ArchivDeutsches Ärzteblatt11/2021COVID-19-Prävalenz und -Sterblichkeit bei dauerhaft dialysepflichtigen Patienten
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Bereits in der frühen Phase der COVID-19-Pandemie wurde eine hohe Rate an akutem Nierenversagen bei Patienten mit schweren Krankheitsverläufen, mit und ohne Nierenvorerkrankungen, beschrieben (1). Dass chronische Nierenerkrankungen und insbesondere eine dauerhafte Dialysepflichtigkeit zu den Risikofaktoren für schwere COVID-19-Fälle zählen, wurde durch Registerstudien aus Europa und Kanada bestätigt, die über eine COVID-19-Letalität von 20–30 % bei dialysepflichtigen Patienten (DP) berichten (2, 3). Hier stellen wir nun entsprechende Daten eines von der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) im März 2020 initiierten bundesweiten Registers vor.

Methoden

COVID-19-Register der DGfN

Mittels Fragebogen wurden wöchentlich erhoben:

  • Zahl der in Dialysezentren behandelten dauerhaft dialysepflichtigen Patienten (jeweils für Hämodialyse- und Peritonealdialysepatienten)
  • Zahl der dauerhaft DP mit aktueller SARS-CoV-2-Infektion in ambulanter, stationärer oder intensivstationärer Betreuung
  • Zahl der bisher nach SARS-CoV-2-Infektion genesenen beziehungsweise verstorbenen dauerhaft dialysepflichtigen Patienten.

Die wöchentliche standardisierte Datenerhebung und -analyse erfolgte deskriptiv von März 2020 bis Ende Dezember 2020. Wochenweise wurden die folgenden Maße kumuliert über alle Zentren geschätzt:

  • Prävalenz (Zahl aktiver COVID-19-Fälle geteilt durch die Zahl dialysepflichtiger Patienten).
  • Letalität (Zahl der Todesfälle, die bis zur ausgewerteten Woche angegeben wurden, geteilt durch die Zahl aller COVID19-Fälle. Die Zahl aller COVID-19-Fälle errechnet sich als Summe der aktiven Fälle in der Woche, der bis zur ausgewerteten Woche verstorbenen und genesenen Fällen).
  • Mortalität (Zahl der Todesfälle geteilt durch DP-Zahl).
  • Genesungsrate (Zahl genesener Patienten geteilt durch die Zahl aller COVID-19-Fälle, analog zur Letalität).

Alle oben genannten Maße beziehen sich auf die Patienten in den meldenden Dialysezentren, und nicht auf alle DP in Deutschland. Die Meldung der Daten durch die Zentren erfolgte nicht vollständig für alle Wochen. Für die oben beschriebenen Maße wurde zusätzlich zur Analyse der „tatsächlichen“ Daten eine Ersetzung der fehlenden Werte vorgenommen; diese ist begrenzt auf den Zeitraum zwischen der ersten und letzten Woche, in dem das jeweilige Zentrum Daten geliefert hatte. Es wurde die „last-observation-carried-forward (LOCF)“-Methode angewandt, die annimmt, dass sich im Vergleich zur Vorwoche keine Änderungen ergeben haben.

Ergebnisse

In jeder Woche wurden durchschnittlich 11 588 Hämodialysepatienten aus ganz Deutschland erfasst (circa 12 % der insgesamt rund 95 000 DP). Im Frühjahr 2020 stieg die COVID-19-Prävalenz bis auf etwa 1,4 % der DP im April an und ging über den Sommer kontinuierlich zurück (Grafik 1). Von den DP mit COVID-19 starben bis Mai 2020 etwa 20 %, das heißt 0,4 % aller DP starben in dieser Zeit an oder mit COVID-19 (Grafik 2). Der Anstieg der Letalität kam zeitlich verzögert nach dem Anstieg der Prävalenz der Erkrankung. Die Genesungsrate der COVID-19-positiven DP erreichte etwa 70 % im Mai 2020. Die Ergebnisse der Prävalenz und Letalität/Mortalität waren mit und ohne LOCF-Ersetzung fehlender Werte (im Mittel 18,7 % Missings bei den Patientendaten) nicht wesentlich unterschiedlich. Im Herbst kam es zu einem erneuten Anstieg der Krankheitsprävalenz auf fast 2 % im Dezember 2020. Die Letalitäts- und Genesungsrate von DP mit COVID-19 bezogen auf die Gesamtzahl der DP mit COVID-19 waren über den Sommer konstant und sanken im Herbst (Grafik 2). Gleichzeitig zeigte sich ein deutlicher Anstieg der Mortalität der DP mit COVID-19 bezogen auf die Gesamtzahl aller DP auf fast 0,8 % (Grafik 2).

COVID-19-Prävalenz bei dauerhaft dialysepflichtigen Patienten in jeder Kalenderwoche (LOCF-Ersetzung fehlender Werte) LOCF, „last observation carried forward“
Grafik 1
COVID-19-Prävalenz bei dauerhaft dialysepflichtigen Patienten in jeder Kalenderwoche (LOCF-Ersetzung fehlender Werte) LOCF, „last observation carried forward“
Letalität der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19 (bezogen auf die Zahl der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19; blau) und Mortalität der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19 (bezogen auf die Gesamtheit der wöchentlich gemeldeten dialysepflichtigen Patienten; rot); die Analyse erfolgte für jede Kalenderwoche (LOCF-Ersetzung fehlender Werte). LOCF, „last observation carried forward“
Grafik 2
Letalität der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19 (bezogen auf die Zahl der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19; blau) und Mortalität der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19 (bezogen auf die Gesamtheit der wöchentlich gemeldeten dialysepflichtigen Patienten; rot); die Analyse erfolgte für jede Kalenderwoche (LOCF-Ersetzung fehlender Werte). LOCF, „last observation carried forward“

Diskussion

Die rund 20 %ige Letalität dauerhaft dialysepflichtiger Patienten mit COVID-19 in Deutschland ist sehr hoch, liegt auf einem mit anderen Industrienationen vergleichbaren Niveau (2, 3) und entspricht in Deutschland in Bezug auf COVID-19 der höchsten Risikokategorie (vergleichbar der von Personen über 80 Jahren).

Deshalb kommt Präventivmaßnahmen bei dialysepflichtigen Patienten eine besonders große Bedeutung zu. Im Lauf des Jahres 2020 wurden in den Dialysezentren erhebliche Anstrengungen unternommen, neue und erweiterte Hygieneregeln umzusetzen. Dennoch konnte in der zweiten Welle der Pandemie ein deutlicher Anstieg der Fallzahlen nicht vermieden werden. Dazu trägt sicherlich bei, dass dialysepflichtige Patienten nicht in der häuslichen Quarantäne verbleiben können, sondern in der Regel dreimal pro Woche durch Krankentransporte und Kontakt zu anderen Patienten und Personal einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Eine wesentliche Verbesserung kann hier nur durch die rasche Impfung dieser Patienten gegen COVID-19 erzielt werden. Dialysepflichtige Patienten sollten daher mit höchster Priorität geimpft werden.

Danksagung

Die Autoren bedanken sich bei allen Kollegen und Kolleginnen aus 238 Dialysezentren für die hervorragende Zusammenarbeit. Die Autoren bedanken sich bei Nicola Wanner (Hamburg) für die Unterstützung bei der Erstellung der Grafiken im Manuskript und bei Samaneh Liagos (Hamburg) für die wöchentliche Eingabe der Daten. Die Studie wurde durch den SFB 1192 unterstützt.

Elion Hoxha, Anna Suling, Jan Eric Turner, Marion Haubitz, Jürgen Floege, Tobias B. Huber, Jan-Christoph Galle

III. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Hoxha, Turner, Huber)

Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 9. 2. 2021, revidierte Fassung angenommen: 21. 2. 2021

Zitierweise

Hoxha E, Suling A, Turner JE, Haubitz M, Floege J, Huber TB, Galle JC: COVID-19 prevalence and mortality in chronic dialysis patients. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 195–6. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0160

Dieser Beitrag erschien online am 3. 3. 2021 (online first) auf www.aerzteblatt.de

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter: www.aerzteblatt-international.de

1.
Cheng Y, Luo R, Wang K, et al.: Kidney disease is associated with in-hospital death of patients with COVID-19. Kidney Int 2020; 97: 829–38 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.
Ortiz A: Chronic kidney disease is a key risk factor for severe COVID-19: a call to action by the ERA-EDTA. Nephrol Dial Transplant 2021; 36: 87–94 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.
Taji L, Thomas D, Oliver MJ, et al.: COVID-19 in patients undergoing long-term dialysis in Ontario. CMAJ 2021; 193: E278–84 CrossRef MEDLINE
Steering Committee des COVID-19-Dialyseregisters der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (Hoxha, Haubitz, Floege, Huber, Galle)
Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Suling)
Medizinische Klinik III, Klinikum Fulda (Haubitz)
Medizinische Klinik II, Uniklinik RWTH Aachen (Floege)
Klinik für Nephrologie, Klinikum Lüdenscheid (Galle) j.galle@klinikum-luedenscheid.de
COVID-19-Prävalenz bei dauerhaft dialysepflichtigen Patienten in jeder Kalenderwoche (LOCF-Ersetzung fehlender Werte) LOCF, „last observation carried forward“
Grafik 1
COVID-19-Prävalenz bei dauerhaft dialysepflichtigen Patienten in jeder Kalenderwoche (LOCF-Ersetzung fehlender Werte) LOCF, „last observation carried forward“
Letalität der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19 (bezogen auf die Zahl der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19; blau) und Mortalität der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19 (bezogen auf die Gesamtheit der wöchentlich gemeldeten dialysepflichtigen Patienten; rot); die Analyse erfolgte für jede Kalenderwoche (LOCF-Ersetzung fehlender Werte). LOCF, „last observation carried forward“
Grafik 2
Letalität der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19 (bezogen auf die Zahl der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19; blau) und Mortalität der dialysepflichtigen Patienten mit COVID-19 (bezogen auf die Gesamtheit der wöchentlich gemeldeten dialysepflichtigen Patienten; rot); die Analyse erfolgte für jede Kalenderwoche (LOCF-Ersetzung fehlender Werte). LOCF, „last observation carried forward“
1.Cheng Y, Luo R, Wang K, et al.: Kidney disease is associated with in-hospital death of patients with COVID-19. Kidney Int 2020; 97: 829–38 CrossRef MEDLINE PubMed Central
2.Ortiz A: Chronic kidney disease is a key risk factor for severe COVID-19: a call to action by the ERA-EDTA. Nephrol Dial Transplant 2021; 36: 87–94 CrossRef MEDLINE PubMed Central
3.Taji L, Thomas D, Oliver MJ, et al.: COVID-19 in patients undergoing long-term dialysis in Ontario. CMAJ 2021; 193: E278–84 CrossRef MEDLINE
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