SUPPLEMENT: Perspektiven der Pneumologie & Allergologie
Chronische Atemwegserkrankungen und SARS-CoV-2: Nicht jeder Patient hat ein erhöhtes Risiko


Eine aktualisierte Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin beantwortet häufige Fragen aus Praxis und Klinik zur Risikoabschätzung für einen schweren COVID-19-Verlauf anhand von exemplarischen Fallbeispielen.
Da die Lunge der Hauptmanifestationsort der COVID-19-Erkrankung ist, sind viele Patienten mit chronischen Atemwegs- und Lungenerkrankungen beunruhigt und befürchten, stärker durch SARS-CoV-2 gefährdet zu sein als Gesunde. Um der Verunsicherung – auch der behandelnden Ärzte – entgegenzuwirken, hat die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) gemeinsam mit dem Bundesverband der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner (BdP) eine Aktualisierung der erstmals am 27. April veröffentlichten Stellungnahme vorgenommen.
„Diese Aktualisierung war dringend notwendig“, sagte Hauptautor Prof. Marek Lommatzsch, Universitätsklinik Rostock, bei einer virtuellen Pressekonferenz zur Vorstellung der Stellungnahme. Darin wird der bisherige Wissensstand darüber zusammengefasst, wie Vorerkrankungen das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf beeinflussen und welche Schutzmaßnahmen notwendig sind. Häufig gestellte Fragen in Praxis und Klinik werden anhand von exemplarischen Fallbeispielen beantwortet. Sie umfassen:
- leichtes bis mittelschweres Asthma,
- schweres Asthma,
- COPD,
- Mukoviszidose,
- interstitielle Lungenerkrankung,
- Sarkoidose,
- Lungentransplantation,
- Lungenkrebs,
- Schlafapnoesyndrom,
- neurosmuskuläre Erkrankung,
- Tuberkulose,
- Lungenembolie.
Nach heutigem Wissen geht man davon aus, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 nur bei einer Minderheit von weniger als 5 % der Infizierten einen schweren Verlauf nimmt. Bereits im Frühjahr zeichnete sich allerdings ab, dass Senioren, Männer, Patienten mit Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen hiervon besonders betroffen sind.
Auch Patienten mit bestimmten Lungenerkrankungen wie COPD, Lungenfibrose, Lungenkrebs und Lungentransplantierte sind nach derzeitigem Kenntnisstand stärker gefährdet. „Das trifft jedoch längst nicht für alle Krankheiten aus unserem Fachgebiet zu“, so Pneumologe Lommatzsch.
Entwarnung für Asthmapatienten
Für die große Gruppe der etwa 8 Millionen Asthmapatienten könne weitgehend Entwarnung gegeben werden – Asthma gleich welchen Schweregrades habe sich in bisherigen Studien nicht als eigenständiger Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Verlauf erwiesen. Es gebe sogar die Vermutung, dass dieses Risiko bei Patienten mit Asthma erniedrigt sein könnte, unter anderem aufgrund einer verminderten Expression des für die Aufnahme von SARS-CoV-2 verantwortlichen ACE-2-Rezeptors in den Atemwegen. Dies wurde insbesondere bei Patienten mit Allergien und/oder Typ-2-Entzündung beobachtet.
Da inhalative Steroide (ICS) generell das Asthma-Exazerbationsrisiko senken und möglicherweise zusätzlich die Expression des ACE-2-Rezeptors in den Atemwegen vermindern, wird diese Therapieform laut Stellungnahme eher als protektiv angesehen. Niedrig- oder mittelhochdosierte ICS – dies betrifft die Mehrheit aller Asthmapatienten – seien dagegen unbedenklich. Die Pneumologen warnen daher vor dem Absetzen oder der Unterbrechung der ICS-Therapie. „Dies kann zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Asthmas führen und im Falle einer SARS-CoV-2-Infektion zu schweren Verläufen beitragen“, so Lommatzsch.
Nur bei hochdosierten ICS könne individuell eine Anpassung der Medikation ratsam sein. „Es gibt Hinweise darauf, dass hoch dosierte inhalative Steroide ebenso wie eine systemische Steroidtherapie das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf erhöhen.“ Hier biete sich eine Umstellung auf eine Therapie mit Biologika an.
Eine Fortführung der Therapie wird auch bei Sarkoidose und bestimmten anderen interstitiellen Lungenerkrankungen empfohlen. „Die immunsuppressiven oder immunmodulatorischen Medikationen sollten mit der niedrigsten noch wirksamen Dosis in jedem Fall weitergeführt werden“, betonte Prof. Torsten Bauer, stellvertretender Präsident der DGP und Mitautor des Positionspapieres. Bei einer Unterbrechung der Therapie sei davon auszugehen, dass der Schaden durch eine Verschlechterung der Grunderkrankung den Nutzen in Bezug auf das COVID-19-Risiko überwiege. Lediglich bei nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion könne die Therapie kurzfristig pausiert werden.
Mäßiges Risiko für COPD-Patienten
Trotz der immer besser werdenden Datenlage bleibt die Risikoabschätzung für die verschiedenen Lungenerkrankungen kompliziert: Denn für das COVID-19-Risiko spielt die Lungenerkrankung selbst oft nicht die wichtigste Rolle. Selbst das Vorliegen einer COPD, von der circa 6,8 Millionen Menschen betroffen sind und die bereits früh als eigenständiger Risikofaktor genannt wurde, erhöht die Gefahr eines schweren COVID-19-Verlaufs für sich genommen nur mäßig. „Hier liegen jedoch häufig Begleiterkrankungen und zusätzliche Risikofaktoren vor, deren Effekt nur schwer von dem der Lungenschädigung zu trennen ist“, erklärte DGP-Präsident Prof. Michael Pfeifer, Universität Regensburg. Die Patienten seien meist älter und etwa jeder Zweite weise kardiovaskuläre Komorbiditäten auf: „Allein dadurch ist das Risiko für einen schweren Verlauf deutlich erhöht.“
Auch das Stadium der Erkrankung oder der Allgemeinzustand des Patienten – etwa bei Krebspatienten – beeinflusse das individuelle COVID-19-Risiko erheblich. Einen vorbeugenden Daueraufenthalt zu Hause (Quarantäne) empfehlen die DGP-Experten jedoch selbst bei erhöhtem Risikoprofil nicht. „Dieser ist meist nicht erforderlich und angesichts der vielen positiven Aspekte von körperlicher Bewegung auch nicht sinnvoll“, so Pfeifer. Die vom RKI empfohlenen Hygiene- und Abstandsregeln seien allerdings für all diese Patienten konsequent einzuhalten. Je nach Risikokonstellation könnten auch FFP-Masken getragen werden. Außerdem raten die Experten Lungenpatienten unbedingt zu einer Impfung gegen Pneumokokken, die eine Vielzahl der bakteriellen Lungenentzündungen verursachen.
Verlauf COVID-19 versus Influenza
Inzwischen habe man auch mehr Erkenntnisse über den Verlauf der SARS-CoV-2-Infektion. „Die Inkubationszeit ist mit durchschnittlich 5–6 Tagen länger als bei der Influenzavirus-Infektion, die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch jedoch leichter“, sagte Lommatzsch. Zwar zeige die Mehrheit der Infizierten einen asymptomatischen Verlauf. Während der längeren Inkubationszeit könne SARS-CoV-2 jedoch unbemerkt verbreitet werden. Bei milden und schweren Verläufen finde die höchste Virusübertragung um den Tag des Symptombeginns statt (Grafik).
Lommatzsch wies auf einen wesentlichen klinischen Unterterschied zur Influenza hin: „Im Gegensatz zu schweren Influenza-Pneumonien kommt es bei schweren COVID-19-Verläufen nach Ende der Inkubationszeit meist nicht zur abrupten Allgemeinzustandsverschlechterung. Erst nach durchschnittlich einer Woche relativ milder Symptome verstärken sich Dyspnoe und respiratorische Insuffizienz.“ Als Alarmsignale dieser Demaskierung nannte Lommatz das rasche Auftreten von Luftnot, Tachypnoe und/oder ein Abfall der Sauerstoffsättigung unter 94 %. ▄
DOI: 10.3238/PersPneumo.2020.12.11.02
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Quelle: Lommatzsch M, Rabe KF, Taube C, et al.: Risikoabschätzung bei Patienten mit chronischen Atemwegs- und Lungenerkrankungen im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) mit Unterstützung des Bundesverbands der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner e. V. (BdP). Pneumologie; online publiziert am 26. November 2020. doi:10.1055/a-1321-3400.