieren viele Kosten der Pandemie. Auch deshalb wird für kommendes Jahr ein hohes Defizit im Gesundheitsfonds erwartet. Deshalb werden nun Zusatzbeiträge erhöht und die Reserven der Krankenkassen abgeschmolzen werden. Pläne, für die es Kritik gibt.
Die Staatskasse ist unter Druck, die Haushalte der gesetzlichen Krankenversicherung ebenso und Gesundheitspolitiker appellieren an die Finanzsolidarität in der Pandemie: Viele der Kosten für die Pandemiebekämpfung sind von den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) finanziert worden – beispielsweise die PCR-Tests für Reiserückkehrer im Sommer, die Kosten für Schutzausrüstungen oder auch das Aussetzen von Prüfquoten für Krankenhäuser. Die Finanzierung von „versicherungsfremden“ Leistungen ärgern GKV-Funktionäre besonders – denn für staatliche Aufgaben sind die Beitragsgelder der GKV-Versicherten eigentlich nicht vorgesehen. Während des politischen Pandemiemanagements zwischen Frühjahr und Herbst blieb für solche Grundsatzdebatten kaum Zeit – zu groß war der Handlungsdruck. Insgesamt beziffern die Krankenkassen die GKV-Ausgaben für die Pandemie auf zehn Milliarden Euro. Daraus – und aus anderen Effekten – werde im Jahr 2021 ein geschätztes Defizit von 16 Milliarden Euro entstehen. Einkalkuliert ist dabei nicht, ob sich die Einnahmebasis verändert, also weniger Menschen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz haben.
Höchster Steuerzuschuss
Die Debatte, wie dieses Defizit ausgeglichen werden könnte, beschäftigte Kassenfunktionäre, Bundes- wie Landesgesundheitsmister seit dem Sommer. Mit dem Gesetz Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz (GPVG) wurde Ende November im Bundestag die Lösung festgeschrieben – wenn auch nicht zur Freude der Krankenkassen: So wird zwar der Bundeszuschuss um fünf Milliarden Euro erhöht. Insgesamt sind im Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) damit 19,5 Milliarden Euro für den Steuerzuschuss zum Gesundheitsfonds eingeplant – eine historische Höchstmarke. Seit 2017 war dieser auf 14,5 Milliarden Euro festgeschrieben.
Aber zusätzlich sollen auch die Reserven der GKV zur Finanzierung der Pandemie herangezogen werden: Dabei sollen acht Milliarden Euro von den finanzstarken Krankenkassen in den Gesundheitsfonds fließen. Um die fehlenden weiteren drei Milliarden Euro zu finanzieren, dürfen Krankenkassen unter bestimmten Voraussetzungen ab dem 1. Januar ihren Zusatzbeitrag erhöhen – um 0,2 Prozentpunkte. Über die Erhöhung der Zusatzbeiträge werden die Verwaltungsräte der 105 Krankenkassen in ihren Sitzungen im Dezember abstimmen. Hitzige Debatten sind dabei zu erwarten – hatten die Mitglieder der Selbstverwaltung sich doch noch in ihren Treffen im September mit Brandbriefen und Resolutionen gegen die Pläne aus dem BMG gewehrt, dass in dieser Weise die Haushaltsautonomie der Selbstverwalter eingegriffen werde.
Scharmützel von GKV und BMG
Die Pläne aus der Gesundheitspolitik, die Folgen der Pandemie auch mit den Rücklagen der GKV zu finanzieren, hatte auch ein Scharmützel zwischen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Vorstandsvorsitzenden des GKV-Spitzenverbandes, Dr. rer. pol. Doris Pfeiffer, am Rande einer Podiumsdiskussion Ende September hervorgerufen: Pfeiffer erklärte bei einer Diskussion der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dass die Reserven der Krankenkassen 2020 aufgebraucht seien und auch die bisherige Gesetzgebung des Ministers Spahn viel Geld gekostet habe. Der Minister fiel der Kassenfunktionärin ins Wort: „20 Milliarden Überschuss sind für Sie nichts?“ Und weiter: „Wofür sind Rücklagen? In einer Weltwirtschaftskrise wie dieser müssen sie zur Stabilisierung einbezogen werden.“
Eine Argumentation, der sich nach anfänglichem Zögern auch viele Bundespolitiker aus den beiden Regierungsfraktionen anschlossen – auch wenn vor allem die SPD-Bundestagsabgeordneten von „ihrem“ Finanzminister Olaf Scholz noch etwas mehr Steuergeld für den Gesundheitsfonds erwartet hätten. So warnte Gesundheitspolitiker Edgar Franke (SPD) Anfang Oktober, dass man die „Bedenken der Krankenkassen“ bei den Haushaltslöchern ernst nehmen sollte.
Viele Landespolitiker oder Mitglieder der Oppositionsparteien im Bundestag sahen die BMG-Pläne kritisch, fanden aber kaum Argumente gegen den Einsatz der Reserve. Der Gesundheitsexperte der Linken-Bundestagsfraktion, Harald Weinberg, kritisierte die „flotten Sprüche des Ministers“, als dieser sagte, „Krankenkassen sind keine Sparkassen“. Für die Grünen sind diese Pläne „eine schwere Bürde für die nächste Wahlperiode“, da auch 2022 die GKV-Gelder knapp bleiben werden. Denn die Gesetze von Spahn und seinem Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) kosten jährlich zwölf Milliarden Euro.
Auch Landespolitiker setzen sich für „ihre AOK“ ein. Denn in vielen Regionen gehört die AOK zu den finanzstärkeren Krankenkassen und muss Rücklagen abbauen. Nach Informationen des Deutschen Ärzteblattes sollen aus der AOK-Familie mehr als vier Milliarden Euro aus Rücklagegeldern in den Gesundheitsfonds fließen – damit mehr als die Hälfte. Die meisten Rücklagen haben offenbar die AOK Sachsen-Anhalt, die AOK Hessen, die AOK Niedersachsen sowie die AOK Plus in Sachsen und Thüringen.
Weitere mehr als zwei Milliarden Euro kommen von den Krankenkassen im Verband der Ersatzkassen (vdek), bei denen die Techniker Krankenkasse zu den finanzstärkeren Kassen gehört. Hier sollen es etwas über eine Milliarde sein, die aus den Reserven entnommen werden. Die Abgaben der anderen Kassenarten, dazu zählen die Betriebskrankenkassen oder die Innungskrankenkassen, betragen zwischen 64 und rund 800 Millionen.
Punktsieg der Krankenkassen
Beim Ringen um das Gesetz konnten die Krankenkassen im Parlamentarischen Beratungsverfahren noch ein paar Punktsiege einfahren: So wurde eine Änderung aufgenommen, dass Krankenkassen, die weniger als 50 000 Mitglieder haben, ebenfalls einen höheren Zusatzbeitrag erheben können, damit sie ihre Finanzreserven auf sicherer Höhe halten können. So soll verhindert werden, dass sie durch einzelne Hochkostenfälle in eine finanzielle Schieflage geraten.
Finanzkräftigere Krankenkassen konnten erreichen, dass auch sie bereits zu Beginn des Jahres 2021 ihren Zusatzbeitrag erhöhen dürfen – auch wenn dies nach bisheriger Regelung erst im Laufe des Jahres 2021 möglich gewesen wäre. Im Erklärungstext zum Gesetz heißt es: „Durch diese Sonderregelung wird die Planungssicherheit für die betroffenen Krankenkassen gestärkt und Wettbewerbsgleichheit zwischen allen Krankenkassen gewahrt. Zugleich wird dadurch im Interesse der Beitragszahler vermieden, dass es im Laufe des Jahres 2021 teilweise zu erheblichen unterjährigen Zusatzbeitragssatzsteigerungen kommen kann.“
Debatten um Zusatzausgaben
In der abschließenden Bundestagsdebatte Ende November kritisierten die gesundheitspolitischen Sprecherinnen von Union und SPD den scharfen Gegenwind der Krankenkassen gegen den Abbau der Reserven. Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, sagte: „Leider hat bei einigen die Empörung über die eigene Betroffenheit den Blick auf das Gemeinwohl und die Sachlichkeit der Argumentation getrübt.“ Beitragszahler werden mit den Kosten nicht alleingelassen. Es sei „im Sinne des Gemeinwohls, die Rücklagen wieder in die Versorgung fließen zu lassen“. Auch Karin Maag, gesundheitspolitische Sprecherin der Union, erklärte, dass auch Krankenkassen in dieser Zeit ihren „Beitrag leisten müssten“. Es sei für sie „vollkommen in Ordnung“, dass die Rücklagen in den Gesundheitsfonds fließen müssten. Bei aller Kritik der Krankenkassen vermisse sie aber Gegenvorschläge, wie Politik das Finanzproblem lösen solle. „Dazu kam nichts.“
Bei den Krankenkassen stehen nun intensive Debatten an, nicht nur mit den Verwaltungsräten. So wird bereits von ersten Vorstandsvorsitzenden angekündigt, möglicherweise bei einigen Projekten aus den Digitalgesetzen des BMG sparen zu wollen – wie beispielsweise bei der Erstattung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) oder bei der Möglichkeit, als Krankenkasse selbst in Start-ups zu investieren. Auch aus dem Heil- und Hilfsmittelbereich hieß es auf einem Kongress Ende November, dass Sparrunden bei Krankenkassen starteten. Auch für die Vertreter der Ärzteschaft dürften Honorarverhandlungen schwierig bleiben. Rebecca Beerheide
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