ArchivDeutsches Ärzteblatt12/2021COVID-19: Infektions- und Erkrankungsrisiko für Lehrer und Personal in Kindertagesstätten im Vergleich zum Personal in Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen

MEDIZIN: Korrespondenz

COVID-19: Infektions- und Erkrankungsrisiko für Lehrer und Personal in Kindertagesstätten im Vergleich zum Personal in Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen

The risk of asymptomatic and symptomatic COVID-19 infection among schoolteachers and day-care workers compared to hospital and nursing-home staff

Heudorf, Ursel; Gottschalk, René

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In der Coronavirus-Impfverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vom Dezember 2020 wurden hochbetagte Personen, Personen mit sehr hohem Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 sowie medizinisches und pflegerisches Personal, das diese vulnerablen Personen versorgt, in die Kategorien mit höchster und hoher Impfpriorität eingestuft (1). Mit Änderung dieser Verordnung vom 24. Februar 2021 wurden auch Grundschullehrer und Beschäftigte in Kindertagesstätten (Kitas) – wie medizinisches und pflegerisches Personal – in die Kategorie mit hoher Priorität eingestuft. Wir untersuchten die Infektions- und Erkrankungsrisiken für Lehrer im Vergleich zu anderen in der Coronavirus-Impfverordnung priorisierten Bevölkerungs- und Berufsgruppen auf der Grundlage dieser vier Impfziele (2):

  • Verhinderung von schweren COVID-19-Verläufen (Hospitalisierung) und Todesfällen
  • Schutz von Personen mit besonders hohem arbeitsbedingten SARS-CoV-2-Expositionsrisiko (berufliche Indikation)
  • Verhinderung von Transmission sowie Schutz der Umgebungen mit hohem Anteil vulnerabler Personen und solchen mit hohem Ausbruchspotenzial
  • Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen und des öffentlichen Lebens.

Material und Methoden

Die Untersuchung stützt sich auf Meldedaten des Robert Koch-Instituts (RKI) (3), aktuelle Daten des Statischen Bundesamtes zu Berufsgruppen (www.destatis.de) sowie Daten aus Kontaktpersonenuntersuchungen in Deutschland im Herbst 2020 (4, 5).

Ergebnisse

Bis zum 08 .01. 2021 wurden in Deutschland 1 866 887 SARS-CoV-2 Fälle gemeldet, von denen 38 795 (2,1 %) verstarben. Die Hospitalisierungsrate hatte in den letzten Wochen des Jahres 2020 leicht unter 10 % gelegen (3).

Tabelle 1 zeigt die Zahl der Beschäftigten der jeweiligen Berufsgruppen sowie die vom RKI publizierten Meldedaten mit detaillierten Angaben zur Betreuung oder Tätigkeit in bestimmten Bereichen, unter anderem in Schulen und Kitas, seit Umstellung der Melde-Software am 09.10.2020 bis zum 08.01.2021. Somit wurde auch die Zeit erfasst, in der in allen Bundesländern weitgehend Präsenzunterricht unter COVID-19-Bedingungen stattfand – bis zum erneuten Lockdown vor Weihnachten 2020 (3).

An das Robert Koch-Institut (RKI) übermittelte COVID-19-Fälle (09. 10. 2020–08. 01. 2021) in Einrichtungen mit besonderer Relevanz für die Transmission von Infektionskrankheiten – in Bezug auf die jeweiligen Bevölkerungsgruppen in Deutschland insgesamt
Tabelle 1
An das Robert Koch-Institut (RKI) übermittelte COVID-19-Fälle (09. 10. 2020–08. 01. 2021) in Einrichtungen mit besonderer Relevanz für die Transmission von Infektionskrankheiten – in Bezug auf die jeweiligen Bevölkerungsgruppen in Deutschland insgesamt

Im medizinischen und pflegerischen Bereich waren 1 092 respektive 1 652 Mitarbeiter pro 100 000 der jeweiligen Berufsgruppe mit SARS-CoV-2 infiziert; 1,8 % der Mitarbeiter in der stationären Pflege und 2,6 % der Mitarbeiter im medizinischen Bereich wurden in einem Krankenhaus behandelt und 0,1–0,2 % verstarben. Circa 14 % der Krankenhauspatienten und Altenpflegeheimbewohner mit COVID-19 verstarben. Unter den Mitarbeitern im Kita- und Schulbereich waren im gleichen Zeitraum 464 respektive 415 (pro 100 000 der Berufsgruppe) mit SARS-CoV-2 infiziert, 1,4 % von ihnen wurden hospitalisiert und 4 (< 0,1 %) verstarben. Bezogen auf jeweils 100 000 Kita-Kinder und Schüler allgemeinbildender Schulen wurden 75 respektive 121 Infizierte gemeldet, 1 % davon bedurften einer Krankenhausbehandlung, 1 Schüler verstarb.

In Frankfurt am Main wurden nach den Sommerferien bis zum erneuten Lockdown im Dezember unter Regelbetrieb in Schulen und Kitas und während teilweise hohem Infektionsgeschehen mit Inzidenzen > 300/100 000 in der Allgemeinbevölkerung circa 3 000 Kontaktpersonen in Schulen getestet. Bei diesen gezielten Untersuchungen wurden 1 % der in Schulen Berufstätigen und 2,1 % der Schüler positiv auf SARS-CoV-2 getestet (4). Eine aktuelle Erhebung in Schulen in Rheinland-Pfalz bis Ende Dezember 2020 zeigte, dass es nach Meldung von Indexfällen nur in jedem sechsten Fall zu Übertragungen kam: Waren Lehrer die Indexperson, kam es im Vergleich zu Kindern als Indexpersonen dreifach häufiger zu Transmissionen. Lehrer verursachten viermal mehr Sekundärfälle als Kinder – und dies häufig bedingt durch Kontakte zwischen Lehrern (5) (Tabelle 2).

Untersuchte und positiv auf SARS-CoV-2 getestete Kontaktpersonen von Indexfällen in Schulen in Frankfurt am Main (<a class=4) und Rheinland-Pfalz (5)" width="250" src="https://cfcdn.aerzteblatt.de/bilder/128062-250-0" data-bigsrc="https://cfcdn.aerzteblatt.de/bilder/128062-1400-0" data-fullurl="https://cfcdn.aerzteblatt.de/bilder/2021/03/img261799199.gif" />
Tabelle 2
Untersuchte und positiv auf SARS-CoV-2 getestete Kontaktpersonen von Indexfällen in Schulen in Frankfurt am Main (4) und Rheinland-Pfalz (5)

Diskussion und Schlussfolgerung

Bei Mitarbeitern in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen wurden deutlich häufiger Infektionen mit SARS-CoV-2, schwere Erkrankungen mit Hospitalisierungsbedarf oder Todesfälle gemeldet als bei Lehrern und Mitarbeitern in Kindergemeinschaftseinrichtungen. Selbst wenn es in Schulen und Kitas bei unverändert aufrechterhaltenem Regelbetrieb zu mehr COVID19-Fällen gekommen wäre, scheint doch der dargelegte Unterschied zwischen Krankenhaus/Pflege und Kitas/Schulen robust und die Interpretation auf dieser Grundlage gerechtfertigt. Die von medizinischem und pflegerischem Personal betreuten Patienten und Altenpflegeheimbewohner haben ein ungleich höheres Risiko, an COVID-19 schwer zu erkranken und auch zu versterben, als Kita-Kinder und Schüler. Die RKI-Daten bestätigen somit die bisherige Priorisierung der medizinischen und pflegerischen Berufsgruppen.

Die Bedeutung der Lehrer und Erzieher für die Gesellschaft ist unbestritten. Da sie bereits laut Impf-Verordnung von Dezember 2020 in der gleichen Prioritätsstufe wie Personen, die in besonders relevanter Position in staatlichen und weiteren Einrichtungen tätig sind, eingestuft sind, ergibt sich nach unserer Einschätzung auch unter diesem Aspekt keine fachliche Notwendigkeit einer Höherstufung der Impfpriorität.

Solange der Impfstoff kontingentiert werden muss und man mit den begrenzten Ressourcen eine effektive und optimale Schutzwirkung für die gesamte Bevölkerung erzielen will, ist auch vor dem Hintergrund der ethischen Grundsätze der Gerechtigkeit und Solidarität (2) die Höherstufung der Impfpriorität für nicht besonders Gefährdete kritisch zu sehen.

Limitationen

Die Meldedaten des RKI sind abhängig von der jeweiligen Teststrategie und der Anzahl der Testungen. Lehrer und Kita-Personal werden besonders häufig getestet, sodass hier nicht von einer Untererfassung auszugehen ist. Die Meldedaten des RKI zu den Tätigen und Betreuten in den genannten Settings sind unvollständig, da nicht bei allen Meldungen Angaben zu Betreuung oder Tätigkeit in bestimmten Einrichtungen übermittelt wurden. Ein Hinweis auf eine besonders geringe Dokumentation und Übermittlung der Betroffenen aus Kita und Schule im Vergleich zu den anderen genannten Berufsgruppen liegt jedoch nicht vor.

Ursel Heudorf, René Gottschalk
MRE-Netz Rhein-Main, c/o Gesundheitsamt Frankfurt am Main (Heudorf, Gottschalk)

mre-rhein-main@stadt-frankfurt.de

Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten eingereicht: 17. 2. 2021, revidierte Fassung angenommen: 2. 3. 2021

Zitierweise
Heudorf U, Gottschalk R: The risk of asymptomatic and symptomatic COVID-19 infection among schoolteachers and day-care workers compared to hospital and nursing-home staff. Dtsch Arztebl Int 2021; 118. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0170 (online first).

Dieser Beitrag erschien online am 5. 3. 2021 (online first) auf www.aerzteblatt.de.

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter: www.aerzteblatt-international.de

1.
Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 vom 18. 12. 2020. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Verordnungen/CoronaImpfV_-_De_Buette.pdf (last accessed on 4 March 2021).
2.
Positionspapier der gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Ständigen Impfkommission, des Deutschen Ethikrates und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Wie soll der Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff geregelt werden? veröffentlicht: 9. November 2020. www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Ad-hoc-Empfehlungen/deutsch/gemeinsames-positionspapier-stiko-der-leopoldina-impfstoffpriorisierung.pdf (last accessed on 4 March 2021).
3.
Robert Koch-Institut. Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 8.01.2021. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html (last accessed on 4 March 2021).
4.
Heudorf U, Steul K, Walczok A, Gottschalk R: COVID-19 in Schulen. Keine Pandemie-„Treiber“. Dtsch Arztebl 2020; 117: 2505–8 VOLLTEXT
5.
Schoeps A, Hoffmann D, Tamm C, et al.: COVID-19–transmission in educational institutions August to December 2020, Rhineland-Palatinate, Germany: a study of index cases and close contact cohorts. medRxiv preprint; posted February 20, 2021. https://doi.org/10.1101/2021.02.04.21250670 (last accessed on 4 March 2021).
An das Robert Koch-Institut (RKI) übermittelte COVID-19-Fälle (09. 10. 2020–08. 01. 2021) in Einrichtungen mit besonderer Relevanz für die Transmission von Infektionskrankheiten – in Bezug auf die jeweiligen Bevölkerungsgruppen in Deutschland insgesamt
Tabelle 1
An das Robert Koch-Institut (RKI) übermittelte COVID-19-Fälle (09. 10. 2020–08. 01. 2021) in Einrichtungen mit besonderer Relevanz für die Transmission von Infektionskrankheiten – in Bezug auf die jeweiligen Bevölkerungsgruppen in Deutschland insgesamt
Untersuchte und positiv auf SARS-CoV-2 getestete Kontaktpersonen von Indexfällen in Schulen in Frankfurt am Main (4) und Rheinland-Pfalz (5)
Tabelle 2
Untersuchte und positiv auf SARS-CoV-2 getestete Kontaktpersonen von Indexfällen in Schulen in Frankfurt am Main (4) und Rheinland-Pfalz (5)
1.Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 vom 18. 12. 2020. www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Verordnungen/CoronaImpfV_-_De_Buette.pdf (last accessed on 4 March 2021).
2.Positionspapier der gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Mitgliedern der Ständigen Impfkommission, des Deutschen Ethikrates und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Wie soll der Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff geregelt werden? veröffentlicht: 9. November 2020. www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Ad-hoc-Empfehlungen/deutsch/gemeinsames-positionspapier-stiko-der-leopoldina-impfstoffpriorisierung.pdf (last accessed on 4 March 2021).
3.Robert Koch-Institut. Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 8.01.2021. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html (last accessed on 4 March 2021).
4.Heudorf U, Steul K, Walczok A, Gottschalk R: COVID-19 in Schulen. Keine Pandemie-„Treiber“. Dtsch Arztebl 2020; 117: 2505–8 VOLLTEXT
5.Schoeps A, Hoffmann D, Tamm C, et al.: COVID-19–transmission in educational institutions August to December 2020, Rhineland-Palatinate, Germany: a study of index cases and close contact cohorts. medRxiv preprint; posted February 20, 2021. https://doi.org/10.1101/2021.02.04.21250670 (last accessed on 4 March 2021).
Themen:

Der klinische Schnappschuss

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