ArchivDeutsches Ärzteblatt10/2021Datenlage: Man weiß es nicht so genau

SEITE EINS

Datenlage: Man weiß es nicht so genau

Schmedt, Michael

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Michael Schmedt, Stellv. Chefredakteur
Michael Schmedt, Stellv. Chefredakteur

Wie wichtig Daten in dieser Pandemie sind, macht der Fall AstraZeneca deutlich: Weil in den Studien zunächst die Daten für ältere Probanden fehlten, konnten bis vergangene Woche über 64-Jährige mit dieser Vakzine nicht geimpft werden.

Daten sind aber auch Grundlage für politische Entscheidungen. Doch bei Erhebung und Zusammenführung hapert es. Sie werden nicht immer digital erhoben und weitergeleitet. Folge sind veraltete oder unvollständige Informationen. Bereits zu Beginn der Pandemie wunderte man sich, warum die Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) zu den Infektionszahlen niedriger waren als zum Beispiel die der Johns Hopkins University in Baltimore. Offensichtlich war der Weg der Zahlen vom Landkreis über die Landesgesundheitsämter bis nach Berlin sehr lang. Nächste Baustelle war die Anbindung der Labore an die Corona-Warn-App, um Testergebnisse schnell zu übermitteln. Auch hier gab es Verzögerungen, Ergebnisse wurden erst nach Tagen übermittelt.

Die mangelnde Digitalisierung der Gesundheitsämter war ebenso ein großes Hindernis bei der Datenauswertung. Erst im November vergangenen Jahres einigte man sich auf die bundesweite Einführung von SORMAS. Nur war es so spät, dass diese Entscheidung in die Phase der Pandemie fiel, in der die höchsten Zahlen an positiv Getesteten den Ämtern kaum Zeit ließ, um Änderungen einzuleiten. Zudem mangelt es an Daten zum Quarantänestatus, zu Kontaktpersonen ersten Grades und darüber, wo und in welchem Umfeld Ansteckungen zu verzeichnen sind.

Erinnert sei auch an die Zettelwirtschaft in den Gastronomiebetrieben, die eine Kontaktnachverfolgung möglich machen sollten. Oft wurden Fantasienamen eingetragen, die Listen verschwanden ungenutzt in Kisten. Ein Jahr später (!) kommt die Regierung nun auf die Idee, die Länder zu einer Dokumentation zur Kontaktnachverfolgung auch in elektronischer Form zu verpflichten. Diese Daten sollen dann wiederum an die Gesundheitsämter gemeldet werden. Zwar gibt es schon Apps, die aber naturgemäß noch nicht weit genug verbreitet sind und auch keine Schnittstelle zu allen Gesundheitsämtern besitzen. Sollte es nun zu Öffnungen kommen, setzt sich der Datenblindflug erstmal fort.

Auch bei der jetzt groß angekündigten Teststrategie fallen Daten an, die Einfluss auf die Inzidenzrate haben. Das Meldeportal DEMIS, an das die Labore bereits angeschlossen sind, soll hier die digitale Verarbeitung garantieren. Für die Schnelltests müssen aber auch Ärzte und Apotheker angeschlossen werden. Das soll frühestens im zweiten Quartal erfolgen. Die Wirtschaftswoche meldet unterdessen, dass Länder und Kommunen das digitale Meldesystem (DIM) zu Coronaimpfungen weitgehend nicht nutzen. Statt über das DIM würden die Länder ihre Zahlen per E-Mail ans RKI senden, sprich Daten werden händisch übertragen.

Offensichtlich wird es noch länger dauern, bis Pandemiedaten schnell und digital zusammengeführt werden. Bis dahin wird es oft heißen: Man weiß es nicht so genau. Strukturell fehlen auch Schnittstellen, die es erlauben, dass die Wirtschaft sich mit innovativen Produkten schnell einbringt und die Datenlage verbessert.

Hoffentlich liegt es nicht nur an der mangelnden Datenlage, dass sich Bundesregierung und Länder weiterhin so hartnäckig und einseitig auf nur einen Wert, sprich die Inzidenzrate, stützen, um ihre Öffnungstrategie zu steuern.

Michael Schmedt
Stellv. Chefredakteur

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote